: „Die Grünen sind nicht mehr so stark“
■ Trotzdem gibt sich Reinhard Bütikofer, Bundesgeschäftsführer der Grünen, optimistisch. Für die Europawahlen rechnet er nicht mit einem dramatischen Abrutschen seiner Partei. Die Situation der Grünen in Ostdeutschland sei aber besorgniserregend
taz: Nach der Niederlage Ihrer Partei bei der Landtagswahl in Bremen wird allgemein damit gerechnet, daß die Grünen auch bei den Europawahlen deutlich Stimmen einbüßen werden. Mit welchen Gefühlen sehen Sie dem kommenden Sonntag entgegen?
Reinhard Bütikofer: Ruhig. Ich rechne mit einem Ergebnis, das sich insgesamt im Effekt als Stabilisierung für uns auswirkt. Im Moment wird ja viel darüber spekuliert, wo wir stehen, und natürlich wäre ein Abrutschen unter die Fünfprozentmarke eine dramatische Entwicklung. Ich rechne damit nicht. Ich glaube, wir werden eine Sechs vor dem Komma haben, wie schon bei der Bundestagswahl, und das wird zu einer Beruhigung führen.
Eine ziemlich bescheidene Hoffnung angesichts eines Ergebnisses von über zehn Prozent bei der letzten Europawahl.
Es ist realistisch. 1994 haben wir unser Ergebnis in einer extremen Schwächephase der SPD erzielt, als Scharping die Partei in den Keller geführt hatte. Es ist kein Geheimnis, daß wir seit Anfang letzten Jahres diese Stärke nicht mehr haben und bisher nicht zurückholen konnten, was wir in den ersten Monaten 1998 eingebüßt haben.
Woran liegt die Schwäche der Grünen aus Ihrer Sicht?
Ich glaube, daß uns im Moment vor allem dreierlei zu schaffen macht. Das eine ist im kollektiven politischen Bewußtsein noch immer mit dem Wort Magdeburg verbunden, also mit der Befürchtung, daß die Grünen eine Partei sind, die bereit ist, ihre ökologischen Zielvorstellungen zu Lasten individueller Freiheit und ökonomischer Vernunft durchzusetzen. Das zweite ist, daß wir uns in der Bonner Koalition in den ersten Monaten zu stark auf unsere „klassischen“ grünen Themen haben einschränken lassen. Drittens schadet uns die weitverbreitete Vorstellung, man könne alle großen politischen Reformvorhaben sofort durchziehen, kaum daß man in der Regierung ist. Der Rückschlag bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts ist noch nicht verdaut.
Sie hegen also nicht die Befürchtung, daß der Krieg in Jugoslawien die Grünen Stimmen kostet?
Der Krieg hat mit der schwierigen Situation, in der wir uns befinden, ursächlich nichts zu tun. Der Umstand, daß es uns gelungen ist, uns zu einer Position zu dieser Frage durchzuringen, hat sogar klärend und perspektivisch stärkend gewirkt.
Das klingt wie die Vorbereitung einer Erklärung für eine mögliche Niederlage bei der Europawahl, die den grünen Bundesaußenminister Joschka Fischer nicht beschädigt.
Die Interpretation liegt daneben. Die Gründe, die ich für unsere Schwäche genannt habe, habe ich auch schon vor dem Krieg offen angesprochen – zu einem Zeitpunkt, als andere noch so getan haben, als sei alles in Butter. Ich räume gerne ein, daß die Notwendigkeit, sich diesem Krieg zu stellen, die Sache insgesamt nicht leichter macht. Auf kurze Sicht führt das auch zu einem enormen Reintegrationsbedarf. Mittelfristig wird aber die Klärung einer so wichtigen Entscheidung zu einer Stärkung führen.
Im Straßenbild sind derzeit wenig Plakate der Grünen zu sehen. Woran liegt das?
Ich sehe überall welche. Bei uns müssen ja die Kreisverbände der Bundespartei die Materialien abkaufen, und wir haben mehr Plakate und Faltblätter verkauft als bei der letzten Europawahl. Es hat auch vor fünf Jahren Kreisverbände gegeben, die keinen Europawahlkampf gemacht haben. Sie haben damals bloß nicht gesagt, es läge am Krieg.
Hängen denn die verkauften Plakate auch?
Ja. Es ist doch klar, daß wir mit der Materialschlacht der Großen nicht mithalten können. Ich weiß ja auch nicht, mit welchen Schulden die FDP ihren Wahlkampf bezahlt. Wir bezahlen unseren mit Geld. Der Europawahlkampf kostet uns etwa eine Million Mark, rund ein Viertel des Bundestagswahlkampfes.
Nach dem Parteitag in Bielefeld haben einige Kreisverbände angekündigt, aus Protest gegen den Krieg keinen Wahlkampf führen zu wollen. Zeigt das Wirkung?
Man muß unterscheiden. In einigen Landesverbänden im Westen gibt es einzelne Grüne ohne viel Rückhalt, die es mit viel Getöse zu einer prima Idee erklären, die Grünen zu schwächen. Das hatten wir so noch nicht. Das ist eine politische Innovation, und ich würde das als Problem einer notwendigen Trennung bezeichnen. Was mir dagegen wirklich Sorgen macht, ist die Entwicklung in den ostdeutschen Bundesländern. Dort stoßen unsere Leute nicht einmal auf Aggression, sondern zunehmend auf Desinteresse. Offenbar drückt sich hier der auch demoskopisch nachgewiesene Unterschied der politischen Kulturen zwischen Ost und West aus. Interview: Bettina Gaus
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