: Wie Gysi übers Wasser geht
Die PDS will zum ersten Mal ins Europaparlament. Dafür setzt die Partei im Wahlkampf alles auf eine Karte: den Kosovo-Krieg. Mancher Genosse träumt sogar schon davon, stärker als die Grünen zu werden ■ Von Jens König
Doch, manchmal wirkt Gregor Gysi so, als sei er Jesus. Er erlöst seine Jünger, in dem er zu ihnen spricht. Er befreit sie mit seiner Rede von ihrem Kleinmut. Er nimmt ihnen mit seinem Glauben ihre Angst und ihre Zweifel. Wie sie da in Tausenden auf dem Hallenser Marktplatz vor ihm stehen, vollbringt Jesus ein Wunder. Er erklärt ihnen das Unerklärliche.
Zum Beispiel, warum die Nato die chinesische Botschaft in Belgrad bombardiert hat.
Mir kann keiner erzählen, daß das ein Irrtum war, beginnt Gysi. Wer Milliarden für moderne Raketen ausgibt, der wird doch wohl noch vier Mark für einen Stadtplan haben. Nein, nein, der Irrtum ist organisiert worden. Und zwar vom amerikanischen Geheimdienst. Nach dem G-8-Treffen in Bonn war eine diplomatische Lösung des Kosovo-Problems doch greifbar nah. Die Russen waren im Boot, nur die Chinesen hätten einer UN-Resolution noch zustimmen müssen. Schröder war schon auf dem Weg nach Peking. Aber weil die CIA den Frieden auf dem Balkan verhindern wollte, hat sie den Irrtum mit der chinesischen Botschaft organisiert. Und wissen Sie auch, warum? Seine Anhänger schauen Gysi mit großen Augen an. Natürlich weiß es keiner.
Weil sich die USA als alleinige Weltmacht etablieren wollen! Und nach dem Beschuß der Botschaft hieß es dann, die Nato ist davon ausgegangen, daß an der Stelle in Belgrad nicht die chinesische Botschaft, sondern, wie in den alten Karten verzeichnet, ein Rüstungswerk steht. Ich habe mich erkundigt, was da früher war. Soll ich es Ihnen sagen? Sumpfgelände! Die CIA, ruft der Messias unter dem Jubel der Massen, weiß ganz genau, wo die chinesischen Botschaften dieser Welt liegen, besonders die in Belgrad!
Wenn Gysi jetzt von der Bühne auf dem Marktplatz in Halle herabstiege, dann würde er sogar übers Wasser laufen.
Zur gleichen Zeit sitzt André Brie in seinem Büro im Berliner Karl-Liebknecht-Haus der PDS. Der Intellektuelle ist von Gysi begeistert, und er braucht ihn. Brie weiß, daß das, was er, der theoretische Kopf der Partei, denkt, nur Gysi so brillant verkaufen kann. Die PDS als einzige Antikriegspartei – idealer kann die Ausgangsposition für die Europawahlen scheinbar nicht sein. Für einen wie Gysi schon gar nicht. Selbst sein Besuch bei Miloevic und das daraufhin einsetzende Gewitter in Bonn haben der Partei nicht geschadet, im Gegenteil. „Zum ersten Mal seit neun Jahren wird die PDS bei einem Thema, das die gesamte Gesellschaft wirklich bewegt, politisch wahrgenommen“, sagt der erprobte Wahlkämpfer Brie, „egal, ob die Leute uns mögen oder hassen.“ Egal auch, so könnte man hinzufügen, ob das, was die Partei zum Kosovo-Krieg sagt, stimmt oder nicht.
Die PDS ist zufrieden mit sich. Die innerparteiliche Lähmung, der Streit zwischen den Reformern und den Betonköpfen, die Fixierung auf die DDR-Vergangenheit – davon spricht im Moment niemand. Bei keinem Thema in den letzten zehn Jahren war sich die PDS so einig wie beim Kosovo-Krieg. Gysi weiß das, und er ist Populist genug, das bedenkenlos auszunutzen. Brie weiß das auch, aber er registriert es mit Bauschmerzen. Er traut dem innerparteilichen Frieden nicht.
Wirklich einig sei die PDS nur in der prinzipiellen Ablehnung des Krieges. „Wir mogeln uns mit einfachen Antworten über die schwierige Situation auf dem Balkan hinweg“, meint Brie. „Die lasche Haltung gegenüber Miloevic, der späte Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen des serbischen Regimes, die Konsequenzen aus unserer jetzigen Haltung für die Bewertung der sowjetischen Invasion in Afghanistan und der damaligen Haltung der SED – wenn wir darüber diskutieren würden“, so Brie, „dann flögen auch bei uns die Fetzen.“
Einen kleinen Vorgeschmack darauf gab es vor zwei Wochen, als auf einer Klausurtagung führender PDS-Politiker die außenpolitische Strategie der Partei diskutiert wurde. Wolfgang Gehrcke, der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, mahnte vorsichtig eine „Neuakzentuierung der Außen- und Sicherheitspolitik der PDS“ an, die nicht dabei stehenbleiben könne, einfach nur die Auflösung der Nato zu fordern und sich ansonsten nicht auf die Realitäten einzulassen. Sylvia-Yvonne Kaufmann, stellvertretende Parteivorsitzende und Spitzenkandidatin für die Europawahlen, witterte bei Gehrcke sofort Verrat. Sie protestierte scharf gegen jedes Denken in einer militärischen Logik. „Wir scheuen den Konflikt in diesen Fragen, weil wir Angst um unseren Konsens haben“, sagt Brie. Er selbst beispielsweise befürwortet eine leichtbewaffnete UN-Friedenstruppe für das Kosovo. Die Partei ist bisher gegen jede Art von bewaffneten UN-Blauhelmen.
Im Wahlkampf ist die Welt einfacher. Da hat sich die Partei ganz ihrem neuen Thema verschrieben. „Frieden“, heißt es tiefgründig auf ihren Plakaten, oder „Europa schaffen ohne Waffen“. In den Augen der PDS führt Deutschland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Da ist es fast zwangsläufig, daß die Nato-Bomben Gysi mehr Sorgen machen als die toten oder vertriebenen Albaner.
„Ich kann Scharping nicht mehr hören“, verkündet Gysi in Halle eine seiner Geschichten von der ewigen Wahrheit des Krieges, „wenn er mit Bibber in der Stimme über die armen Kinder im Kosovo redet, aber mit keiner Silbe die Kinder in Serbien erwähnt.“ Und weiter: „Natürlich ist es schlimm, was im Kosovo passiert.“ An dieser Stelle wird Gysi ganz leise. „Ich war bei den Flüchtlingen in Albanien und habe mir die Zeichnungen der traumatisierten Kinder angesehen.“ Pause. „Aber“, schreit er plötzlich, und dieses „aber“ markiert schon durch seine Lautstärke den Unterschied, den Gysi machen will, „die alten Männer und Frauen in Serbien, die von Hitler bombardiert worden sind und jetzt wieder im Luftschutzkeller sitzen, sind auch traumatisiert!“
Sechs Prozent der Wähler versprechen die letzten Umfragen der PDS für solche Wahrheiten. Die PDS könnte zum ersten Mal ins Europaparlament einziehen; vor fünf Jahren war sie mit 4,7 Prozent noch knapp gescheitert. Mancher in der Parteiführung glaubt sogar schon an ein historisches Ergebnis am Sonntag: Die PDS könnte zum ersten Mal bei einer bundesweiten Wahl mehr Stimmen bekommen als die Grünen. Die Genossen hoffen, vor allem enttäuschten Grünen und versprengten Pazifisten im Westen eine neue Heimat bieten zu können. „Das ist eine Illusion“, meint Brie. Der Spitzenkandidat für die Europawahlen – Brie tritt auf Platz zwei der PDS-Liste an – glaubt nicht daran, daß sich der Krieg so unmittelbar auf das Wahlergebnis auswirken wird. Ein paar tausend Grünen-Wähler werde die PDS anziehen, mehr nicht. Er hält die kulturellen Gräben zwischen beiden Parteien im Moment für unüberwindbar.
Brie fürchtet sogar, daß ein Anti-Grünen-Wahlkampf, wie die PDS ihn in Bremen geführt hat, die Partei nur in die Isolation treibt: „Es darf nicht der Eindruck entstehen, daß die anderen Parteien nicht mit uns können und wir nicht mit ihnen“. Trocken bilanziert Brie den geringen Zuwachs, den die verfehlte Strategie in Bremen gebracht hat: nur 245 Stimmen. Dennoch setzt auch der Wahlkampfchef der Partei auf den Kosovo-Krieg. Ohne dieses Thema hätte die PDS im Europawahlkampf „im eigenen Saft geschmort“, gibt Brie zu. Er weiß, daß sich seine Partei mit Europa nicht gerade leicht tut. Daß sich die PDS im Wahlprogramm zur europäischen Integration bekennt, hält er bereits für einen Durchbruch.
Gysi, der Star der Partei, ist davon scheinbar ungerührt. Er macht schließlich Wahlkampf und hat eine Mission: die Massen über den Krieg aufzuklären. „Die Nato-Bomber haben die größte serbische Tabakfabrik zerstört“, erzählt er. „Nun gibt es kaum noch Zigaretten in Serbien. Was aber braucht der Soldat im Krieg? Zigaretten! Und was meinen Sie“, fragt Gysi seine Jünger, „werden Soldaten, denen man keine Zigaretten mehr gibt? Eben, aggressiv.“ Sein Publikum liegt ihm zu Füßen.
Der Frieden im Kosovo könnte so einfach sein.
Manchmal wirkt Gysi so, als sei er Jesus. Er erlöst seine Jünger, indem er zu ihnen spricht. Er nimmt ihnen ihre Zweifel
André Brie findet, daß sich die PDS mit einfachen Antworten über die schwierige Situation auf dem Balkan hinwegmogelt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen