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Erich Ribbecks Welt ist auf einmal rosarot

Nach dem überzeugenden 4:0 seiner Fußballer in der EM-Qualifikation gegen Nordirland wandelt sich der viel geschmähte Teamchef des DFB mit einem Schlag zum kurzfristigen Erfolgstrainer    ■ Aus Dortmund Matti Lieske

Kaum jährte sich sein Amtsantritt als Teamchef der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zum ersten Mal, da kam das Glück zu Erich Ribbeck. Die Welt hatte sich plötzlich rosa gefärbt nach dem mittwöchlichen 4:0-Sieg seines Teams im EM-Qualifikationsspiel gegen Nordirland, auch ohne dass der 62-Jährige, wie sonst, eine entsprechende Brille bemühen musste, und die Zukunft lag plötzlich in leuchtenden Farben vor ihm. Jetzt noch am 9. Oktober in München den Türken eins überbraten – jener frechen Bande, welche die Ära Ribbeck vor zwölf Monaten mit viel Spott und einem respektlosen 1:0 eingeläutet hatte – und Erich Ribbeck würde als der größte Vorsteher des DFB-Teams seit, nun, sagen wir, etwas mehr als einem Jahr in die deutsche Fußballgeschichte eingehen. Auszudrücken wusste er seine Genugtuung in der gewohnt diplomatisch verquasten Art, wegen der man ihn auch ins Amt des Teamchefs berufen hatte. „Es freut mich, dass manche Dinge, die nicht ganz fair rüber kamen, jetzt überdacht werden.“

In der Tat: Seine Einjahresbilanz kann sich sehen lassen. Okay, fünfmal hat er verloren, darunter gegen die USA (zweimal), gegen die B-Auswahl von Brasilien und die von Schottland. Doch die wahrhaft wichtigen Partien wurden, außer gegen die Türkei, gewonnen, und seit Mittwoch hat sogar Nordirland wieder Angst vor uns. „Es ist für jede Mannschaft eine harte Aufgabe, nach Deutschland zu kommen“, behauptete Lawrie McMenemy, der nordirische Trainer, der aber auch ein kleiner Schelm ist. „Jeder hat Probleme“, sprang er für sich und seinen Kollegen gleichzeitig in die Bresche. „Wir haben Probleme, Ribbeck hat Probleme, und der Blondschopf mit der Nummer 17 hat Probleme.“ Das ging gegen den unglücklichen Strunz, und der boshafte McMenemy legte unbarmherzig nach: „Wenn ich er wäre, würde ich mir die Haare färben.“

So etwas Unfeines wäre dem Mann, der sich ungern, dann aber doch „Sir“ nennen lässt, niemals über die Lippen gekommen. „Sir Erich“ Ribbeck wurde auch geholt, um stilistische Mängel bei der Präsentation des DFB-Teams zu beheben, und tut dies durchaus tapfer. Wenn er vom sommerlichen Horrortrip seiner Mannschaft nach Mexiko spricht, redet er ironisch von „Traumreise“ oder von „Veranstaltungen, die von vornherein aussichtslos waren“. Die Fettnäpfchen überließ er auch in Mittelamerika Funktionären vom Schlage Braun oder Mayer-Vorfelder. Während sein Vorgänger Vogts fast so leicht beleidigt war wie Kanzler Schröder, überall Verschwörungen witterte, biestig um sich biss, wenn etwa schief ging, und gern den verbalen Säbel herausholte, florettiert Ribbeck mit Belanglosigkeiten und Floskeln. „So wie wir vielleicht schon mal totgesagt wurden, wäre es falsch, wenn wir jetzt in den Himmel gelobt würden“, warnte er in Dortmund vor etwas, das sowieso niemandem eingefallen wäre. Wen stört es bei so viel eleganter Demut noch, dass er nach Spielbeobachtungen nur melden kann, es habe „irgendwie nach Viererkette“ ausgesehen und dass ihm partout nicht einfallen will, wie der Dortmunder Spieler heißt, der am Mittwoch die ganze Zeit auf der Bank brüten musste. „Nerlinger“, souffliert der Pressechef, der Vorname kommt dann freiwillig.

Kopfzerbrechen bereitet nur die Frage, wieso der Auftritt des deutschen Teams gegen die nördlichen Iren so unverhofft souverän war. „Weil wir mehr Einwohner haben“, tippte der Teamchef und bemühte dann das dritte Tor, das schon vor der Pause gelang. Stringent argumentiert, schließlich hatte Ribbeck nach dem 2:1 gegen die Finnen am letzten Samstag die Tatsache, dass ein drittes Tor nicht gelang, dafür verantwortlich gemacht, dass am Schluss fast alles den Bach runter ging. Etwas mehr Aufschluss lieferte Oliver Bierhoff, wie schon in Helsinki erneut Blitztorschütze in Minute 2. Man habe das Finnland-Spiel analysiert und sogar Videoausschnitte betrachtet. Ein abgefeimter Schachzug, denn wer besagte Partie angeschaut hat, wird zugeben, dass eine solche Maßnahme kaltes Grausen bei den Beteiligten provozieren musste. „Wir haben gesehen, was wir verkehrt gemacht haben“, sagte Bierhoff und benannte zielsicher die Mittel, die tatsächlich zum Erfolg führten. „Es ist wichtig dass wir kommunizieren und einer für den anderen läuft.“

Man könnte natürlich auch sagen, dass die Nordiren eine ausgesprochen harmlose und phasenweise tolpatschige Mannschaft waren – wenn auch nicht so tolpatschig wie die deutsche Nummer 17 – doch das wäre unfair. Immerhin war es ein Hauptvorwurf der letzten Monate, dass sich das DFB-Team gerade gegen solche Gegner überaus schwer tat. In Dortmund hatte man das Match auch in der zweiten Halbzeit jederzeit im Griff, die Tore wurden auf aparte Weise herausgespielt und vollendet, es gab genug weitere Torchancen, und selbst Lothar Matthäus konnte seine Existenz rechtfertigen, indem er sein einziges spielerisches Mittel einsetzte, das noch funktioniert. Zwei lange Pässe auf die Flügel leiteten die Tore zwei und vier ein.

Grundlage des überzeugenden Auftritts war jedoch die Arbeit im Mittelfeld. Ganz anders als in Helsinki wurde der Gegner permanent attackiert. In einer bezeichnenden Szene in der ersten Halbzeit gelang es Bierhoff, Neuville, Jeremies und Babbel sogar, die Iren vom deutschen Strafraum bis zu ihrem eigenen Torwart zurück zu treiben, der den Ball ins Aus bolzte. Ballgewinne bringen Übergewicht, den Rest besorgte Ziege.

„Die negative Stimmung ist weg“, frohlockte Bierhoff, beifällig nickte Ribbeck und verwies vorsorglich darauf, dass es „auch mal wieder schwieriger wird“. Macht aber nichts. Zunächst reicht ein Unentschieden gegen die Türken, doch auch bei einer Niederlage sind die Chancen, sich als bester Gruppenzweiter für die EM 2000 in Belgien und den Niederlanden zu qualifizieren, ganz gut. Ist das geschafft, hat Erich Ribbeck erst mal Ruhe bis zum nächsten Sommer, und bis dahin werden selbst ein paar weitere Niederlagen gegen die USA seine rosarote Sicht der Dinge kaum trüben können.

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