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Aus der Not eine Jugend

Die Fußballklubs aus Uerdingen, Darmstadt und Norderstedt haben eines gemeinsam: Sie wollen dabei sein, wenn künftig nur noch in zwei Regionalligen gespielt wird    ■ Von Christoph Ruf

Um dem elitären Zirkel weiterhin anzugehören, haben auch Provinz-Clubs kräftig in neue Spieler investiert

Berlin (taz) – Über den KFC Uerdingen ulkte Max Merkel einst: „Jede Straßenbahn hat mehr Anhänger.“ Und da des Lästerers Verdikt auch anno 99 noch gilt, trat Vereinspräsident Hermann Tecklenburg die Flucht nach vorne an und erteilte der Düsseldorfer Werbeagentur „Leagas Delaney“ den Auftrag, den graumäusigen Club für Sponsoren und Fans qua Imagekampagne attraktiver zu machen. Anders, so Tecklenburgs Überzeugung, könne der KFC nicht in der vom DFB für nächsten Sommer geplanten zweigleisigen Regionalliga bestehen. Ex Nihilo erschaffene Images „nehmen einem die Menschen nicht ab“, erläutert Ralf Zilligenz von „Leagas Delaney“ sein Erfolgsgeheimnis. Daher gelte es, „die realen Stärken des Produktes zu kommunizieren“.

Wo aber liegen die Stärken eines Vereines, der seit Jahrzehnten hinnehmen muss, wie Leistungsträger, die er behutsam aufgebaut hatte, weggekauft wurden: Sigi Held, Stefan Kuntz, Brian Laudrup, Stéphane Chapuisat, zuletzt U-21-Torwart Simon Jentzsch ... die Liste der Stars, deren erste Profistation in Krefeld lag, ließe sich beliebig erweitern. Also galt es, aus der Not eine Tugend zu machen: Geboren ward das Konzept „Rettet den deutschen Fußball“. Alle würden „das Wehklagen um die fehlenden Perspektiven des deutschen Fußballs“ kennen, heißt es, „wäre da nicht ein Verein wie der KFC, der schon immer die Ausbildung junger Spieler dem Einkauf teurer Stars vorzog. Das Ergebnis sind augenblicklich 17 Jugendnationalspieler ...“

Der Hintergrund der Aktion ist ernst: Auf Dauer ist der KFC nicht einmal in der Regionalliga überlebensfähig. Zumal er derzeit auf Gedeih und Verderb dem Bauunternehmer, Hauptsponsor und Vorsitzenden Hermann Tecklenburg ausgeliefert ist. Wirtschaftlich könnte sich das Facelifting gelohnt haben: „Wir sind vollauf zufrieden: Der Business-Club hat schon 56 Mitglieder, die über 600.000 Mark investiert haben“, freut sich Organisationsleiter Jörg Grothe. Allein – die Zuschauerströme bleiben nach wie vor aus: „Im Schnitt kommen nur 2.600 statt der kalkulierten 5.000 Fans.“

Nicht alle Regionalligavereine sind in ihrer Not so kreativ wie der Klub vom Niederrhein. Viele haben Unsummen in neue Spieler investiert – ein Wagnis, für das indirekt der DFB verantwortlich zeichnet. Der beschloss, dass die bisher vier Regionalligen ab der kommenden Saison zu zweien zusammengelegt werden: Aus Süd und Südwest werden dann je zwölf, aus Nord und Nordost nur je maximal sechs bzw. sieben Vereine den Dritten Ligen angehören. Der Rest steigt in die Oberliga ab. Schlimm, denn dort gibt es keine Fernsehgelder, die ab Sommer noch mal kräftig aufgestockt werden: Im Norden und Nordosten auf 200.000 Mark pro Verein, im Süden und Südwesten gar auf das Doppelte. „Das Gefälle in den Regionalligen ist einfach zu hoch“, begründet DFB-Referent Willi Hink den Handlungsbedarf. Ziel der Reduzierung von 72 auf 36 Clubs sei es, „die Vereine zu selektieren, die professionell arbeiten“. Mittelfristig könne er sich gar eine eingleisige Dritte Liga vorstellen: „Die haben einige Verbandsvertreter bereits letztes Jahr gefordert. Bis sie gemerkt haben, dass dann nur die ersten vier aus jeder Liga dabei wären und dass ihr Verein dazu nicht zählen würde.“

Doch bereits die geplante zweigleisige Regionalliga hat für Aktionismus gesorgt. Um dem elitären Zirkel weiterhin anzugehören, haben auch Provinz-Clubs wie der SSV Reutlingen oder der BV Cloppenburg kräftig in neue Spieler investiert. DFB-Vizepräsident Engelbert Nelle prophezeit daher vielen Clubs ein böses Ende des „knüppelharten Rennens“ um den Klassenerhalt: „Viele Vereine haben sich übernommen.“ Klubs wie Sachsen Leipzig, der FC Magdeburg oder Fortuna Düsseldorf sahen sich sogar gezwungen, ihre Werbe- und Fernsehrechte ganz oder zum größten Teil an den Münchner Filmrechteverwerter Dr. Michael Kölmel zu verkaufen. Der hat sich zum Ziel gesetzt, darniederliegende Traditionsvereine mit Millionen-Investitionen wieder auf Vordermann zu bringen: Ein Unterfangen, das er zuletzt erfolgreich bei den Zweitliga-Aufsteigern Alemannia Aachen und SV Waldhof durchführte. Indes weiß keiner, was passiert, wenn ein von Kölmel übernommener Club mittelfristig erfolglos bleibt.

Zum Konkursrichter möchte auch der SV Darmstadt 98 nicht. Der einstige Erstligist blickt auf lange Jahre tristen Gekickes in der Oberliga Hessen zurück. Doch im vergangenen Sommer gelang der Aufstieg in die Regionalliga. Verständlich, dass die „Lilien“ dort auch im nächsten Jahr vertreten sein wollen. Zwar fehlt das Geld für Stars, jedoch können die Darmstädter nach wie vor 3.000 bis 4.000 Fans mobilisieren. Das ist Rekord in der Regionalliga Süd, wo nach dem Aufstieg von Kickers Offenbach und Waldhof Mannheim kaum ein Verein mehr als 500 Zuschauer interessiert. Um bei den Sponsoren im Gespräch zu bleiben, denkt sich Geschäftsführer Andreas Barth immer wieder neue Aktionen aus: Hier eine Cheerleader-Einlage, dort der Auftritt eines rappenden Moderators vom Lokalsender. Und wenn, wie Mitte September zum Spiel gegen die 1860-Amateure, freier Eintritt gewährt wird, schauen auch schon einmal ARD und ZDF vorbei. Nur wer mit dem Spiel zufrieden war, sollte nach Abpfiff eine ihm genehme Summe in die Sammelbüchsen werfen. Die immerhin 7.000 Zuschauer zahlten im Schnitt jedoch nur 3 Mark 20 – die Leistung der Lilien, die mit 0:3 untergingen, war nicht dazu angetan, die Portmonees spürbar zu erleichtern.

Auch 500 Kilometer nördlich, beim SC Norderstedt, hat man sich vorgenommen, die Klasse zu halten. Erschwert wird das an sich schon recht aussichtslose Ansinnen durch den vom DFB festgelegten Modus, wonach Süden und Westen je doppelt so viele Vereine stellen wie Norden und Nord-Ost. Begründet wird dies damit, dass das Gros der 30.000 Fußballvereine im Westen und im Süden der Republik beheimatet sei. Das bedeutet für die wackeren Norderstedter, dass das Erreichen des fünften Tabellenplatzes Pflicht ist. Dennoch will man alles versuchen, um das Schicksal der Hamburger Traditionsvereine VFL 93, SV Lurup, SC Concordia und Altona 93 zu vermeiden: Alle vier spielten noch vor drei Jahren in der höchsten Amateurklasse und sind nun in den Ligen 4 bis 6 versunken. Wer einmal als einer von 56 Zuschauern am idyllischen Hamburger Stadtpark ein Spiel des traditionsreichen VFL 93 sehen durfte, weiß, wie wenig anheimelnd sich der Landesliga-Alltag darstellt.

Allerdings verlief bereits der Saisonstart des SCN nicht nach Plan: Seither pendelt der SCN zwischen den Plätzen sieben und zwölf. Daher wurde am sechsten Spieltag kurzerhand Trainer Bert Ehm entlassen, eine von zahlreichen Trainerentlassungen, die es in dieser hektischen Regionalliga-Saison im ganzen Land schon gegeben hat. Fünf sind es allein schon in der Regionalliga Nordost, beim BV Cloppenburg wurde Mitte Oktober schon der zweite Trainer gefeuert, und auch in Darmstadt musste Trainer Petrovic bereits am 30. September gehen. In Uerdingen wurde Hubert Schäty schon einige Tage vorher geschasst: Da die Niederlagenserie danach aber auch nicht abriss, flüchten sich die KFC-Fans derzeit auf der Homepage des Vereins in Galgenhumor: Die vorgegebene „Gästebuch“-Kategorie füllte ein Anonymus recht sarkastisch aus. Name: „123 Zuschauer“, Alter : „Zusammen etwa 9.000 Jahre“.

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