Moskau brüskiert die OSZE

■ Eine Beobachtergruppe darf nicht nach Tschetschenien einreisen und bricht ihren Aufenthalt in der Region ab. Heute soll die Stadt Gudermes „gesäubert“ werden

Wien/Moskau (AFP) – Russland verhindert weiterhin, dass sich seine europäischen Partner ein Bild von der Lage in Tschetschenien machen. Eine OSZE-Delegation durfte gestern nicht in die umkämpfte Kaukasusrepublik einreisen. Russland, das selbst Mitglied der OSZE ist, hatte sich mehrfach jede Einmischung verbeten.

„Unsere Präsidentschaft wollte nach Tschetschenien reisen, um die Situation dort und speziell die humanitäre Situation zu bewerten“, sagte der Sprecher der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Mans Nyberg, in Wien. „Die Änderung des Zeitplans entspricht nicht den Wünschen der Delegation der OSZE.“

Die Beobachtergruppe brach seinen Angaben zufolge ihren Aufenthalt ab. Am Mittwoch hatte sie mehrere Flüchtlingslager im Nachbarland Inguschetien besucht, um sich ein Bild vom Ausmaß der Leiden der Zivilbevölkerung zu machen. Anschließend hatte sie von einer „humanitären Katastrophe“ gesprochen. Der Tschetschenien-Krieg sei keine rein russische Angelegenheit mehr, stellte Delegationsleiter Kim Traavik fest.

Die russische Armee setzte ihre Angriffe auf Ziele in Tschetschenien mit unverminderter Härte fort. Binnen 24 Stunden wurden 70 Angriffe geflogen, wie Interfax meldete. Ziele der jüngsten Angriffe waren vor allem die Hauptstadt Grosny, Bamut im Westen und Gudermes. Der für die Truppen an der Ostfront zuständige Kommandeur Gennadi Troschew sagte der Nachrichtenagentur Itar-Tass, er habe sich mit dem Ältestenrat der Stadt geeinigt und werde am heutigen Freitag ab acht Uhr mit der „Säuberung“ von Gudermes beginnen. Nach tschetschenischen Angaben halten sich dort rund tausend tschetschenische Kämpfer auf, nach russischen Angaben rund hundert.

Verteidigungsminister Igor Sergejew sagte der Nachrichtenagentur Interfax, der Feldzug könne noch vor Ende des Jahres beendet sein. Er reagierte damit auf die Äußerung des Tschetschenien-Kommandeurs Wiktor Kansanzew, der Krieg könne noch drei Jahre dauern. Sergejew bestritt zugleich Berichte, denen zufolge die Armee sich bei einem Abbruch der Offensive gegen die Regierung wenden könnte. Ein General hatte vor einigen Tagen vor der „möglichen Einmischung von Politikern in die Militäroperationen“ gewarnt. Die Armeeführung will offenbar die demütigende Niederlage im ersten Tschetschenienkrieg (1994 bis 1996) um jeden Preis wettmachen.

Ein Sprecher von Präsident Boris Jelzin gestand ein, die Armee habe „tragische Irrtümer“ begangen. Die Regierung sei aber „leider“ gezwungen, zur „Bekämpfung des Terrorismus“ Gewalt anzuwenden. „Es gab einige tragische Irrtümer während unserer Operationen in Tschetschenien“, sagte der stellvertretende Chef von Jelzins Büro, Igor Schabdurasulow. Verhandlungen mit dem tschetschenischen Präsidenten Aslan Maskhadow schlug er erneut aus. Dieser sei zwar „legitim gewählt“, habe aber keine Kontrolle über das Land. Tschetschenien müsse Teil Russlands bleiben, bekräftigte Schabdurasulow. Im Friedensabkommen von 1996 war der Status der Kaukasusrepublik offen geblieben.