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Die Eitelkeit berühmter Daten

■ 3. Oktober, 9. November, seine Frau und ihr Liebhaber: Beim großen Tabuthema des Kalenderjahres besteht Handlungsbedarf

„Minderheiten wie der 29. Februar halten sich einfach für was Besseres“, lästert die Wintersonnenwende

Neid unter berühmten Daten – ein Tabuthema des Kalenderjahres, mit dem sich allenfalls Filofaxe oder schmuddelige Tagesplaner herumplagen. Aber bei Tage gehen uns alle an.

Wir trafen den 3. Oktober, der sich von den Strapazen des vergangenen Monats erholt hat, in seinem Wintersitz an der Datumsgrenze von Greenwich. Seine Frau Greta Oktoberova war damals von ihrem Vater, einem russischen Zalen, dem Datum blind versprochen worden, um eine vorzeitig Oktoberrevolution zu verhindern. Aber 3. Oktober spricht lieber über aktuelle Wehwehchen. Zum Beispiel die Querelen mit seinen Nach-Baren wie dem 9. November.

„9. November hat mich damals sehr verletzt. Er stand ständig im Vordergrund, wurde zum Star. Erst mit meiner Ernennung zum Feiertag wendete sich das Blatt. Jetzt blickt man anerkennend auf diese kleine Insel der Glückseligkeit und des guten Geschmacks: mich.“ 9. November war wegen groben Völkermords unter die UNO-Feiertagssperre gefallen, die „für Ausreißer Fischsuppe nicht unter 200 Escudos willfährig ausschenkt“, wie das im Diplomatenklartext heißt.

UNO-Datumspfleger Ricardo Svaistelli besucht reihum die Kalendertage, um auf rein diplomatischem Weg die aus den Fugen geratene Zeitleiste auf Kurs zu halten. Dezember-Ausreißertypen, die bei one-night stands mit Anfang Januar erwischt werden, erschweren die Friedensbemühungen jedoch ungemein.

Unter deutschen Dächern geht es den Daten mittlerweile an den Kragen: „Minderheiten wie der 29. Februar halten sich einfach für was Besseres“, lästert die Wintersonnenwende, „und die Wintersonnenwendenlobby kann man nur zu Recht unterschätzen. Da ist Handlungsbedarf.“

Verursacht hatte das Chaos unter den sonst als zuverlässig geltenden Doppelziffern die 11. August, deren Versetzung in den Mai mit großem Unmut aufgenommen wurde. „Kritik an meinem Wechsel erfolgte nur aus Langeweile“, kritisiert die Spätsommerin (Spitzname: „=2“). Zur Beschwichtigung war ihr 99 die Sonnenfinsternis zugeschlagen worden, aber die ambitionierte Schönheit will mehr: „Kanzlers Geburtstag, Halloween oder Starttermin von ,Star Wars' fänd ich klasse. Auch innerhalb eines Jahrtausends hätte ich gerne wenigstens eine Nebenrolle.“ Aber noch wird man sich gedulden müssen: 11. August nimmt jetzt nämlich erst mal ihren verdienten Jahresurlaub.

Neuster Plan der einmaligen UNO ist ein Weltdatumstag des runden Tischs. Konferenzsprache ist Frühmorgens. Kästners „35. Mai“ könnte dabei neue Absurdität gewinnen, zumal sich Datumswitze behutsam selbst aktualisieren.

9. November sieht das alles sehr gelassen. „Der Julianische Kalender ist passé. Man wird zu neuen Formen der Datumsfindung kommen“, prophezeit er schelmisch, „die Zukunft ist das Los.“ Was aus den geografischen Nullpunkten werden soll, ist damit allerdings nicht geklärt – zu viele von ihnen leben jenseits der Terminpläne. „In dubio pro escimo“ – dies wird wohl noch lange ein frommer Wunsch bleiben.

Daniel Hermsdorf

und Benjamin Heßler

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