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Hammer, Sichel, Flächennutzungsplan

Es sind nicht nur hohle Worte, wenn Mosambiks einst marxistische Regierungspartei den Bürgern vor den anstehenden Wahlen „ein besseres Leben“ verspricht. Der Bürgerkrieg ist Vergangenheit  ■   Aus Maputo und Mucombue Kordula Doerfler

Das Leben ist besser, aber wir sind noch sehr arm. Immerhin haben wir Frieden“. Dann zählt die alte Frau auf, was fehlt: Schule, Krankenstation ...

Antonio Changuke hat einen Traum. Einen richtigen Laden wünscht er sich, mit Glasscheiben und Regalen, auf denen Schuhe stehen. Neue Schuhe, von denen jedes Paar mindestens eine Million Meticais kosten würde.

So viel verdient er heute, wenn er Glück hat, in einem Monat. „Das Leben ist hart“, klagt der 42-Jährige. Fünf Kinder muss er zur Schule schicken. Sein Laden ist heute die Straße, als Regal muss ein alter Müllsack auf dem staubigen Boden herhalten.

In Maxaquene, einem Armenviertel von Mosambiks Hauptstadt Maputo, verkauft Changuke zusammen mit zwei Kumpels gebrauchte Schuhe, die meist aus Altkleidersammlungen in Europa stammen. Die Straßen sind ungeteert und staubig, in der Regenzeit verwandeln sie sich in schlammige Rutschbahnen. Wild zusammengebaute Häuschen stehen neben schäbigen Wellblechbaracken, in den Höfen gackern Hühner. Die Müllberge wachsen in den Himmel, und dazwischen tummeln sich Überlebenskünstler jeder Art.

Changuke ist einer von ihnen, und nicht der erfolgloseste. Denn schon wenn er am Tag fünf Paar gebrauchter Schuhe los wird, geht es ihm besser als jedem mosambikanischen Beamten oder Lehrer. Umgerechnet verdient er dann im Monat mehr als 100 US-Dollar, die inoffizielle Währung Mosambiks. Ein Lehrer bekommt nur etwa 80 Dollar. Dem Schuhverkäufer entwischt ein verschmitztes Lächeln. Er weiß schon, dass es schlimmer sein könnte.

Wie damals im Bürgerkrieg, als es buchstäblich nichts mehr gab. Jetzt, sieben Jahre später, ist Mosambik zwar noch immer eines der ärmsten Länder der Welt. Doch die makroökonomischen Rahmendaten, die die Regierung von Präsident Joaquim Chissano unter dem Druck der Geldgeber zustande gebracht hat, haben das Land zum Lieblingskind des Westens werden lassen. Die Wirtschaft wächst jährlich um 8 bis 10 Prozent, im vergangenen Jahr waren es sogar 12 Prozent. Mit Hilfe des Auslands wurden Schulen und Kliniken gebaut, Wasserleitungen gelegt und zerstörte Straßen repariert. Zur Belohnung wurden dem Land 2,2 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden vorerst erlassen. Ein paar Kilometer von Maxaquene entfernt, in der von den Portugiesen erbauten malerischen Innenstadt von Maputo, ist die Erfolgsbilanz sichtbar. Cafés und Restaurants sind voll, die Straßen mit Autos verstopft.

Übermorgen finden zum zweiten Mal in der Geschichte Mosambiks demokratische Wahlen statt, und kaum jemand bezweifelt, dass der derzeitige Präsident, Joaquim Chissano, erneut als Sieger aus der Präsidentschaftswahl hervorgehen wird. Bei den Parlamentswahlen aber könnte es für die Regierungspartei und einstige Befreiungsbewegung Frelimo knapp werden gegenüber den früheren Renamo-Rebellen, die sich in eine brave politische Partei umgewandelt haben.

Am Straßenrand versprechen Frelimo-Wahlplakate nicht sonderlich originell „ein besseres Leben“. Es ist der gleiche Slogan wie vor fünf Jahren, bei den ersten demokratischen Wahlen des Landes. „Wählt den Wandel“, fordert die Renamo die Wähler auf, ebenfalls nicht sonderlich originell.

Vor dem mehrstöckigen Hauptquartier der Frelimo im Diplomatenviertel flattert eine rote Fahne im Wind, Hammer und Sichel sind in diesem Teil der Welt noch nicht verpönt. Auf Maputos Straßenschildern werden Mao Tse Tung und Kim Il Sung, Marx und Lenin in Ehren gehalten. Ansonsten verbindet die Frelimo nicht mehr viel damit. Es regiert eine neue Generation von smarten jungen Leuten, die fließend Englisch sprechen und sogar Fehler einräumen.

Bernardo Cherinda ist einer von ihnen. Mit 37 der Jüngste im Zentralkomitee, beherrscht er das Weltbank-Vokabular von Armuts- und Korruptionsbekämfung mühelos. „Die Armut auf dem Land ist immer noch verheerend“, räumt er unumwunden ein.

Nur einen Häuserblock entfernt hantiert der politische Gegner mit schweren Vorwürfen: Korruption, Vetternwirtschaft, Verleumdung. Das Renamo-Hauptquartier ist ungleich bescheidener als das der Frelimo. Vieles von dem, was Wahlkampfleiter Jafar Gulamo Jafar vorträgt, ist wahr. Korruption ist allgegenwärtig, Frelimo-Funktionäre werden in Verwaltung und Wirtschaft üppig mit Posten bedient. Lehrer verlangen einen kleinen Obulus, um Zeugnisse auszustellen, bei Ärzten und in Krankenhäusern wird man ohne Bestechung nicht behandelt. Jeder weiß es, jeder tut es. Die Unzufriedenheit mit Frelimo ist gerade in der Haupstadt groß.

Renamo wird nicht müde, sich als politische Alternative zu präsentieren. Die einst als Rote Khmer Afrikas verschrieenen Rebellen gerieren sich heute als die besseren Demokraten und sind zuversichtlich, zumindest die Parlamentswahl zu gewinnen. Fehlende programmatische Inhalte werden mit Polemik wettgemacht. „Versöhnung gibt es in Mosambik bis heute nicht“, ereifert sich Jafar, „und auch keine wirkliche Demokratie.“

Demokratie? Nhapo Bayanai zuckt mit den Schultern. In Maputo ist er noch nie gewesen. Der „regulo“, der traditionelle Chef des kleinen Dorfes Mucombue, war erst einmal auch nur in der Distrikthauptstadt Manica. Maputo ist weiter weg als der Mond, mehr als 1.000 Kilometer entfernt.

Hier, in der Mitte und im Norden Mosambiks, ist Renamo-Land. Hier fuhren die ehemaligen Rebellen vor fünf Jahren die besten Ergebnisse ein. Frelimo hat dafür gesorgt, dass die Renamo trotzdem lokal nicht zu stark wird. Die Gouverneure der Provinzen werden in Maputo bestimmt und entsandt. Gewählte Lokalverwaltungen gibt es bis heute erst in 33 Städten und Gemeinden.

Auf Dorfebene haben aber die regulos das Sagen – eine Instanz, die die Revolutionäre in Maputo am liebsten längst abgeschafft hätten. Wie eh und je verteilen sie das Land, schlichten Streit und sprechen Recht in Familien- und Dorfangelegenheiten. Die modernen Strukturen, von denen die Frelimo träumt, spielen im Alltag der bettelarmen Kleinbauern keine Rolle.

Auch mit Politik haben die meisten nichts zu schaffen. Wen interessiert schon, wer weiter als 1.000 Kilometer entfernt regiert? Dass Präsident Chissano an diesem Tag ein paar Kilometer weiter Wahlkampf macht? Dass dies bemerkenswert ist, weil sich die Frelimo vor fünf Jahren noch nicht so tief in Renamo-Gebiet hätte hineinwagen können? Dass Mosambik es tatsächlich geschafft hat, nach fast dreißig Jahren Krieg so etwas wie Versöhnung zu erreichen, von Intellektuellen gar als Modell für Afrika gepriesen wird?

Viel wichtiger ist, dass die im Krieg zerstörten Straßen repariert, Wasserleitungen gelegt und Schulen gebaut werden. „Das Leben ist besser geworden, aber wir sind immer noch sehr arm“, sagt Estella Dento. „Aber immerhin haben wir Frieden.“ Wortreich zählt die alte Frau ein Dutzend Dinge auf, die dringend benötigt werden: eine Schule, eine Krankenstation. Ohne ausländische Hilfe wird daraus nie etwas.

Mocumbue besteht aus ein paar zerstreuten traditionellen Hütten. Vor ein paar Jahren noch war es verlassen. Die knapp 400 Einwohner waren vor dem Bürgerkrieg geflohen. Hunderttausende fanden in Simbabwe Zuflucht und kehrten über einen Zeitraum von mehreren Jahren zurück.

Das westliche Nachbarland ist nah. Über die praktisch unkontrollierbare grüne Grenze floriert der Schmuggel. Diesseits und jenseits wird die gleiche afrikanische Sprache, Shona, gesprochen. Englisch ist weiter verbreitet als Portugiesisch. Aus der Provinzhauptstadt Chimoio fährt man nach Simbabwe zum Einkaufen, wer kann, schickt seine Kinder dort auch in die Schule. Simbabwe seinerseits nutzt traditionell den Korridor hinunter nach Beira, dem nächsten Seehafen. Bis heute ist es Mosambiks Regierung nicht gelungen, das 2.000 Kilometer lange Land in Nord-Süd-Richtung zu einen. Von jeher orientiert man sich in Mosambik von Ost nach West: der Süden nach Südafrika, die Mitte nach Simbabwe, der Norden des Landes nach Malawi und Sambia.

In der Schule von Mucombue trifft sich das Dorf. Die Männer sitzen rechts, die Frauen links. Bänke und Wände bestehen aus rohen Baumstämmen, Tische gibt es nicht, der Fußboden ist nackter Lehm. Da, wo in europäischen Schulen eine Tafel wäre, hängt ein grob gezeichneter Plan. „Hier wäre die neue Schule, hier eine Weidefläche, hier eine Wasserstelle“, erklärt Inoque Innose, ein von der Provinzregierung entsandter Gemeindearbeiter. Kaum jemand unter seinen Zuhörern kann lesen oder schreiben. Der Plan aber ist ihre Zukunft.

Mosambiks im vergangenen Jahr verabschiedete Landreform ist ein ehrgeiziges Vorhaben. 80 Prozent der Bevölkerung leben auf dem Land und sind Subsistenzbauern. Nachdem die Portugiesen 1975 Hals über Kopf geflüchtet waren, wurde das Land verstaatlicht. Jetzt soll es zurückgegeben werden, geordnet und bürokratisch.

Von den Kleinbauern verlangt dieser Prozess etwas, was von ihnen noch nie gefordert wurde: Eigeninitiative. Nur wer eine Art Flächennutzungsplan erstellt und sich mit den anliegenden Gemeinden über die Grenzen geeinigt hat, kann den Antrag stellen und muss dann noch einige Verwaltungsgebühren entrichten. Für das Land selbst muss nichts bezahlt werden.

Bayani ist zufrieden. Den in mühsamer Kleinarbeit erstellten Plan hat er für gut befunden, jetzt kann er an die Behörden übergeben werden. Die kleine Gemeinde hat ihre Hausaufgaben gemacht, um die Eigentumsrechte an ihrem Land zu erhalten. „Jetzt wird das Land endlich wieder uns gehören“, freut sich der regulo. Die Bewohner von Mocumbue haben ihren Frieden gefunden.

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