: Schnelles Geld mit der Natur
■ Abenteuerlust in den Industriestaaten hinterlässt allzuoft Müllberge im exotischen Süden
Es gab eine Zeit , da der Reisende Kulturen begegnete, die sich von seiner eigenen von Grund auf unterschieden und ihn zunächst durch ihre Fremdartigkeit überwältigten. Seit ein paar Jahrhunderten haben wir dazu immer weniger Gelegenheit. Ob in Indien oder in Amerika – der moderne Reisende ist weniger überrascht, als er sich eingestehen mag. (Claude Lévi-Strauss: „Traurige Tropen“)
Ihren Urlaub in Bolivien hatten sich Oliver Flower und Christine Bowles anders vorgestellt. Gebucht hatten die beiden Engländer eine „Öko-Safari“ im Urwald von Rurrenabaque. Doch statt Natur pur wurden ihnen schlechte Inszenierungen und alles andere als „Umweltschutz“ geboten: „Manchmal stehen die Touristenführer hinter einer Ecke und lassen die angeblich wilden Schlangen aus einer Plastiktüte gleiten“, erzählt Flower. „Andere jagen die Krokodile mit Netzen, was viele von ihnen nicht überleben.“ Das junge Paar fand auch heraus, dass der so genannte Ökotourismus im Urwald von Rurrenabaque in der Provinz Beni kaum kontrolliert wird. Zu viele Reisende seien in einem kleinen Gebiet unterwegs, und die Agenturen unterbieten sich gegenseitig, um die Touristen auf ihre Seite zu locken.
Ökotourismus in Bolivien ist vom Geheimtipp zur Mode geworden. Jetzt steht das ökologische Erbe der unzugänglichen Rurrenabaque-Region auf dem Spiel. Es begann 1982, als sich ein israelischer Tourist in dem Regenwald verirrte und nach haarsträubenden Abenteuern erst drei Wochen später in die Zivilisation zurückfand. Das Buch über seine Erlebnisse wurde zum Kassenschlager – mit verheerenden Folgen für die unberührte Wildnis: Inzwischen kommen jährlich 12.000 Besucher nach Rurrenabaque. Sie hinterlassen viel Müll und Unruhe auf den breiten Trampelpfaden, und zwielichtige Safari-Unternehmen versuchen, mit der Natur das schnelle Geld zu machen.
Der stellvertretende Tourismusminister Edgar Torres bestätigt die Vorwürfe: Bei einem Besuch vor Ort sah er Boote ohne Schwimmwesten und alte, lärmende Motoren, die Öl in die Urwaldgewässer ablassen. Sanitäre Einrichtungen oder Müllbehälter gab es kaum. Torres macht den Preiskampf um die Rucksacktouristen für die Zustände verantwortlich. Sein Ministerium will jedoch nur wenige Vorschriften erlassen. „Wenn wir alles verlangen, was ökologisch notwendig ist, wäre das sehr weitgehend und würde bestimmt nicht eingehalten werden“, rechtfertigt sich der stellvertretende Minister.
Bolivien, das weiß auch Edgar Torres, hat die Devisen aus dem Tourismusgeschäft bitter nötig. Sein Ziel ist, die Reisenden über die verschiedenen Regionen des Landes zu verteilen, um die negativen Auswirkungen zu begrenzen. Das käme auch den Salzseen im südöstlichen Hochland zugute, die schon länger unter dem Massenandrang von Wanderlustigen zu leiden haben.
Auch der alte Inkapfad mit grandiosen Ausblicken auf die Andenwelt ist von Abfällen gesäumt, die Zeltplätze von Exkrementen umgeben. Alfredo Villca, seit 20 Jahren Bergführer und Mitglied des bolivianischen Andenclubs, plädiert für radikales Umdenken: Bergsteiger sollten streng kontrolliert werden und Eintritt für das Gebiet der Salzseen zahlen. Damit, so hofft er, würden Touristen nicht nur qualifizierte Führer, sondern auch den Bau von Toiletten und Hütten finanzieren. Außerdem müssten Besucher gezwungen werden, ihren Müll wieder mitzunehmen. Villca hält das Interesse an Ökologie in den reichen Ländern, aus denen die meisten Touristen kommen, für zweischneidig.
Dubiose Reiseanbieter in Ländern wie Bolivien belegen inzwischen nahezu jede Aktivität unter freiem Himmel mit dem Etikett „ökologisch“ – und die Besucher glauben es gerne. Dabei ist kaum zu übersehen, dass einige der „ökologischen Hotels“ am Ufer des Titicacasees ihre Abwässer direkt in das über 3.000 Meter hoch gelegene Binnenmeer einleiten. Und in der tropischen Region des Chapare an der Grenze zu Brasilien ist eine riesige Urwaldfläche gerodet worden, um für ein „ökologisches“ Fünfsternehotel einen Golfplatz anzulegen.
Zu den wenigen Agenturen, die den Ruf haben, tatsächlich Reisen im Sinne der Umwelt und der Bevölkerung anzubieten, gehört das Unternehmen Fremen mit Sitz in der Hauptstadt La Paz. Versprechungen, todsicher wilde Tiere zu sehen, oder Fototermine bei Indianern, die fürs Tanzen bezahlt werden, gibt es bei Fremen nicht. Stattdessen wird der Kontakt zur Bevölkerung gesucht, was aber oft weniger spektakulär ist. Davon profitieren auch die besuchten Indianergemeinden, da sie am Verkauf der Touren beteiligt sind.
Mike Ceaser/LN
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