: Blind und blauäugig
Nachdem zwei seiner Laienschauspieler wegen Doppelmordes vor Gericht stehen, meldet sich Lars Norén erstmals in der „Nazitheater“-Debatte zu Wort ■ Von Reinhard Wolff
Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen geht in Stockholm seit Anfang November ein Prozess gegen drei Neonazis über die Bühne. Sie sind des Bankraubs und des Mordes an zwei Polizeibeamten angeklagt. Ausgeführt in den Mittagsstunden des 28. Mai 1999 nahe dem kleinen südschwedischen Ort Malexander. Ginge es nach Teilen der schwedischen Medienöffentlichkeit, müsste die Anklage eigentlich erweitert werden. Und zwar auf die Verantwortlichen für die Inszenzierung eines Theaterstücks – wegen Beihilfe zum Mord.
Zwei der nun auf der Anklagebank Sitzenden hatten ihre Tat nämlich im Umfeld der Proben und der Aufführungen von Lars Noréns „7:3“ vorbereitetet und die Kontakte zu MithelferInnen geknüpft. Vorbereitungen, die so aus dem Gefängnis heraus, in dem sie einsaßen, kaum möglich gewesen wären. Die zwei Neonazis waren vom staatlichen „Riksteatern“ als Laienschauspieler engagiert worden, die sich als Neonazis auf der Bühne selbst spielten.
Es war die mörderische Nachgeschichte, die das sowieso schon kontrovers diskutierte Theaterstück „7:3“ (vgl. taz vom 11. 3. 1999) in der Öffentlichkeit endgültig diskreditierte. Zur Durchführung der Gewalttat, die vermutlich zur Auffüllung der Kampfkasse der braunen Gruppe „Nationalsozialistische Front“ dienen sollte, waren beide Schauspieler unmittelbar nach dem 27. Mai, als der Vorhang der letzten Vorstellung gefallen war, aufgebrochen.
Dass die Hauptdarsteller nach beendetem Engagement mit Schnellfeuerwaffen just das in die Tat umsetzten, was sie von der Bühne herab gepredigt hatten, nämlich Hass, Gewalt und Terror: Etwas Schlimmeres kann einer Aufführung, der vorgeworfen wird, widerwärtigste Nazipropaganda auf die Bühne eines staatlichen Theaters gebracht zu haben, wohl kaum passieren.
Dem ersten Kritiksturm an seinem Stück war Lars Norén mit Schweigen begegnet. Nach Bekanntwerden der Mordtat stellte er zusammen mit der Chefproduzentin Isa Stenberg seinen Platz als künstlerischer Leiter am Riksteatern zur Verfügung. Als ihm von dessen Leitung das Vertrauen ausgesprochen wurde, blieb er freilich. Sein Schweigen auch zurFolgegeschichte von „7:3“ brach er erst im zeitlichen Zusammenhang mit dem Prozessbeginn gegen seine beiden Ex-Schauspieler.
Bei den Planungen für ein neues Theaterstück, das um das Thema Resozialisierung kreisen sollte, war er Mitte 1998 von einem Gefangenen des Hochsicherheitsgefängnisses von Tidaholm kontaktiert worden, der ihm von einem Theaterzirkel berichtete, den verschiedene Gefangene gegründet hatten. Bei einem Besuch stellte sich schnell heraus, dass zumindest zwei der Gefangenen überzeugte Nazis waren. Doch Norén vermeinte dennoch hier ein geeignetes Resozialisierungsprojekt gefunden zu haben: „Wir glaubten, dass wenigstens der eine von ihnen auf dem Weg war, den Nazismus hinter sich zu lassen, und dass die Theaterarbeit hierzu beitrug.“
Warum machte Norén nicht auf der Stelle kehrt, als der ideologische Hintergrund seiner Laien- wie Selbstdarsteller offenbar wurde? „Mein primäres und tiefstes Motiv kam aus einer persönlichen Angst. Einer Angst vor Gewalt, Bösem und Hass. Wenn ich wagen würde, dort hineinzugehen, zu verstehen, was diesen Hass verursacht hatte, konnte ich vielleicht Herr über meine eigene Angst werden. Das andere Motiv war, Menschen zu schildern. Das ist ja mein eigentliches Thema. Daran habe ich seit 40 Jahren gearbeitet. [...] Warum wird ein junger Mann trotz seiner Kenntnisse über die furchtbaren Verbrechen dieser Ideologie deren Anhänger und Aktivist? [...] Als einer von ihnen sagte, er sei Nazi – hätte ich da aufstehen und gehen sollen und es dabei bewenden lassen sollen? Ich weiß nicht. Ich machte es jedenfalls nicht. Ich blieb und redete. Ich sah eine Wirklichkeit, die es im Knast von Tidaholm offenbar geben darf, nicht aber auf einer schwedischen Theaterbühne.“
Norén gesteht ein, möglicherweise tatsächlich zu blauäugig gewesen zu sein. Er habe geglaubt, es müsse auch für diese Nazis seitens der Gesellschaft mehr geben können, als sie nur zu bestrafen. Und er glaube dies auch jetzt noch. Er habe in der Bühnenrolle seines Alter Egos „John“ den Neonazis klarzumachen versucht, dass sie nicht mehr länger Nazis sein müssten. „Es war völlig sinnlos, ab einem gewissen Punkt eine ideologische Diskussion zu versuchen. Das hätte überhaupt nichts geändert.“
Er habe sich von dem Stück eine Diskussion über Verbrechen, Strafe, Nazismus und Strafvollzug erwartet: „Stattdessen ernteten wir Hass.“ Und man sei selbstverständlich davon ausgegangen, dass es eine ordentliche Kontrolle und Überwachung seitens der Strafvollzugsbehörde bezüglich der Gefangenen gab. Für deren offenbar viel zu lange Leine könne man nun wirklich nicht auch noch verantwortlich gemacht werden.
In seinem Erklärungsversuch, den Leif Zern, einer seiner schärfsten Kritiker, in der Tageszeitung Dagens Nyheter als „Selbstbeweihräucherung ohne Ende“ abtut, enthüllt Norén erstmals, dass er „7:3“ eigentlich nur als einen Teil einer Arbeit zum Nazi-Thema gesehen habe. Im Frühjahr 1999 hatte er mit Vorarbeiten zu einem weiteren Stück begonnen, das Lars Hron zum Thema haben sollte. Einen 16-Jährigen, dem eine Horde von Neonazis vor einigen Jahren auf grausamste Weise den Schädel eintrat, weil er sich geweigert hatte „Sieg Heil“ zu schreien. Nur eine der vielen, aber eine der furchtbarsten Gewalttaten, welche Neonazis in den letzten Jahren im idyllischen Schweden verübten: „Wir waren uns einig, dass wir ein anderes Bild als das von '7:3‘ zeigen mussten. Ein Bild der Konsequenzen des Nazismus. Ein Projekt über deren Opfer.“ Nach der empörten Aufnahme von „7:3“ in der schwedischen Öffentlichkeit hätten verschiedene Seiten ihm dringend davon abgeraten, dieses Stück in Angriff zu nehmen, und er werde es daher auch nicht tun.
Seit Wochen schweigen sich nun die beiden Ex-Laienschauspieler, die von der Bühne herab engagiert ihre braune Botschaft heruntergeschrien hatten, auf der Anklagebank aus. Jede Frage nach dem politischen Hintergrund ihrer Gewalttat wird mit Abstreiten oder einem „Kein Kommentar“ beantwortet. Bei der Erörterung ihrer Taten oder in der Konfrontation mit ZeugInnen, reagieren sie mit einer scheinbar unzusammenhängenden Mischung aus Kaltschnäuzigkeit und plötzlichen Gefühlsausbrüchen. Die Frage, ob Norén mit seinem Unterfangen nur abprallte oder womöglich doch eine Schneise in die Gedankenwelt eines Tony Olsson und eines Andreas Axelsson geschlagen hat, scheint trotz ihrer im braunen Sumpf gefeierten Tat – „Heil Malexander“ ist dort zum bevorzugten Gruß geworden – noch nicht beantwortet.
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