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Massenmorde an Sudetendeutschen“

So ist ein nicht autorisierter Beitrag im aktuellen „Vogtland-Jahrbuch 2000“ betitelt. Es folgen ausgiebige Passagen über bestialischen „Kommunisten“, die 1945 auf der Suche nach „Ortsleitern“ und „Kreisleitern“ der Stadt Kaaden in Notwehr kostbares deutsches Blut vergossen hatten. Anonymus fühlt sich auch als Opfer, weil eine tschechische Zeitung neulich ganz schön frech war: „Kein Deutscher hat Tschechen ermordet oder ausgebeutet. Ganz im Gegenteil. Es wurden Industrieanlagen geschaffen wie die Hermann-Göring-Werke in Oberleutensdorf (Litvinov), von denen die Tschechen noch heute profitieren. Sollte der Kommentator allerdings auf Lidice angespielt haben, so muss festgestellt werden, dass dieses Massaker einzig und allein der Exilpräsident Benes zu verantworten hatte, der von England seine Fallschirmagenten nach Prag schickte, um den Reichsprotektor ermorden zu lassen ... Dass er für diese Aktion von Hitler keinen Orden bekommen würde, wusste Benes genau.“ Der herausgebende Vogtländische Heimatverlag Plauen resümiert: „Es ist also Bewegung gekommen in die Aufklärung von Massakern an Sudetendeutschen, und dass man die Sudetendeutsche Landsmannschaft sowie den Bund der Vertriebenen in die Ermittlungen eingeschaltet hat, ist positiv zu bewerten.“

Es handelt sich nun beim „Vogtland-Jahrbuch“ keineswegs um irgendein neurechtes Zirkular mit einstelliger Auflagenhöhe, sondern um das maßgebliche und allseits beliebte Verlautbarungsorgan für Regionalhistorie. Wie hatte der Verlag noch gleich einleitend gefragt? „Ethnische Säuberungen gibt es nicht erst seit den Ereignissen in Jugoslawien ... Die Massenmorde an der sudetendeutschen Zivilbevölkerung 1945 vor unserer Haustür, wen interessiert das noch?“ Wäre nicht besser zu fragen, warum das „Vogtland-Jahrbuch“ noch nicht Gegenstand wütender Proteste oder Freudenfeuer geworden ist? Warum gegen den Verfasser nicht wegen Volksverhetzung ermittelt wird? Ach was. Für diese Art Meinungsfreiheit sind die Plauener 1989 doch extra auf die Straße gegangen (vgl. Pfarrer Thomas Küttler: „Die Wende in Plauen“, Vogtländischer Heimatverlag Plauen). Wir gratulieren nachträglich. Michael Rudolf

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