: Fay Wray spukt im Netz
Ein Gespenst geht um in Kunst, Film und Theorie: Die Ausstellung „New Ghost Entertainment – Entitled“ im Kunsthaus Dresden schaltet das Unheimliche mit Traumata von Kriegen und Katastrophen kurz. Bei aller Begeisterung für unnatürliche Phänomene fehlt manchmal jedoch die erzählerische Stringenz
von CRISTINA NORD
Das Bild ist unspektakulär. Eine männliche Gestalt in hellem, dreiteiligem Anzug, der Kopf leicht angeschnitten vom oberen Bildrand, am unteren Bildrand ein Schriftzug. Nichts daran wirkt außergewöhnlich, bis man merkt, dass die Füße des Mannes den Boden nicht berühren. Er schwebt. „Levitation“ heißt das 2005 entstandene Bild der Künstlerin Lisa Maria Auer; gemeint ist die Fähigkeit, sich ohne Hilfsmittel vom Boden zu lösen. Heiligen wurde diese psychokinetische Gabe zugesprochen, und in den der Aufklärung vorausgehenden Jahrhunderten bildete sich in Europa gar eine Levitationslehre heraus. Ein wissenschaftlicher Beweis dafür, dass es Levitation gibt, existiert nicht. Der Text auf Auers Bild lautet: „Seit dem ersten Mal habe ich nie wieder Angst empfunden. Obwohl ich mit Sicherheit schwere Verletzungen davongetragen hätte, wäre ich von den Zimmerdecken herabgefallen, zu denen ich aufgestiegen bin. Ich schwebe in der Regel senkrecht nach oben.“ Frappierend, wie nüchtern sich die Beschreibung eines übernatürlichen Vorgangs liest, wie sachlich der Blick auf den Menschheitstraum, die Schwerkraft zu überwinden, ausfällt.
„Levitation“ hängt im ersten Raum des Kunsthauses Dresden und stimmt somit auf den Parcours der Ausstellung „New Ghost Entertainment – Entitled“ ein. Die von Katrin Pesch kuratierte Schau widmet sich dem Gespenst, mithin einer Figur, die seit kurzem wieder en vogue ist in Kunst, Film und Theorie. Der Titel bezieht sich auf Gespensterschauen, die im 18. und 19. Jahrhundert, zu einem Zeitpunkt also, als Ratio, Analyse und Wissenschaftlichkeit dem Übernatürlichen den Garaus machen wollten, ihr Publikum fanden. Ein wenig wirkt „New Ghost“ wie eine jüngere Schwester von Mike Kelleys groß angelegter Schau über das Unheimliche, „The Uncanny“, die 2004 in Liverpool und Wien zu sehen war. Bei Kelley wie bei Pesch geht es um Phänomene, die überschreiten, was Vernunft und Alltagserfahrung integrieren. Dazu gehören Tod und Sterblichkeit, Gewalt und Krieg, das Grauen, das der Körper auslösen kann, sobald er seine Konturen verliert, oder die Erscheinungen, die neue Medien wie die Fotografie vor 180 Jahren, das Telefon vor 160 Jahren, der Film vor 110 Jahren oder das Internet heute hervorbringen können. Dabei kommt das Unheimliche nicht von außen, wie Siegmund Freud in seinem berühmten, gleichnamigen Essay aus dem Jahre 1919 notierte: „Es mag zutreffen, dass das Unheimliche das Heimliche-Heimische ist, das eine Verdrängung erfahren hat und aus ihr wiedergekehrt ist.“
In vielen der in Dresden präsentierten Arbeiten kommt das Gespenstische genau dann ins Spiel, wenn etwas Verdrängtes wiederkehrt. Denn in der Figur des Gespenstes kann sichtbar werden, was sich in der direkten Benennung nicht aussprechen lässt. Überzeugend geschieht dies zum Beispiel in Shohei Imamuras Beitrag zu dem Kompilationsfilm „11’09’’01 – September 11“, der passenderweise in einem ungemütlichen Kellergewölbe projiziert wird. Ein japanischer Soldat kehrt nach dem Zweiten Weltkrieg in sein Dorf zurück. Seine Gestalt mag die eines Menschen sein, doch sein Wesen hat sich in das einer Schlange verwandelt. Seine Familie sperrt ihn in einem Stall ein. Er fängt eine Ratte und verschluckt sie würgend, nach der Art einer Boa. Offensichtlich ist, dass sich in dem zur Schlange mutierten Mann eine Erfahrung Ausdruck verschafft, die nicht assimilierbar ist.
Offen bleibt dabei, wie sich Imamuras Schlangensoldat zu ähnlichen Phänomenen etwa aus den 70er-Jahren verhält, als im US-amerikanischen Horrorfilm die Schreckensbilder des Vietnamkriegs in den Fratzen von Zombies und Menschenfressern zum Vorschein kamen. Was das Novum der Dresdner Gespenster ist und warum sie uns und unsere Diskurse ausgerechnet jetzt heimsuchen, lässt sich höchstens erahnen: vielleicht wegen der vielen Zivilisationsbrüche, die unsere globalisierte Welt kennzeichnen.
Ein zweites Problem der Ausstellung ist, dass vielen Arbeiten abgeht, was im Kino „suspension of disbelief“ genannt wird. Damit der Betrachter den übernatürlichen Erscheinungen Glauben schenkt, müssen sich Skepsis, Schulwissen und Räsonnement aufheben. Die jeweilige künstlerische Arbeit muss das Übernatürliche mit einer solchen Stringenz verhandeln, dass man umstandslos auf seine angestammte Weltsicht verzichtet. Diesen Effekt verfehlen viele der in Dresden ausgestellten Videos, Bilder und Multimedia-Installationen, weil sie sich zu sehr auf ihr Konzept verlassen.
Aber nicht alle: Ein Hörstück von Frauke Gust und Michaela Wünsch etwa inszeniert ein Internettelefonat der beiden Künstlerinnen, in das sich Fay Wray einschaltet. Die 2004 verstorbene Schauspielerin schrie in der ersten „King Kong“-Verfilmung (1933) so markerschütternd, dass sie den Beinamen „Scream Queen“ erhielt. „Seit ich tot bin“, sagt Fay Wray, „wandere ich rastlos umher.“ Der Raum jedoch, den sich die Geister teilen müssen, werde knapp, deswegen habe sie sich, wie andere auch, einen Platz im Internet besorgt. „Wie unheimlich!“, rufen Wünsch und Gust – und kennen sicherlich den Film „Kairo“ (2001) von Kiyoshi Kurosawa, in dem ein gestaltloses, aber umso größeres Grauen aus dem Netz kommt. Was in dem Hörstück folgt, ist eine Collage aus Filmgeräuschen und Reflexionen über männliches sowie weibliches Schreien im Film: Während jenes – man denke an Tarzan – die Eroberung von Territorium markiert, steht dieses für den Zusammenbruch der Vernunft und den Umschlag in Hysterie. Eine der Spekulationen – der weibliche Schrei stehe „für das schwarze Loch des weiblichen Orgasmus“ – wird verworfen, kaum ist sie ausgesprochen. Zu altmodisch feministisch. Wenn man den Schrei einordnen wolle, dann wohl eher so: Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schreien.
Kunsthaus Dresden, bis 18. Februar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen