: Stock zwischen den Speichen
Juxklub Mainz 05 wähnt sich nach dem Sieg beim Kontrahenten Bochum am Ende der scheinbar unendlichen Talfahrt. Vor Risiken und Nebenwirkungen des seltenen Glücksgefühls im Abstiegskampf wird indes von allen Seiten eindringlich gewarnt
AUS BOCHUM DANIEL THEWELEIT
Jürgen Klopp war auf Entzug. Sechzehn unendlich lange Spieltage hatte Mainz 05 keinen Anlass mehr für ein ausgelassenes Jubelfest geliefert, seit dem ersten Spieltag war der Klub sieglos, bei elf mageren Törchen in der gesamten Hinrunde. Kein Wunder also, dass der Trainer sich da mit der einen oder anderen Ersatzdroge vertraut gemacht hat. In Bochum flogen seine Arme in wilder Jubelgeste umher, wenn es nach einem Zweikampf Einwurf für Mainz gab. Als seine Jungs in der Schlussphase einen Abseitsfreistoß am eigenen Strafraum zugesprochen bekamen, ballte er die Faust und schrie, als sei gerade ein Traumtor zum 3:0 gefallen, und nach dem Abpfiff inszenierte er eine sehenswerte Umarmungsorgie.
In aller Ausgelassenheit feierte Mainz 05 das 1:0 beim VfL Bochum, es war ein Sieg mit befreiender Bremskraft. „16 Spiele, das ist eine verdammt lange Zeit“, sagte Klopp, „aber jetzt haben wir den Stock in die Speichen gehauen, jetzt rennt uns in der Liga erstmal niemand mehr davon“.
Die Talfahrt wurde gestoppt, jetzt ist Obacht gefragt, dass niemand über den Lenker fliegt. Manuel Friedrich hob sogleich mahnend den Zeigefinger: „In der Vorrunde haben wir auch so angefangen, im zweiten Spiel gegen Dortmund haben wir uns dann nicht mehr über ein Unentschieden gefreut, das muss jetzt anders werden“, sagte der Innenverteidiger. Mohamed Zidan, der ägyptische Stürmer, der im Winter aus Bremen zurückgekehrt ist, hat diese Lektion natürlich versäumt. „Jetzt haben wir Dortmund zu Hause, da wollen wir drei Punkte, dann kommt Frankfurt, ein großer Derbytag, wir wollen neun Punkte“, verkündete der Ägypter in seinem fast kindlichen Überschwang. Doch ihm konnte noch nicht einmal Friedrich irgend etwas übel nehmen, denn Zidans Rückkehr hat den Mainzern enorm geholfen. „Ich liebe diese Mannschaft und diese Mannschaft liebt mich“, sagte er, bevor er sich hinter eine Tür zurück zog und laute Gebete in Richtung Mekka sandte.
Auch Christian Heidel war ganz beglückt nach der Heimkehr des Dribblers. „Er hat uns in der ersten halben Stunde mehr Chancen rausgespielt als wir vorher in vier Spielen hatten“, lobte der Manager, während Klopp meinte, „er kann noch viel, viel mehr“. Die Angst der Bochumer vor dem agilen Stürmer war jedenfalls ständig spürbar. Selbst als Zidan müde wurde, verzichtete Klopp zunächst auf eine Auswechselung, „weil wir gemerkt haben, dass die Bochumer sich gar nicht wohl fühlten mit ihm um sich herum“, so der Trainer.
Neben, oder besser hinter Zidan könnte sich aber auch der zweite Neuzugang von der Weser als Glücksgriff erweisen: Leon Andreasen. Der Däne strahlte im zentralen Mittelfeld Souveränität und Sicherheit aus, die Beimischung Bremer Schule war ein elementarer Faktor, mit dessen Hilfe die Niederlagen-Dynamik durchbrochen wurde. Jedenfalls wirkten auch Marco Rose, der das Tor des Tages erzielte (38.), Mimoun Azaouagh, Fabian Gerber und nicht zuletzt der starke Dimo Wache im Tor deutlich verbessert. „In der Hinserie sind die Kleinigkeiten gegen uns gelaufen, heute für uns“, fasste Klopp den Kern der Veränderungen zusammen.
Mainz präsentiert sich nach Wochen des Wundenleckens als starke Einheit, sogar die Fans haben während der Winterpause ein bemerkenswertes Engagement entwickelt. Die „15“, jener Tabellenplatz, der vor dem Abstieg rettet, wurde zur magischen Zahl, der Slogan „Mission Possible: 15“ zum Motto für die Rückrunde erklärt. In den Tagen vor dem Spiel hatten Anhänger Geschichten geschrieben und Videos gedreht, in denen sie erklärten, warum sie Mainz 05 lieben. Diese Werke wurden der Mannschaft präsentiert, „und wem das nicht unter die Haut ging, der ist aus Holz“, sagte Klopp.
Bei der Präsentation dieser Liebesbekundungen wurde eine „gemeinsame Herangehensweise festgelegt“, erklärte Klopp, die Mainzer wollen in keinem Fall jene Entwicklung zulassen, die an vielen anderen Standorten zu beobachten ist, wo die Erwartungshaltung des Anhangs und die realistische Einschätzung der Möglichkeiten oft weit auseinander klaffen. In Mainz wirkt dieses Verhältnis ebenso gesund, wie das Klima in der Mannschaft. Nur eine Nachricht, hat sie dann doch etwas geschockt. Es geht um Perspektiven, um die sportliche Heimstatt: Die versprochene Bürgschaft des Landes für einen Kredit, mit dem ein neues Stadion gebaut werden sollte, bekommt der Klub nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen