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„Es gibt eher weniger Gewalt im Stadion“

Vor allem im Westen geht der Hooliganismus in den Stadien zurück. Doch im Osten explodiert manchmal die Gewalt. Das hat Gründe – soziale Perspektivlosigkeit, aber auch eine kurzsichtige Politik, so der Soziologe Gunter Pilz

taz: Herr Pilz, warum kommt es, wie kürzlich in Leipzig, in den neuen Bundesländern immer wieder zu Gewalt im Stadion?

Gunter A. Pilz: Das hat auch damit zu tun, dass das nationale Konzept „Sport und Sicherheit“ in den unteren Ligen der neuen Bundesländer nicht greift, dass dort aber die großen Traditionsclubs ganz unten herumdümpeln. Die spielen oft in völlig maroden Stadien, haben Ordnungsdienste, die ihren Namen nicht verdienen. Man weiß, dass Lok Leipzig einen Ordnungsdienst hatte, der durchsetzt war von Skinheads, von Rechten und von Hooligans. Zudem gibt es gerade in den neuen Bundesländern viele junge Menschen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, die wegen dieses Mangels an Perspektiven ein schlecht ausgeprägtes Selbstwertgefühl haben. Und das stärken sie, indem sie sich in Gruppen zusammentun und andere verprügeln. Da ist auch sozialer Frust, der sich da entlädt.

Welche Rolle können hier die Fanprojekte spielen?

Sie spielen im nationalen Konzept „Sport und Sicherheit“ eine ganz große Rolle. Sie sind der präventive Part. Das ist ja das Ärgerliche, das Schizophrene, das politisch Kurzsichtige – denn ausgerechnet das Land Sachsen hat sich, um einen Betrag von knapp 100.000 Euro einzusparen, aus der Finanzierung verabschiedet. Das ist typisch für kurzsichtiges politisches Handeln. Und wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, wird nach mehr Polizei gerufen, nach neuen Gesetzen – und mit einem Mal sind sie auch wieder bereit, ein Fanprojekt zu finanzieren.

Wer kann von den Fanprojekten erreicht werden, wer nicht?

Natürlich gibt es welche, die man nicht erreichen kann, dafür ist die Polizei zuständig. Das ist der repressive Teil des Sicherheitskonzeptes.

Und die anderen?

Es gibt ja mehr sozialpädagogische Maßnahmen als ein Fanprojekt. Es ist die Aufgabe der Vereine, Fanbetreuer einzusetzen, um den Fans das Gefühl zu geben, dass man sie ernst und wahrnimmt. Gesellschaft, Freizeitbereiche, Schulbereiche müssen so gestaltet sein, dass junge Menschen auch einmal die Chance haben, zu erfahren, dass sie etwas sind und etwas können.

Wo war diese Sozialarbeit bislang überhaupt erfolgreich?

In den alten Bundesländern gibt es diese Fanprojekte. Wenn man die Entwicklungen von heute mit der Hoch-Zeit des Hooliganismus in den 80er- und 90er-Jahren vergleicht, dann kann man durchaus von Erfolg sprechen.

Einer unkontrollierbare Gewaltwelle schwappt derzeit also nicht durch die Stadien?

Wir haben eher einen Rückgang der Gewalt zu verzeichnen – mit Ausnahme der neuen Länder, wo die Gewalt schon seit Jahren auf einem hohen Level ist. In den alten Ländern hat die Gewalt abgenommen.

Ist bei den jüngsten Ausschreitungen von Leipzig eine neue Spezies Fans auf den Plan getreten?

Nein. Was wir in Leipzig jetzt erlebt haben, kennen wir schon lange, zumindest aus den neuen Bundesländern.

Sie haben den Begriff Hooltra geprägt. Was ist darunter zu verstehen?

Seit einiger Zeit gibt eine neue Kultur, die so genannte Ultra-Kultur. Die Ultras selbst verstehen sich als gewaltlos. Es gibt aber in dieser Ultra-Gruppe vermehrt junge Menschen, die sich ganz offen zur Gewalt bekennen. Da die sich nun einerseits klar zu Gewalt bekennen und andererseits weiter ihr Ultra-Leben führen, sich von daher also von den Hooligans unterscheiden, habe ich sie Hooltras genannt.

In Leipzig haben Augenzeugen davon berichtet, dass alte Hooligans junge Fans zu Gewalttaten angestiftet haben.

Ich weiß nicht, ob das stimmt. Richtig ist, dass wir eine Verjüngung der Szene haben und dass die Jüngeren sich teilweise hemmungsloser und brutaler äußern als die Älteren. Wir wissen zudem von Ultras, dass sie sich mit Gewalttätern solidarisieren, sobald die Polizei einschreitet. Das Feindbild Polizei ist äußerst ausgeprägt. Vielleicht ist es das, was in Leipzig beobachtet wurde.

Was halten Sie von der Rolle des Deutschen Fußball-Bundes bei der Bewältigung des Gewaltproblems?

Er hat die Aufgaben, die im Sicherheitskonzept niedergelegt sind, sogar übererfüllt. Er hat sich sogar bereit erklärt, in den unteren Ligen zu investieren, unter anderem was Fanprojekte betrifft. Wenn sich alle so konsequent an das hielten, was im Sicherheitskonzept niedergeschrieben wurde, hätten wir erheblich weniger Probleme.

Und die Vereine?

Das ist ein Problem. Ein besonders negatives Beispiel in diesem Zusammenhang ist Dynamo Dresden. Die Geschäftsführerin hat auf entsprechende Klagen immer stereotyp geantwortet, dass an den Behauptungen nichts dran sei. Auch Lok Leipzig hat zu lange weggeschaut. Ich hoffe, dass sich das jetzt ändern wird. INTERVIEW: ANDREAS RÜTTENAUER

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