JÖRN KABISCH über DAS GERICHT: Ein anderer Geschmack ist möglich
Heute wird es ernst: Warum der Homo culinarius der eigentliche Homo politicus ist
Diesen Vergleich höre ich in den vergangenen Wochen immer öfter, wenn es um die Haltung zu gutem Essen geht: Was ist das für eine Gesellschaft, in der eine Flasche Motoröl mal locker um die 20 Euro kosten darf, wir aber für eine Flasche Olivenöl eigentlich nicht mehr als 6 Euro auszugeben bereit sind? Ja, was für eine Gesellschaft ist das eigentlich?
Ich war vor kurzem in einer Gesellschaft, in der auch bei 20 Euro pro Liter Olivenöl extra nativ an der Delikatessladenkasse niemand groß mit der Wimper zuckt. Es war vergangene Woche auf einem Berlinale-Event: Schon das Outfit im Kinosaal war vielsagend: Durchschnittliches Opernpublikum ist schlampiger angezogen als die Leute, die sich auf die Designerklappstühle setzten. Eigentlich ziemlich komisch: Sich extra in Schale zu werfen für einen Film, der davon handelt, wie man einfach Karotten schält. Das Filmfestival hatte in diesem Jahr eine Abteilung „Kulinarisches Kino“. Und die zeigte an dem Abend Doris Dörries neuen Film: „How To Cook Your Life“, ein Porträt des kalifornischen Zen-Kochs Edward Espe Brown. Dessen Motto ist: „Wenn du Karotten schneidest, schneide Karotten.“ Davon gleich.
Nach dem Film gab es ein Safran-Risotto aus Graupen, vorher kleine Amuse-Gueule und als Dessert ein gepflegter Talk, moderiert von Alfred Biolek. Alles total stilvoll. Da wurde kulinarischer Genuss als die ganz hohe Kunst zelebriert. So, wie sie schon in manch einem Feuilleton ihren Platz gefunden hat und dort von Komposition, Oeuvre und Interpretation die Rede ist. Warum auch nicht? Schließlich ist Kochen „Die älteste Kunst der Menschheit“, wie Thomas Struck, Leiter der Kulinarischen Kinos, gerne und oft wiederholte.
Und eine Kunst, die sich nicht auf das Schneidbrett beschränken lassen will. Das war auch an dem Abend schön zu beobachten. Das Gespräch kam auf das allgemeine Banausentum und die Feinde des guten Geschmacks: Die Massenproduzenten, die Convenience-Food-Industrie, die gleichzeitig bemitleidenswerten Fast-Food-Junkies. All jene, die an der Abschaffung des überlieferten Wissens arbeiten, wie jeder eine Karotte schneiden, zubereiten und genießen kann. Die Karotte steht für die gute alte Handarbeit, ohne die kein ehrliches Essen wie noch bei Großmuttern auf den Tisch kommen kann. Handarbeit, wie sie leider mehr und mehr zum Luxus wird. Da herrschte allgemeines Kopfnicken unter Leuten, denen für Handarbeit nichts zu teuer ist – sprich: die ein Kochmesser der gehobenen Preisklasse besitzen.
Aber auch dagegen lässt sich nicht viel sagen. Denn beim Thema „gutes Essen“ haben alle einfach nur recht, die sich an die Zeit vor den Sündenfall zurücksehnen, als Essen noch aus dem Kochtopf stammte und nicht aus dem Vakuumbeutel. Vielleicht ist das der Grund, warum niemand was gegen Schwarz-Weiß-Schemata hat und Gut und Böse getrennt sind wie zu Zeiten der Heiligen Römischen Inquisition. Da hallen auf einmal Parolen über die inzwischen leer gegessenen Risotto-Teller, als wäre die Zeit um ein paar Jahrzehnte zurückgedreht worden: „Jeder Akt des Essens ist auch ein politischer Akt“, ruft Doris Dörrie. „Wie viel dir Essen wert ist, zeigt, wie viel du dir wert bist“, sagt der Zen-Koch. Und ein nettes Zitat dazu habe ich auch noch im Programmheft gefunden: „Der Kampf um gutes und gesundes Essen ist so wichtig wie der Kampf für die Vielfalt des unabhängigen Films weltweit“, sagt da Berlinale-Leiter Dieter Kosslick.
Recht haben sie. Natürlich. Applaus, Applaus. Da möchte ich mir doch die Freiheit nehmen, selbst ein paar Parolen anzubieten zum Kampf für mehr Qualität in kulinarischen Dingen, die je nach Alter und Parteisympathie auf mehr oder weniger Sympathie treffen werden. Aber mal ehrlich: Unterschreiben würden Sie die doch alle. Im Angebot wäre „Mehr gutes Essen wagen.“ Oder: „Beim Fleisch – keine Experimente.“ Mein absoluter Favorit aber ist „Un altro cibo è possibile“ – übersetzt: „Ein anderer Geschmack ist möglich“ –, der gerade als Rap auf italienischen Radiosendern läuft. Da könnte selbst ich noch zum Globalisierungskritiker werden.
Fotohinweis: JÖRN KABISCH DAS GERICHT Andere Parolen? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen