Sag zum Abschied zärtlich Charlie

Heinz Rudolf Kunze lässt einen Pfarrer seine Biografie schreiben und stellt sie samt Kulturstaatsminister vor

Er geht bekanntlich seine eigenen Wege und lässt sich nicht aufhalten. Denn Heinz Rudolf Kunze ist nicht zu verletzen. Auch wenn er schon bei leisester Kritik gleich „die Spezies des neudeutschen zynischen Medienarschlochs“ am Werk sieht.

Kunze nämlich ist ganz altdeutsch und weiß, dass er, wo er recht hat, recht hat, und er hat eben immer recht. Um verletzt werden zu können, braucht es Angriffsfläche, Kunze aber hat sich einen Panzer zugelegt, der aus der normalen Künstlereitelkeit heraus nicht zu erklären ist.

Dass er jedoch ausgerechnet am Aschermittwoch von seinen Fans gedemütigt wurde, war lustig. Karl-Heinz Barthelmes nämlich, ein evangelischer Pfarrer, den Kunze zärtlich „Charlie“ nennt, hat Kunzes Biografie geschrieben. Sie heißt, logo, „Heinz Rudolf Kunze – Meine eigenen Wege“. Schon dass Barthelmes seine, Kunzes, als „meine“ Wege beschreitet, zeigt, wie eng beide zusammengearbeitet haben, um 25 Jahre Engagement für die Radio-Deutschquote, literarische Dylan-Mimikry, Musical-Übersetzungen und natürlich ein „Mister Deutschrock“-Dasein zu feiern. Heraus kam denn auch die Hagiografie, die Kunze sich gewünscht hat. Das Buch ist im Gütersloher Verlagshaus erschienen, einem Teil des Bertelsmann Konzerns, das vorwiegend evangelische Fachliteratur veröffentlicht. Kunze, „der jeden Tag betet“, und sein Pfarrersfreund sind dort richtig, nicht nur, weil Kunze gern über die Welt und Gott spricht. Nein, gerade das Piefige, das Gütersloh prägt, passt.

Die Gütersloher hatten in die Berliner Bertelsmann-Repräsentanz geladen, um die Biografie bei Schnittchen und Sekt vorzustellen. Sie konnten dabei nicht einen Moment verhehlen, dass sie mit Nichtprovinziellem nicht klarkommen. Schon das Gebäude selbst, die neu errichtete „Alte Kommandantur“ Unter den Linden, ist vollkommen inhaltsleer, sie vermischt eine plumpe Zuckerbäckerfassade mit einem Beton-Innenleben, in dem einzig der Parvenü großtun kann. Dort nun sprach zunächst Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Er lobte Kunze routiniert dafür, dass er auf Vorschlag der CDU als Mitglied der Bundestags-Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ arbeitet und in dieser Funktion öffentlich „querdenkt“.

Dann sprach der Verlagsleiter, Ralf Markmeier, der sich so sehr freute, in Berlin reden zu dürfen, dass er, ganz besoffen vor Glück, einige Stellen aus dem Buch gleich zweimal zitierte. Dann kam Barthelmes, der nicht umhinkonnte, erst Stendhal anzurufen, der die originale Alte Kommandantur kurz bewohnt hatte, um hernach Kunze und Kafka miteinander zu vergleichen. Kunze habe zudem Shakespeare „kongenial“ übersetzt. Goethe, Cervantes und Dante blieben leider außen vor. Nach diesem allzu peinlichen Lob blieb Kunze nichts anderes übrig, als zu betonen, dass man wohl nicht genug Abstand zu ihm gefunden habe. Es war ihm immerhin doch peinlich, dass die, die er auserwählt hatte, ihn als Genie zu preisen, ihn allzu schamlos Genie nannten. JÖRG SUNDERMEIER