: Verbieten verbieten
Mehr Permissivität bitte! Und weniger Weltuntergang! Die Klimadebatte sollte keine alten Fehler wiederholen
Es ist viel von Verboten die Rede in diesen Tagen. Der adäquate Begleitsound zu den düsteren Tönen, in denen die globale Zukunft gemalt wird, so scheint es. „Wir haben noch 13 Jahre …“, paraphrasiert die Bild die Ergebnisse des UNO-Klimaberichts, in dem festgestellt wird, dass es ein Zeitfenster nur noch bis zum Jahr 2020 gebe, den Klimawandel zu verlangsamen. „Autofahren nur noch für Reiche“ und „Stoppt den Rinderwahnsinn“, hieß es auf der Titelseite der taz, um zu unterstreichen, dass angesichts der vorliegenden Zahlen niemand zur Tagesordnung übergehen dürfe. So weit das Großszenario: der Planet, seine Zukunft und wir.
Man braucht kein ausgewiesener Libertärer zu sein, um dem autoritären Gestus zu misstrauen, der diesen Rufen zu Grunde liegt – es reicht, in den Achtzigern aufgewachsen zu sein. So viel Weltuntergang, wie damals beschworen wurde, gab es gar nicht an Schöpfung, die hätte kaputt gehen können. Ja, Verbotsforderungen können ihren Sinn haben, als Moment, das Diskurs stiftet, als Motor der Bewusstseinsbildung, als Betonen der Frontlinie in einer Debatte. Denn am Ende sind sie in einer liberalen Gesellschaft eben nichts anderes als genau das: Gesten. Sie sind Teil des großen demokratischen Selbstverständigungsprozesses, sie werden eingespeist in die Meinungsfindung, in die legislativen Prozesse, in die Entscheidungen der Exekutive.
Aber eben nicht nur. Das obsessive Beschwören der drohenden Apokalypse, das sich in den Achtzigerjahren als Weltrettung ausgab, hat eben nicht nur zum Atomausstieg geführt. Es hatte genauso eine massive lebensstilistische Absetzbewegung zur Folge. Die relative Ruhe um ökologische Themen in den Neunzigern dürfte auch eine Reaktion auf den moralischen Furor gewesen sein, mit dem diesen Themen Gewicht verliehen worden war. Bis heute übrigens. Kleiner Selbstversuch: Man befrage sich und sein soziales Umfeld, ob man Ökostrom hat, und wenn nicht, warum nicht. Eine vernünftige Verneinung dieser Frage gibt es nicht. Wer etwas gegen die Klimapolitik der amerikanischen Regierung hat, kann nicht rational begründen, warum er seinen persönlichen Kioto-Vertrag nicht unterzeichnet hat. Dennoch ist die Ökostromrate immer noch gering. Autoritäre Gesten haben das Problem, sich leicht von ihren Inhalten zu lösen. Niemand mag gerne belehrt werden. Da lässt man es lieber bleiben mit dem Ökostrom, bloß um sich nicht gemein zu machen mit Leuten, deren Haltung einem auch sonst nicht passt.
Nun war in den letzten Tagen nicht nur viel von Verboten die Rede. Auf anderen kontroversen Feldern zeigt sich derzeit eine ganz erstaunliche Permissivität. Nicht nur in der Familienpolitik, wo sich der Konsens durchzusetzen scheint, als Familie das zu begreifen, wo Kinder sind. Die Reaktionen auf die Äußerungen des Augsburger Bischofs Mixa zeigen, wie pragmatisch diese Debatte längst geführt wird: Mixa markiert nichts weiter als ihren autoritären Rand.
Interessanter noch die Klage, die ein sächsisches Geschwisterpaar vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht hat. Die beiden leben zusammen, haben auch Kinder, zwei davon sind behindert, und sie klagen gegen den Paragrafen 173 des Strafgesetzbuchs, der den Beischlaf unter erwachsenen Geschwistern mit bis zu drei Jahren Haft ahndet. Dies, so argumentieren die Kläger, widerspreche dem Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung von Erwachsenen.
Eine Gesellschaft, die in der Lage ist, das Inzestverbot auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, die also den (laut Freud) basalen Akt der Kulturstiftung zum Objekt einer Verhandlung machen kann, sollte in der Lage sein, anders über den Klimawandel zu reden als in autoritären Anrufungen oder Hilferufen aus dem Abgrund. Natur heißt heute Umwelt, was nichts anderes bedeutet, als dass auch sie Teil der kulturellen Verhandlungsmasse ist. Hinter diese Erkenntnis sollte keine Debatte zurückfallen, egal wie das Wetter ist. TOBIAS RAPP
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