: Die Gunst der grünen Stunde
Martin Scorsese siegt überzeugend, George W. Bush bekommt Schelte, und auch ans Energiesparen wird gedacht: Zum 79. Mal wurden in Los Angeles die Oscars verliehen
Der bitterste Moment im Leben eines amerikanischen Politikers kommt, wenn die Präsidentenwahl gelaufen und eine Niederlage einzugestehen ist. Die „concession speech“ ist meistens kurz und höflich, und im Idealfall fühlt sich die Nation hinterher „geheilt“ von den Wunden des Wahlkampfs. Bei den Oscars bleibt den sieglosen Nominierten dieser schwierige Moment zum Glück erspart. Stattdessen sprechen gleich die glücklichen Preisträger. Bei der 79. Ausgabe der Academy Awards in der Nacht zum Montag gab es viele Sieger – darunter auch Florian Henckel von Donnersmarck aus Deutschland –, aber nur zwei echte Gewinner: Martin Scorsese und Al Gore.
Der italoamerikanische Regisseur bekam für „The Departed“ die lange erwarteten Oscars für besten Film und beste Regie. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat bekam für seinen Dokumentarfilm „An Inconvenient Truth“ ebenfalls einen Oscar. Vor allem aber bekam er Redezeit, und er nutzte sie perfekt: Wenn die Gunst der grünen Stunde nicht täuscht, dann könnte Al Gore bald wieder ein Kandidat sein. Zwar war das selbstironische Spiel mit der Ankündigung einer „wichtigen Ankündigung“ nur eine kleine Reverenz an die enorme Öffentlichkeit, die bei den Oscars jedes Jahr geschaffen wird. Unübersehbar war dabei aber, dass es allmählich wieder zu einer reellen Option für den „inspirational leader“ Gore wird, es mit der Kandidatur für die Präsidentschaft noch einmal zu versuchen, vielleicht noch nicht im nächsten Jahr.
Der geduldige Martin Scorsese könnte ihm dabei ein Beispiel sein. Er bezeichnete „The Departed“ als „meinen ersten Film mit einem Plot“ (übernommen aus dem Hongkong-Hit „Infernal Affairs“) und gewann damit in seinem ureigensten Metier, dem männerbündischen Gangstergenre. Es ist eine späte Auszeichnung, wenn man in Rechnung stellt, dass die besten Filme von Scorsese von „Raging Bull“ bis „Casino“ in der zentralen Disziplin nie reüssieren konnten. Die Academy hat in diesem Jahr recht salomonisch abgestimmt, aber an den entscheidenden Punkten hat sie ein Statement gesetzt: Hollywood hat sich an diesem Abend als globale Leitkultur definiert.
Dazu passt, dass der jahrzehntelange Außenseiter Scorsese ausgerechnet von seinen alten, schon früher erfolgreichen Freunden Steven Spielberg, George Lucas und Francis Ford Coppola den Oscar überreicht bekam. Dazu passt aber auch, dass der Preis für die besten Hauptdarstellerin an die Engländerin Helen Mirren (mit „The Queen“) und der Preis für das männliche Pendant an den Afroamerikaner Forest Whitaker ging, der in „The Last King of Scotland“ den Diktator Idi Amin zu beängstigendem neuem Leben erweckt. Dazu passt schließlich, dass selbst Borat, die Nervensäge der Globalisierung, eine markante Erwähnung bekam. In der Kategorie „bestes adaptiertes Drehbuch“ war er zwar chancenlos gegen William Monahans „The Departed“, aber der naheliegende Versprecher vom „war of terror“ kam noch einmal zu Ehren – auch dies fast eine sentimentale Invektive gegen George W. Bush, den Hauptfeind der vergangenen Jahre.
In diesem Jahr war der Blick nach vorn gewandt. Die Oscars waren „grün“, das heißt, dass die gesamte Zeremonie nach den neuesten Erkenntnissen des Energiesparens organisiert war. Die Scheinwerfer waren deswegen nicht weniger gleißend. Die lesbische Entertainerin Ellen DeGeneres führte entspannt durch den Abend. George Clooney präsentierte sie mit den Worten: „Er verdrängt die Tatsache, dass wir nie zusammen sein können.“ Der vielleicht bewegendste Moment kam, als Clint Eastwood, der mit „Letters from Iwo Jima“ bis auf eine technische Disziplin leer ausging, neben dem Komponisten Ennio Morricone stand, der eine Auszeichnung für sein Lebenswerk (von „Once Upon a Time in the West“ bis „In the Line of Fire“) bekam. „Zu dieser Musik in eine Stadt zu reiten, ist das Größte“, sagte Eastwood, der in den Filmen von Sergio Leone zu Starruhm gekommen war. Dann übersetzte er Morricone aus dem Italienischen: „Dieser Preis ist für mich kein Ziel, das ich erreicht habe, sondern ein Ausgangspunkt.“ Der Optimismus in dieser Rede war nicht gespielt, sondern der Gunst der Stunde geschuldet. Hollywood inszenierte sich mit den 79. Oscars in jeder Hinsicht als erneuerbare Energie. BERT REBHANDL
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