: „Die Museen waren auch Täter“
„Nazi Looted Art“, das „Handbuch Kunstrestitution weltweit“ von Gunnar Schnabel und Monika Tatzkow klärt darüber auf, wie andere Länder mit der Rückgabefrage von geraubter Kunst umgehen. In diesem Vergleich macht Deutschland keine gute Figur
INTERVIEW BRIGITTE WERNEBURG
taz: Gerade empörte sich Georg Baselitz auf einer Pressekonferenz bei Contemporary Fine Arts, hier in Berlin …
Gunnar Schnabel: Ja, er sagte, Berlin verschenkt Bilder.
Berlin kann nur Bilder verschenken, die der Stadt gehören. Wie war das im Fall Kirchner, den Baselitz ja meint?
Gunnar Schnabel: Zivilrechtlich wurde das nie geprüft. Wir unterscheiden ja in unserem Buch ganz sauber zwischen zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Ansprüchen. In den Gesetzen, die die Alliierten nach 1945 erließen, galt der Grundsatz der Rückgabe. Nach der sogenannten Radbruch’schen Formel sind die entschädigungslosen Enteignungen von rassisch oder politisch Verfolgten in der Nazizeit rechtlich null und nichtig. Das heißt, die Betroffenen haben ihr Eigentum nie verloren und können es entsprechend zurückfordern. Davon sind nicht nur öffentliche, sondern auch private Sammlungen betroffen.
In Deutschland griff, sofern die Vermögensgegenstände vernichtet oder in Folge des verlorenen Kriegs nicht verfügbar waren, die finanzielle Entschädigung in Geld. Die Bundesrepublik wollte damit vorangegangenes staatliches Unrecht wiedergutmachen. Diese öffentlich-rechtliche Wiedergutmachung ändert aber nichts daran, dass die während der Nazizeit verfolgten Alteigentümer ihr Eigentum nie verloren haben. Und gerade im Zivilrecht verjähren in den meisten Ländern Eigentumsansprüche eben nicht. Deutschland ist eine Ausnahme und Holland.
Monika Tatzkow: Der Fall Kirchner ist in dieser Hinsicht nie geprüft worden. Etwa, ob Thekla Hess überhaupt befugt war, das Bild zu verkaufen. Erbe war der Sohn Hans Hess.
Hätte Carl Hagemann, der das Bild 1936 kaufte, nachprüfen müssen, ob Thekla Hess die Eigentümerin war? Wie sollte er darauf kommen, dass nicht die Witwe des Sammlers, sondern der Sohn Erbe war?
Gunnar Schnabel: Akzeptiert. Ein gutgläubig rechtswirksamer Erwerb war auch von der nichtberechtigten Thekla Hess möglich. Aber dieser Sachverhalt ist vom Brücke Museum so nie vorgetragen worden. Man muss die Sachverhalte exakt aufklären. Es wird immer so getan, als sei die juristische Ebene schwierig, das ist sie nicht. Schwierig ist die Sachverhaltsebene.
Wenn Sie sagen, die juristische Ebene sei nicht schwierig, würde ich naiverweise annehmen, auch die Frage nach den Sammlern sei nicht so schrecklich schwierig. Wer kaufte denn damals deutsche Moderne? Das war doch nur eine Handvoll Sammler?
Monika Tatzkow: Das waren mindestens vier Hände voll, wenn nicht mehr. 1928 gab es die Ausstellung der Nationalgalerie „Neuere deutsche Kunst aus Berliner Privatbesitz“ im Kronprinzenpalais, da fanden sich neben den großen Sammlern auch sehr viele kleinere, die heute völlig unbekannt sind. Die hatten nicht nur einen Kirchner an der Wand hängen, die haben fünfzehn bis zwanzig Werke der Moderne an die Nationalgalerie geliehen. Ein Feininger, der heute in der Neuen Nationalgalerie ist, hing auf dieser 1928er-Ausstellung; obwohl der Name des Leihgebers auf der Rückseite steht, ist er bis heute unbekannt. Aber Sie haben insofern recht, dass man die halbe Handvoll ganz großer Sammler und ihren Kunstbesitz kennt. Aber selbst hier wird die Provenienz erst seit den 90er-Jahren genannt.
Aber Alfred Hess war ein solcher großer Sammler?
Gunnar Schnabel: Den Kirchner hätte man binnen Stunden ermitteln können. Ich frage mich, was das Brücke Museum seit 1999 getan hat, als es sich verpflichtete, eigene Provenienzforschungen durchzuführen. An deren Notwenigkeit bestand doch, gerade bei einem Museum, in dem nur „entartete Kunst“ hängt, keinerlei Zweifel – zumal bei den Topbildern. Warum hat sich der Freundeskreis nicht für eine Stelle für die Provenienzforschung engagiert?
Die Haltung der Museen ist wirklich schwer verständlich. Sie waren teilweise ja selbst Opfer der Naziplünderungen. Sie müssten doch Verständnis für die Erfahrungen der Alteigentümer haben?
Gunnar Schnabel: Im Rechtssinn waren sie keine Opfer. Die entschädigungslose Enteignung „entarteter Kunst“ in den Museen durch die Nazis betraf ja Staatseigentum. Der Staat als Täter kann sich nicht auf Nichtigkeit berufen, selbst wenn er im Einzelfall gewissermaßen auch Opfer war. 1948 hat der Denkmal- und Museumsrat auch auf sämtliche Ansprüche verzichtet. Damals wurde gesagt, wir sind die Täter und können jetzt nicht daherkommen und die Kunstwerke von denen zurückfordern, die sie gekauft und auch gerettet haben. Aber die Museen waren auch ganz eindeutig Täter und nutzten die Chance, eine Vielzahl von Kunstwerken, die den Nazis genehm waren, aus geplünderten Sammlungen in Holland etwa oder Frankreich zu erwerben. Und sie waren Täter nach 1945, als der von den Nazis geraubte Bestand nach Deutschland zurückkam und die Museen sich daraus bedienten, ohne sich um die Provenienz zu kümmern.
Monika Tatzkow: Das ist der Hauptgrund, warum heute wenig recherchiert wird, kaum Kooperationen eingegangen werden und viele Archive geschlossen bleiben.
Handhaben das im Vergleich andere Länder besser?
Gunnar Schnabel: Da wir international tätig sind, haben wir Fallbeispiele aus rund 30 Ländern aufgenommen. Der Vergleich ist ein zentraler Punkt in unserem Buch. Wenn Sie nämlich sehen, wie kanadische Museen mit Raubkunst umgehen oder auch Privatstiftungen in den USA, das öffnet einen ganz anderen Horizont.
Wir sagen nicht, im Ausland sei alles besser. Aber es lässt sich Grundsätzliches festhalten. Auch ein Bild, das wie der Kirchner erst nach drei oder vier Weiterveräußerungen erworben wurde, wird in den USA oder in England, Ländern, die nun wirklich nichts mit den Nazis zu tun hatten, grundsätzlich restituiert. Das ist moralische Selbstverständlichkeit. Bei uns heißt es erst mal: Welches Gesetz verlangt das? Das war auch in Österreich lange so. Deshalb musste Alma Mahler-Werfel 50 Jahre um ein Bild streiten, das ihr juristisch eindeutig zustand und das ihre Enkelin jetzt tatsächlich bekam. Das mag auch mit Mentalitäten zu tun haben: In den USA gehen den Museumsbesuchern immer wieder Bilder verloren, einfach weil sie das Museum verkauft. Dadurch mag sich die Öffentlichkeit mit einem Verlust leichter tun.
Monika Tatzkow: Mentalitätsmäßig wird das hier tatsächlich anders empfunden als in Amerika. Deshalb erwarte ich aber auch, dass die Kommunikation anders aussieht. Die Museen müssten ihre Geschichte öffentlich machen. Das stört uns vor allem, dass keiner über den Sammler, der doch Leihgeber war, womöglich Mäzen, und sein Schicksal spricht. Wie kam sein Bild überhaupt in das Museum, von dem es heute zurückgefordert wird?
Stattdessen werden Rechtsanwälte vorgeschickt. Hätte man von Museumsseite nicht allen Grund, persönlich zu antworten, persönlich vorzusprechen?
Monika Tatzkow: Der Umgang spielt eine große Rolle. Aber auch die Frage, inwieweit das Museum schon durch eigene Forschung aktiv wurde und vorbereitet war.
Gunnar Schnabel: Die Atmosphäre ist vergiftet, wenn sich das Museum tot stellt. Wer nicht weiß, wo sein Bild zu finden ist oder gegen wen er Ansprüche erheben kann, der geht natürlich zu Finanziers wie den großen Auktionshäusern. Dann braucht er einen Anwalt und einen Historiker, der das recherchiert. Wenn die erst alle im Boot und die Honorarforderungen auf dem Tisch sind, ist der Zug in der Regel abgefahren. Dann gibt es nur noch Konfrontation.
Dann jammern die Museen über den Anwalt aus der Park Avenue, den sie sich selbst zuzuschreiben haben. Hätte das Brücke Museum 1998 recherchiert und festgestellt, der Kirchner kommt aus der Sammlung Hess und die Erbin lebt in London; hätten sie gesagt, wir besuchen sie oder laden sie ein und sprechen über das Thema: Ich bin mir sicher, der Kirchner wäre noch in Berlin.
Es gibt also immer Chancen auf eine Einigung?
Monika Tatzkow: Eigentlich ist die Konfrontation die Ausnahme, selbst dort, wo das Museum seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, sich aber aufgeschlossen und kooperativ zeigt. Meistens bleibt dann in gegenseitigem Einvernehmen wenigstens eines von mehreren beanspruchten Werken im Besitz des Museums.
Gunnar Schnabel: Das Klischee, dass die jüdischen Erben grundsätzlich nur an der maximalen Verwertung interessiert seien, deckt sich nicht mit der Realität. Im Regelfall kam es zu vernünftigen Einigungen. Oft blieb das Werk im Museum, und es wurden Beträge gezahlt, die weit unter dem liegen, was die Erben bei Sotheby’s oder Christie’s hätten erzielen können.
Welche Rolle spielt der Kunsthandel? Der ja auch Täter war, in der Nazizeit und später?
Monika Tatzkow: Der Kunsthandel hat dazugelernt. Die großen Häuser haben Forschungsstäbe für die Provenienzrecherche eingerichtet. Allerdings, wenn sie den neuesten Sotheby’s-Katalog vom Februar aufschlagen, da sind drei, vier, fünf Werke von Liebermann, mit Provenienzlücken von über 50 Jahren, auch im fraglichen Zeitraum, da wundere ich mich natürlich.
Gunnar Schnabel: Infizierte Bilder, etwa aus privatem Besitz, sind über den Kunsthandel nicht mehr zu veräußern. Das merken inzwischen auch die kleineren Häuser. Sie vor allem müssen ihre Rechercheanstrengungen vergrößern.
Es geht nicht nur um „Nazi Looted Art“. Der Irakkrieg hat dem Antikenmarkt große Mengen von Raubkunst zugeführt. Trotz des Prozesses gegen Marion True vom Getty Museum – wird sich etwas ändern?
Gunnar Schnabel: Nach der Washingtoner Konferenz haben viele Länder – Deutschland übrigens nicht – ihre Gesetze ergänzt, was die Unverjährbarkeit von Ansprüchen auf abhanden gekommene Kunstwerke betrifft. Damit gibt es das juristische Instrumentarium, Raubkunst heute international zu ächten. Washington hat interessanterweise zu einer Professionalisierung im Umgang mit Raubkunst aller Art geführt. Und ebenso das Internetzeitalter, das die Möglichkeit eröffnete, Ross und Reiter zu nennen. Sobald ein Bild in der Lost Art Database gelistet ist, ist es nicht mehr marktfähig. Das zwingt zur Professionalisierung, eine enorme Entwicklung, die vor sechs Jahren noch nicht denkbar war. Das wird sich auf jede Art des Kunsthandels auswirken.
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