Kann man die Stasi so zeigen?

ja

Der Stasi-Film „Das Leben der Anderen“ hat die eingerosteten Fronten in der Stasi-Debatte gelockert. Mehr kann man von einem Film kaum verlangen.

„Das Leben der Anderen“ haben in Deutschland 1,7 Millionen Leute gesehen. Das ist bemerkenswert, weil diese 1,7 Millionen einen Low-Budget-Film von einem unbekannten Regisseur über ein kompliziertes zeitgeschichtliches Thema sehen wollten. Dieser Erfolg war kein Ergebnis einer millionenschweren, trickreich inszenierten PR-Kampagne. Er war unvorhersehbar, ungeplant. Ebenso wie der Oscar.

Dieser Erfolg hat einen Mangel bloßgelegt. Er zeigt, dass es ein Vakuum in der Beschäftigung mit der Stasi und der DDR gibt. Um die Beliebtheit dieses Films zu verstehen, muss man sich die beiden vorherrschenden Stasi-DDR-Diskurse vor Augen führen. In den Bildern des populären Kinos, wie etwa in „Sonnenallee“, und den Ostalgie-Shows der Privatsender war die DDR Stoff für eine Travestie, bevölkert von dummen Grenzsoldaten und dem Personal von Teeniekomödien. Die DDR war eine bizarre Alltagswelt, voll von harmlosen Merkwürdigkeiten.

In dem zweiten Diskurs, der vor allem die Neunzigerjahre beherrschte, war die Stasi Chiffre für das Böse. Die Stasi-Debatte war oft engherzig, manchmal, wie im Fall Heiner Müller, in einer seltsamen unbewussten Spiegelung der Stasi, selbst Mittel zur Denunziation. Die Stasi-Debatte war dabei auch ein Instrument, mit dem der Streit zwischen Westlern und Ostlern ausgetragen wurde. Grob gesagt warfen die Westler den Ostlern vor, ihre Vergangenheit zu verschleiern – während die Ostler einfach keine Lust mehr hatten, sich vor arroganten Western für alles rechtfertigen zu müssen. Die Stasi-Debatte, so der Historiker Lutz Niethammer, war „schwarzweiß gemalt, sehr moralisch und personalisiert“. Oft blockierte sie Erinnerung. Die Flucht in die DDR-Travestie war eine verständliche, wenn auch verbogene Antwort auf die überfrachteten IM-Debatten.

„Das Leben der Anderen“ hat in dieser Lage gewissermaßen das Fenster geöffnet. Der Film zeigt nicht Alltag oder Diktatur, sondern beides. Er banalisiert nicht, wie die DDR-Alltags-Komödie, und dämonisiert nicht. Er zeigt das trostlose, graue Geschäft eines Stasi-Offiziers, der einen Schriftsteller bespitzelt. Und er endet als Märchen: Denn zersetzt wird nicht der Künstler von der Stasi – zersetzt wird der Glaube des Stasioffiziers an den Staatssozialismus. Mit diesem Kunstgriff, Macht und Ohnmacht umzudrehen, den Spitzel als geheimen Dissident zu träumen, entgeht „Das Leben der Anderen“ der Falle, die Geschichte in Gut und Böse zu rastern. Und zeigt nebenbei, dass die Stasi-Akten nicht immer die Wahrheit sagen müssen und auch im Herzen des Apparates moralische Entscheidungen möglich waren. (Das imprägniert ihn dagegen, etwa in den USA als Nachfolger des Nazifilms gelesen zu werden.)

„Das Leben der Anderen“ ist ein Kammerspiel, fern von Überwältigungsästhetik. Er verflüssigt die Stasi-Klischees, ohne schönzufärben, und öffnet ein Spiel mit Identifikationen. Das ist der Schlüssel des Erfolges. Vielleicht war die Naivität und obsessive Neugier eines Unbeteiligten wie Florian Henckel von Donnersmarck nötig – eines Westlers, der beim Mauerfall 16 Jahre alt war –, um die ausgetretenen Pfade des DDR-Stasi-Themas zu verlassen.

Wo also ist das Problem? Im Jahr 2006 lief „Das Leben der Anderen“ nicht als deutscher Wettbewerbsbeitrag auf der Berlinale. Warum nicht? Warum fällt es so schwer, das Produktive dieses Films zu erkennen?

Stimmt, Regisseur von Donnersmarck ist mit einem Selbstbewusstsein gesegnet, das von Hybris kaum zu unterscheiden ist. Aber darum geht es nicht. Es geht um einen kulturkritischen Reflex, der längst zur Routine herabgesunken ist – nämlich dass Erfolg zu misstrauen ist. Ein deutscher Thriller, der auch noch eine politische Geschichte erzählt, steht da gewissermaßen unter Generalverdacht.

Nein, wir brauchen keine ästhetische Normierung auf ein Mainstream-Kino. Aber erst recht keine auf ein Kino, in dem formaler Avantgardismus alles ist – und gut gebaute Geschichten nichts zählen.

Es gibt viele deutsche Filme, die das Politische parasitär benutzen, um bedeutsamer zu wirken, und in denen Zeitgeschichte nur Kulisse ist. „Das Leben der Anderen“ gehört nicht dazu.

Fotohinweis: Stefan Reinecke, 48 Jahre alt, ist Autor der taz und schreibt vor allem über Politik. In den Neunzigerjahren war er Filmredakteur beim Freitag.

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Human Touch reicht nicht, will man im Kino etwas über die Methoden der Stasi zutage fördern. Dem Film „Das Leben der Anderen“ ist jeder analytische Zugang verloren gegangen.

Politik ist im Kino untrennbar mit Form verbunden. Berühmt ist das Diktum Jean-Luc Godards: „Kamerafahrten sind eine Frage der Moral.“ Berühmt ist auch ein Text des französischen Filmemachers Jacques Rivette aus dem Jahr 1961. Darin wird anschaulich, was Godard so vehement vertritt. Rivette denkt über eine Szene aus „Kapò“ nach, einen im Konzentrationslager spielenden Film aus dem Jahre 1959. Eine Insassin des Lagers begeht Selbstmord, indem sie sich in einen elektrisch aufgeladenen Stacheldrahtzaun wirft. „Der Mann“, notiert Rivette, „der in diesem Moment entscheidet, ein Travelling nach vorne zu machen, um die Leiche in Untersicht zu filmen, darauf achtend, die erhobene Hand genau in der oberen Ecke seiner Schlusseinstellung zu platzieren, dieser Mann verdient nichts als die tiefste Verachtung.“ Weshalb? Weil er den Schrecken über die Konzentrationslager der effektvollen Einstellung opfert, weil er das Leid der Figur ausbeutet und noch aus dem Bild einer Leiche Profit schlägt.

Mit solcher Rigorosität streitet heute niemand mehr übers Kino – gerade dort nicht, wo es am nötigsten wäre, dort, wo sich Filme politischen Sujets widmen. Stattdessen begnügt man sich mit einer recht schlichten Logik. Als begrüßenswert gilt, wenn sich ein Regisseur eines wichtigen politischen Themas annimmt, der Film ein großes Publikum findet und das Thema in der Folge neue Aufmerksamkeit erlangt. Für Florian Henckel von Donnersmarck und sein Spielfilmdebüt „Das Leben der Anderen“ greift genau diese Logik. Es ist ein Film über die Stasi, über ein Sujet mithin, das die politische Diskussion zuletzt vernachlässigte. Noch vor einem Jahr konnten einstige MfS-Mitarbeiter ihre Taten öffentlich bagatellisieren, ohne dass es nennenswerte Widerrede gab. Nach der Premiere von „Das Leben der Anderen“ im vergangenen März kam dem Thema neue Sensibilität zu. Jetzt, da Henckel von Donnersmarck sich über den Oscar für den besten fremdsprachigen Spielfilm freut, wird die Auseinandersetzung weitergehen.

Seltsam daran ist nur, dass das Politische in „Das Leben der Anderen“ als Schwundstufe seiner selbst auftritt. Man muss nicht so weit gehen und dem Regisseur vorwerfen, er arbeite mit unmoralischen Kamerafahrten. Doch jede Trennschärfe, jeder analytische Zugang gehen verloren, da „Das Leben der Anderen“ zu jener Spielart von Erzählkino gehört, die politische Sachverhalte als menschlich nachvollziehbar darstellt. Bei Henckel von Donnersmarck speist sich diese menschliche Motivation bisweilen aus dem Geist der Schmierenkomödie. Der Überwachungsvorgang gegen einen der Protagonisten, den Schriftsteller Dreymann (Sebastian Koch), wird in Auftrag gegeben, weil ein SED-Minister die Frau Dreymanns begehrt und den Rivalen ausschalten will. Dass eine Stasi-Existenz trist ausfällt, führt der Regisseur mit einer Szene vor Augen, in der der Agent Wiesler (Ulrich Mühe) jämmerlichen Sex mit einer Prostituierten hat. Zu dieser zuallererst am Human Touch interessierten Perspektive passt die Verwandlung Wieslers. Wenn er vom Spitzel zum Schutzengel wird, so zeigt dies, dass Läuterung möglich ist, solange es nur einen menschlichen Kern gibt, der durch die Begegnung mit der Kunst, der Liebe und den Gedichten Brechts angerührt werden kann. Diese Form des Humanismus ist ziemlich billig zu haben, sie fördert weder Reflexion noch Erkenntnis. Aber sie hat den unschlagbaren Vorteil, in Hollywood wie unter den Mitgliedern der Deutschen Filmakademie wohl gelitten zu sein.

Was aber vermittelt „Das Leben der Anderen“ darüber, wie die DDR 1984 funktionierte, oder darüber, welcher Logik Überwachung folgte und folgt? Was sagt der Film über das Verhältnis von Künstlern zum Regime, und umgekehrt, über das Verhältnis des Regimes zu den Künstlern? Wenig bis nichts. Es fehlt die ästhetisch-analytische Durchdringung des Sujets wie sie etwa Audrey Maurion und Eyal Sivan mit ihrem Essayfilm „Aus Liebe zum Volk“ (2004) geleistet haben. Der Film „Das Leben der Anderen“ liefert keine Vision davon, welche Möglichkeiten die Fiktion für politische Themen bereithält. Eine andere Produktion – auch sie war in diesem Jahr für den besten fremdsprachigen Film nominiert – hat genau dies vorgemacht: In „Pans Labyrinth“ verbindet der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro die Fantasiewelt einer Elfjährigen mit Faschismus im Spanien des Jahres 1944. Del Toro entwickelt einen eigenständigen, komplexen Kosmos in der Fiktion, Henckel von Donnersmarck folgt mit Geschick und Effizienz dramaturgisch ausgetretenen Pfaden. „Pans Labyrinth“ bietet die Vielschichtigkeit von Kunst, „Das Leben der Anderen“ die Sicherheiten und die Kurzschlüsse gehobenen Arthouse-Kinos.

Fotohinweis: Cristina Nord, 38, ist seit 2002 Filmredakteurin der taz. Ein gelungenes Beispiel für einen Film über die Stasi ist für sie „Aus Liebe zum Volk“ von Eyal Sivan und Audrey Maurion.