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Raus aus der Nische!

Integration wird in der aktuellen Debatte zu sehr auf die Frage der Herkunft reduziert. Dabei geht es doch darum, wie Einwanderern der Marsch in die Institutionen gelingt

Haben die Probleme mit der Integration denn gar nichts mit fehlender Chancengleichheit zu tun?

Kürzlich wurde ich für ein Hochglanzmagazin porträtiert. Der zuständige Redakteur nannte mir als Ort für das geplante Foto-Shooting ein Hamam, ein türkisches Bad, in Berlin und fragte: „Das kennen Sie doch sicher?“ Leicht belustigt, leicht verärgert erwiderte ich, dass ich in meinem Leben noch nicht in einem Hamam gewesen wäre und auch nicht vorhätte, dies mit über 50 Jahren noch zu ändern. Daraufhin entschuldigte sich der Redakteur, er habe mich als türkischstämmige Abgeordnete nur in einer möglichst „authentischen“ Umgebung ablichten lassen wollen: „Das verstehen Sie sicher.“

Ich verstehe, und ich verstehe mit den Jahren immer besser. Viele kleine Erlebnisse dieser Art haben mir gezeigt, dass ich doch die „exotischste Abgeordnete meiner Fraktion“ zu sein scheine, wie es ein Kollege im Bundestag einmal formulierte. Früher habe ich mich noch gefragt, was an mir eigentlich so exotisch sein könnte? Mittlerweile trage ich mein Exotentum halb trotzig, halb amüsiert mit Fassung.

Fremdzuschreibungen dieser Art gibt es viele, und sie kommen nicht nur von einer Seite. Kürzlich wurde ich etwa mit 24 türkischstämmigen Abgeordneten aus diversen Ländern der EU nach Ankara eingeladen. Als Gäste des türkischen Außenministers Gül tauschten wir uns artig über die EU und die Perspektive eines Beitritts der Türkei aus. Allerdings hätte ich dies mit anderen, nicht türkischstämmigen Kollegen hier oder an einem anderen Ort genauso gut oder genauso schlecht machen können.

Politische Verortungen sind nicht an die Herkunft gebunden; und politische Gemeinsamkeiten existieren nicht per se aufgrund irgendeiner geteilten Herkunft. Doch bis dato wird man als Migrant in diesem Land in ein ethnisches Korsett gezwängt. Die Frage ist nur: Wie eng müssen wir uns dieses Korsett schnüren?

Egal ob als Abgeordnete, Friseur, Professorin oder Automechaniker – für jeden stellt sich die Frage, was er aus der Zuschreibung, die ihn von außen als „Türken“, „Russen“ oder „Afrikaner“ definiert, so macht. Nimmt man diese Zuschreibung an? Lehnt man sie ab? Oder deutet man es um? Politisch gesprochen heißt das: Wie geht man damit um, wenn einem die Mehrheitsgesellschaft vorwirft, man sei selbst schuld an seiner angeblich mangelhaften Integration? Muss man das kritiklos annehmen und die Schuld bei sich selbst suchen? Oder muss man nicht kritisch eine Haltung hinterfragen, die mangelnden Bildungserfolg von Migrantenjugendlichen allein an ihrer vermeintlichen Herkunft festmacht? Sollte man nicht auch nach strukturellen Gründen für die fehlende Chancengleichheit für Migrantenjugendliche im deutschen Bildungssystem fragen?

Das Thema der ethnischen Zugehörigkeit ist zentral für die Debatte um Integration. Jüngst hat der Journalist Birand Bingül in der Zeit an die „Deutschtürken“ appelliert. Seiner Meinung nach sollten sie sich über alle sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Grenzen hinweg zusammentun, um für ihre bessere Integration zu streiten. Aber geht das überhaupt? Die Stoßrichtung ist ja sehr zu begrüßen: raus aus der Nische, rein in die Mitte der Gesellschaft. Aber für meinen Geschmack schwingt bei Bingül ein wenig zu stark die Idee von Integration als eine Art Einbahnstraße mit: etwa, wenn er davon spricht, die Türken müssten nur ihre angebliche „Opferhaltung“ aufgeben, dann klappt’s auch mit der Integration. Vor allem aber ist ein Aktionsbündnis zur Integration, wie er es vorschlägt, meiner Meinung nach schlicht unrealistisch und auch nicht wünschenswert.

Zum einen sind die ökonomischen, sozialen und kulturellen Lebenswelten und politischen Interessen der als „Deutschtürken“ bezeichneten Menschen viel zu unterschiedlich. Was hat ein schwuler Kurde mit einem Funktionär eines türkisch-muslimischen Verbandes gemeinsam? Oder, anders herum: Ein türkischer Hochschullehrer hat mit einem deutschen Hochschulprofessor sicher mehr Gemeinsamkeiten als mit einem türkischen Fließbandarbeiter, was seinen Alltag, den Lebensstil, aber wohl auch seine politische Haltung betrifft. Oder wie es Robert Musil schon 1921 formuliert hat: Wir sind Kapitalisten, Proletarier, Geistige, Katholiken – und in Wahrheit viel mehr über unserer Sonderinteressen und über alle Grenzen hinweg verflochten als untereinander. Der deutsche Bauer steht dem französischen Bauern näher als dem deutschen Städter, wenn es darauf ankommt, was ihre Seelen bewegt.

Der Rest ist weekend ethnicity: Man kennt sich und trifft sich vielleicht beim „Fest des Vereins der Malatyastämmigen“, einer Provinzstadt in Anatolien, und lässt es sich einen Abend lang bei Tanz und Musik gut gehen. In unserer heutigen Zeit ist die ethnische Zugehörigkeit oft zu wenig mehr als einer Art Wohlfühlfaktor geschrumpft. Dessen Bedeutung darf nicht unterschätzt werden, schließlich ist Wellness heutzutage ein wichtiges Bedürfnis. Aber über Einkommen, Wohnraum, Arbeit und Ausbildungsplätze entscheidet es nicht. Natürlich gibt es sie, die berühmten Bindestrich-Identitäten, und die ethnische Zugehörigkeit ist ein Teil davon. Aber für die meisten doch eben nur ein untergeordneter Teil unserer Identität. Wer die ethnische Herkunft zur Grundlage des politischen Handelns machen will, der stärkt erst jene Fremdzuschreibungen und Kategorien, die er doch eigentlich überwinden will.

Der WDR-Journalist Birand Bingül fordert ein „Aktionsbündnis“ aller Deutschtürken. Das ist der falsche Weg

Ein Aktionsbündnis aller „Deutschtürken“ würde nicht in die Mitte der Gesellschaft führen. Im Gegenteil, es würde die ethnische Nische stärken, auch „Parallelgesellschaft“ genannt. Denkt man das Modell zu Ende, so müsste es neben einer „Türkenpartei“ auch eine „Russenpartei“ und eine Polenpartei geben, und wir bräuchten Schulen für die unterschiedlichen Gruppen. Was darin aufscheint, ist das Modell einer kommunitaristischen, entlang ethnischer Trennlinien separierten Gesellschaft. Das ist eine Sackgasse, die wir nicht wollen können.

Dem steht das republikanische Modell entgegen: eine Einwanderungsgesellschaft, in der weder die Einheimischen noch die Zugewanderten ihre Identität allein aus ihrer ethnischen Herkunft ableiten und die sich auf einen geteilten Verfassungspatriotismus stützt. In dieser Gesellschaft könnte sich jeder und jede, gleich welcher ethnischen Herkunft, seine und ihre Identität selbst definieren. Sie könnten das ethnische Korsett beiseite legen und sich ein passgenaues, bequemes Kleid schneidern.

Dazu sollten sich die Eingewanderten aber nicht immer neue Organisationen ausdenken, in denen sie sich zusammentun könnten. Vielmehr sollten sie den Marsch durch die bestehenden Institutionen antreten. Dass dies längst geschieht, zeigen die vielen türkischstämmigen Abgeordneten, die inzwischen vor allem bei der SPD und den Grünen – aber auch bei CDU, FDP und Linkspartei – im Bundestag, in regionalen Gremien und Landesparlamenten sitzen oder sich in Gewerkschaften, Unternehmerverbänden und sozialen Verbänden engagieren: Sie sind dort längst keine Exoten mehr. LALE AKGÜN

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