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„Die RAF ist kein ‚Tatort‘-Krimi“

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) über den RAF-Rummel – und warum er dabei trotzdem mitmischt

GERHART BAUM (FDP), 74, war von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister im Kabinett von Helmut Schmidt (SPD). Nach der Wende der FDP zur CDU schied er aus der Regierung aus.

taz: Herr Baum, wie erklären Sie sich das große Medieninteresse am „Deutschen Herbst“ nach dreißig Jahren?

Gerhart Baum: Zum einen ist es die Magie der Bilder. Die RAF hat immer geschickt ihre Taten für die Öffentlichkeit inszeniert. Fotos wie das von Hanns-Martin Schleyer mit dem RAF-Schild prägen sich ein, schaffen geradezu Stereotype, auf die die Medien immer wieder zurückgreifen. Ich finde allerdings, dass dieser Jahrestag überstrapaziert, die RAF sozusagen auf das Jahr 1977 reduziert wird, was nicht stimmt. Das war nur ein Ausschnitt, wenn auch ein wichtiger. Die Zeit davor und danach gerät aus dem Blickfeld. Zudem wird dieser Jahrestag wie ein Event aufgebaut. Das stört mich, weil es nur eine verengte Betrachtungsweise zulässt.

Der „Baader-Meinhof-Komplex“ soll nächstes Jahr von Bernd Eichinger und Stefan Aust als Kinospektakel verfilmt werden. Was halten Sie von solchen fiktionalen Produktionen, die die Ereignisse wiedergeben wollen?

Solche Inszenierungen missfallen mir. Auch in einigen Fernsehfilmen, in denen beispielsweise der Krisenstab nachgespielt wurde, ist mir zu viel Pathos und zu wenig Geschichte dabei. Mich stößt schon ab, wenn ich die Akteure, mit denen ich in meinem politischem Leben zusammengearbeitet habe, durch Schauspieler dargestellt sehe. Damit kann ich nicht umgehen. Auch manche Serien in den Illustrierten stellen nur das Spektakuläre in den Vordergrund. Und nicht das, was wirklich passiert ist – und warum es passiert ist. Die RAF lässt sich nicht als „Tatort“-Krimi inszenieren.

Was sollte denn gezeigt werden?

Es muss überhaupt nicht so viel gezeigt werden. Es sollte erklärt werden. Menschen, die diese Zeit interessiert, sollten vor allem lesen – neuere Forschung und Publikationen sind dabei ganz wichtig. Denn das Interesse an der RAF ist nicht nur hervorgerufen durch die RAF selbst, sondern durch die gesamte damalige Zeit, in der die RAF einen kleinen Ausschnitt darstellt als eine Art Zeitprodukt eines linken Protests. Die gesamte Reformphase, die mit dem Synonym „68“ beschrieben wird, ist ungeheuer vielschichtig und unverarbeitet: angefangen bei der sozialliberalen Koalition und dem Abbau autoritärer Strukturen über die demokratischen Reformen, die die Verkrustungen der Adenauer-Zeit überwanden, oder die neue Ostpolitik bis hin zur Frauenbewegung. Es gibt die verschiedenen Facetten der Protestbewegung, deren Anliegen sich teilweise mit den vorher genannten Entwicklungen vermischen: Initiativen gegen den Vietnamkrieg, gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen die Atomrüstung. Manche dieser Auseinandersetzungen werden bis heute geführt. Und so aktuell wie damals ist auch heute die Frage: Wie geht man mit Terrorismus um? Respektiert man dabei die Grundwerte der Verfassung?

Sie waren damals selbst Zielscheibe der rechtskonservativen Medien.

Ja, die Regierung wurde angegriffen: Wir hätten zu wenig getan und den Boden für den Terrorismus bereitet. Wir würden nicht die geeigneten Instrumente einsetzen. Das waren ungerechtfertigte Vorwürfe. Wir sind schließlich mit dem RAF-Terrorismus fertig geworden. Jeder, der versucht, Ursachen zu ergründen, gerät bis heute in die Gefahr, als Sympathisant diffamiert zu werden. Es ist ganz offensichtlich, dass die heutige Diskussion über die RAF vor der aktuellen Terrorismusangst stattfindet. Denken Sie nur an Schlagzeilen wie „Schlimmste Terroristin frei“, gemeint war Frau Mohnhaupt. Die Frau wird so dargestellt, als sei sie noch eine Gefahr. Eine ähnliche Diskussion habe ich anlässlich der RAF-Kunstausstellung in Berlin vor zwei Jahren erlebt. Das waren vergleichbare Erregungszustände.

Und heute?

Wer ist denn Christian Klar, dass man sich maßlos über seine Äußerungen in einem im Grunde zu vernachlässigenden Grußwort erregt? Ein kaputter Mensch, der sein Leben durch schreckliche Taten verpfuscht hat. Heute geht es darum, wie die Gesellschaft mit ihm umgeht, ob man Gnade für ihn prinzipiell ausschließt. Ich respektiere die Entscheidung des Bundespräsidenten, die sicherlich nach sorgfältiger Prüfung entstanden ist, obwohl ich die Gründe nicht kenne, weil sie noch nicht bekanntgegeben worden sind. Das Verhalten der CSU dagegen war der Versuch einer respektslosen Einflußnahme auf den Bundespräsidenten.

Durch die fehlende Aufarbeitung der Geschehnisse scheinen viele Akteure auch heute noch öffentlich mit sich zu hadern. Klaus Kreimeier führt das Beispiel Klaus Bölling an, der in einem taz-Interview eine ganz andere Position eingenommen hat als in der Talkrunde bei Maybrit Illner.

Das ist möglich. Bölling ist in einer schwierigen Zeit der Mann an der Seite von Schmidt, er ist kein Terrorismusexperte. Ich teile auch seine Meinung nicht, dass Weimarer Zustände zu befürchten gewesen wären. Unsere Demokratie war stark und den Herausforderungen gewachsen.

Das Fernsehen wäre doch eigentlich ein ideales Medium, um der breiten Masse das Thema klarzumachen?

Grundsätzlich ja, und es soll ja auch verschiedene Themenabende geben, an denen mit dem Thema sorgfältiger umgegangen werden soll. Wenn die Öffentlichkeit in diesem Jahr nur durch Knallfrosch-Diskussionen beeinflusst würde, das wäre sehr schade. Das Thema eignet sich nicht zum kurzen Schlagabtausch.

Aber Sie selbst waren doch erst kürzlich Gast bei der Christiansen-Talkshow, die eher unsachlich verlief, etwa mit den polemischen gegen Sie gerichteten Äußerungen von Bettina Röhl, der Tochter von Ulrike Meinhof.

Die Moderatorin war total überfordert, die Runde falsch zusammengestellt und die Sendung ein Paradebeispiel, wie man ein Thema nicht behandeln sollte.

Dennoch sind Sie beim Talkshowmarathon zur RAF ein gern gesehener Gast und werden in diesem Jahr sicherlich noch einiges zu tun bekommen. Warum machen Sie mit?

Ganz einfach: Dieses Feld ist mir zu wichtig, um es anderen allein zu überlassen.

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