Vermittler zwischen den Religionen

Mustafa Cerić, 57, ist Träger des diesjährigen Theodor-Heuss-Preises. Als Reisu-l-ulema ist er die höchste religiöse Autorität der Muslime in Bosnien und Herzegowina FOTO: AFP

Heute erhält Mustafa Cerić in Stuttgart den diesjährigen Theodor-Heuss-Preis für sein Wirken als Vermittler zwischen Islam und dem Christentum. Er ist der Reisu-l-ulema, die höchste religiöse Autorität der Muslime in Bosnien und Herzegowina. 1950 in Gradačac geboren, spricht Cerić mehrere Sprachen, und sein Lebensweg führte ihn nicht nur an die arabische Universität in Kairo, wo er Theologie und Philosophie studierte, sondern auch in die USA. Er promovierte an der Uni von Chicago.

Als er während des Krieges 1992 zum Reisu-l-ulema gewählt wurde, erwartete ihn die wohl schwierigste Zeit seines Lebens. Denn in dieser Zeit der Bedrängnis war er für die bosnischen Muslime nicht nur Religionsführer, sondern auch eine politische Figur, an der sich viele orientierten. Als Bosnien von Serbien und zeitweise auch von Kroatien angegriffen und die muslimische Bevölkerung von Genozid bedroht war, nahm Mustafa Cerić zwar gerne die Hilfe der islamischen Welt an, doch behauptete er auch die europäische Identität der bosnischen Muslime.

Das sei nicht immer ganz leicht gefallen, sagte er später einmal. Denn die Orthodoxen kündigten ihre Gesprächsbereitschaft mit den anderen Religionen in Sarajevo, den Katholiken, Juden und Muslimen zu Beginn des Krieges 1992 auf. Und andererseits kamen Islamisten ins Land, die emanzipierte Frauen und europäische Lebensweisen nicht gelten lassen wollten.

Europa habe in Bosnien seine eigenen Werte verraten, indem es der bosnischen Bevölkerung nicht zu Hilfe eilen wollte, sagte Cerić. „Wären Christen in Srebrenica ermordet worden, wäre die Intervention wohl keine Frage gewesen,“ kritisierte er Europa. Dabei sieht er den Islam Bosniens als Teil Europas. „Wir haben uns nach dem Krieg zivilisiert benommen, es gab keine Revanche. Der Islam, der seit 500 Jahren in Bosnien seinen Platz hat, akzeptiert die europäischen Kategorien der Gewaltenteilung im Staat, will Demokratie und Menschenrechte.“

In Bosnien ist Cerić nicht unumstritten. Zu lange, so seine Kritiker, habe er gewartet, um gegen die radikalen Islamisten, die von Saudi-Arabien finanzierten Wahhabiten, vorzugehen, die nach dem Krieg an die 100 Moscheen im Land errichteten. Als 2005 erneut die Wahl des Reisu-l-ulema anstand, bekam Mustafa Cerić nur 180 von 300 möglichen Stimmen. Sein Gegenkandidat warb mit harten Maßnahmen gegen die Islamisten. Und viele nichtreligiöse Muslime lehnen die Betonung eines europäischen Islam ab. Bosnier seien an sich Europäer, sie brauchten die Religion nicht vorzuschieben und sich mit Einwanderern gleichzusetzen. ERICH RATHFELDER