: „Stadtteilschule wird attraktiv“
Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig zum Zwei-Säulen-Modell: Schulen sollen große Freiheit haben. Wichtig sind Kompetenz-Zuwächse. Reine Hauptschulklassen bleiben möglich
ALEXANDRA DINGES-DIERIG, 54, ist seit März 2004 Präses der Behörde für Bildung und Sport. Davor leitete die studierte Volkswirtin und Berufsschullehrerin das Berliner Landesinstitut für Schule und Medien.
INTERVIEW KAIJA KUTTER
taz: Frau Dinges-Dierig, die Bürgerschaft hat das Zwei-Säulen-Modell ab 2009 beschlossen. Ihre Behörde soll erste Schritte dafür einleiten. Ist das schon passiert?
Alexandra Dinges-Dierig: Wir haben jetzt die Vorgehensweise in der Behörde geklärt. Unser Amt für Verwaltung hat den Auftrag, die notwendigen Daten für die Bildung von Stadteilschulen in den Regionen aufzubereiten. Dafür wird eine Übersicht über alle Schulen nach Schulform, Schülerströmen, Größe und Nähe zu einer Oberstufe erstellt.
Wann soll die Diskussion vor Ort beginnen?
Die hat schon begonnen. Wir werden nach den Sommerferien überlegen, wie wir den Prozess gestalten. Da gibt es schwierige Entscheidungen. Zum Beispiel, führen wir die Stadtteilschule langsam aufwachsend mit Klasse 5 ein, beginnen wir auch in Klasse 7 und 11?
Was verändert sich ab 2009 für eine ganz normale Haupt- und Realschule (HR)?
Ich würde gern die HR-Schulen und die Gesamtschulen zusammen betrachten sowie die Aufbaugymnasien. Ganz konkret ändert sich für alle, dass sie das Bewusstsein entwickeln sollen, dass ihre Schule, die Stadtteilschule, künftig 13 Jahre mit den Kindern und Jugendlichen arbeitet. In dieser Schule gibt es an verschiedenen Stellen eine regelhafte Ausstiegsmöglichkeit für Schüler. Der eine kann nach Klasse 9 mit Hauptschulabschluss ausscheiden, der andere nach 10 mit Realschulabschluss, einer nach 12 mit Fachhochschulreife, einer nach 13 mit Abitur. Wobei das Abitur an der Stadtteilschule absolut gleichwertig ist mit dem des Gymnasiums.
Eine HR-Schule lebt in dem Bewusstsein, die Oberstufe der benachbarten Gesamtschule gehöre zu ihr?
Richtig. Wobei wir es schon seit diesem Schuljahr Realschülern ermöglichen, auf diese Oberstufen zu wechseln. Das Zweite, in meinen Augen ganz wichtige, ist, das wir im Schnitt kleinere Lerngruppen haben, die bei 22 bis 22,5 Kindern liegt. Das sind kleinere Lerngruppe als an Gymnasien.
Ihre Vorgängerin Rosemarie Raab sagte mir, sie fürchte eine „bloße Umetikettierung“: Eine HR-Schule heißt zwar Stadtteilschule, aber es ändert sich nichts.
Die Gefahr wäre da, wenn wir nicht noch andere Eckpunkte hätten. Wir stellen an der Stadtteilschule auch Gymnasiallehrer, Berufsschullehrer und Sozialpädagogen ein. Dadurch bekommen wir eine andere Sicht auf die Kinder. Mein Ziel ist, dort die Fachhochschulreife zu verankern, weil dies den Zugang zu attraktiven Bachelor Studiengängen eröffnet. Dafür bedarf es eines anspruchsvollen Praktikums, das wir in Klasse 8 verankern. Und ich stelle mir vor, dass die Hausaufgabenbetreuung als Element der Vereinbarkeit von Familie und Beruf klar im Vordergrund steht. So dass das Kind, wenn es nach Hause kommt, mit allem fertig ist.
Und an Gymnasien helfen die Eltern bei den Hausaufgaben?
Auf dem Gymnasium sollten Kinder eigenständig lernen können. Dort sollte eine Hilfe der Eltern nicht oder nur im Ausnahmefall nötig sein.
Die Enquete-Kommission empfiehlt, die Schulen sollten „dauerhaft auf Formen der äußeren Differenzierung verzichten“. Sehen Sie das auch so?
Ich kann verstehen, dass die Kommission das geschrieben hat. Aber es ist nicht Aufgabe des Ministeriums, zu sagen, wie Lernen vor Ort in der Schule stattfinden soll. Jede Schule ist anders und hat andere Bedingungen. Deshalb wird es von mir keine Vorgabe geben.
Also kann eine Schule weiter Hauptschulklassen bilden?
Wenn sie meint, es ist ihr richtiger Weg: Ja. Dadurch, dass wir Ziel- und Leistungsvereinbarungen treffen und auch diesen Datenkranz mit den Kennziffern aufbauen, werden die Stadtteilschulen sehen, wie sie mit ihrem Konzept bei ihren Schülern ankommen.
Was für Kennziffern?
Zum Beispiel die Zahl der Abbrecher. Das ist für mich ein ganz wesentlicher Punkt, den es zu ändern gilt. Und wir werden die Kompetenzzuwächse der Kinder überprüfen. Da gibt es zum Beispiel in Bereich Lesen sieben bis acht Untertitel, in denen beschrieben ist, was der Schüler kann. So bekommen wir ein Profil, aus dem wir erkennen, ob die Kinder besser werden. Wenn eine Schule sagt, wir machen eine äußere Differenzierung in Klasse 7 und 8, dann kann die Schulaufsicht fragen, wie sehen denn eure Kompetenzprofile am Ende aus?
Sie überlassen viel den Schulen. Sollte man ihnen nicht Best-Practice-Beispiele nennen?
Diese Rolle übernimmt die Schulaufsicht. Sie hat das Systemwissen und die Aufgabe, das weiterzugeben.
Ab 2009 soll es in Hamburg nur noch ein Zwei-Säulen-Modell aus Stadtteilschule und Gymnasium geben, darauf hatten sich CDU und SPD in der bis März tagenden Schul-Enquete-Kommission geeinigt. Am 19. April beauftragte die Bürgerschaft mit den Stimmen der CDU den Senat, mit den „Vorbereitungen“ für dieses neue System zu beginnen. Die endgültige Ausgestaltung hängt vom Ergebnis der Wahl im Februar 2008 ab. KAJ
Experten sagen, man brauche eine gute Mischung: 60 Prozent sollten zur Stadtteilschule gehen, 40 Prozent aufs Gymnasium. Sehen Sie das auch so?
Wir haben momentan eine 50-zu-50-Verteilung. Die Stadtteilschule wird sehr attraktiv, weil sie eine längere Lernzeit bietet. So kann es sein, dass eine ganze Reihe von Eltern sagen, ich habe lieber den 13-jährigen Bildungsgang und dass wir hier eine Verschiebung von 50 zu 50 auf 60 zu 40 erreichen können.
Werden Sie die Ansprüche an das Gymnasium erhöhen?
Wenn Sie genau dasselbe in einem Jahr weniger machen, ist der Anspruch per se größer. An den Gymnasien findet eine Verdichtung statt, was einigen Kindern Schwierigkeiten bereitet, weil sie eine bestimmte Einstellung zum Lernen brauchen. Das hat nichts mit Intellekt zu tun. Es geht darum, ob man ein Kind hat, das in dieser verdichteten Form auch wirklich lernt und dabei glücklich ist.
Mit dem kurzen Abitur sind viele Schüler unglücklich.
Das glaube ich nicht. Wir haben Kinder, die laufen da locker durch.
Wann ist das Zwei-Säulen-Modell ein Erfolg?
Wenn es uns gelingt, die Abbrecherquote auf drei oder vier Prozent zu senken. Und wenn mehr Kinder höherwertige Abschlüsse bekommen. Zwischen 50 und 60 Prozent sollten Fachabitur oder Abitur erreichen. Heute nutzen wir nicht genug aus, was die Kinder und Jugendlichen können.
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