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Ein Preis für alle Klänge

Erfolg ist keine Hexerei: Zum ersten Mal wurde in Dortmund der „Creole“-Musikpreis verliehen. Der bundesweite Wettbewerb soll Weltmusik als eigenem Genre mehr Aufmerksamkeit verschaffen

Von persischem Boygroup-Pop bis zu Hippie-Folk: in Dortmund maßen sich 21 Finalisten aus sieben Bundesländer-Wettbewerben

VON NATALIE WIESMANN

Mariana Sadovska hat ihr dunkelblondes Haar zu einem Kranz nach hinten geflochten; ihr schwarz-grünes Kleid wirft Falten. Die Ukrainerin hat zwanzig Minuten Zeit, um mit ihren Hexengesängen überzeugen. Sie will im Dortmunder Jazz-Club domicil den ersten bundesweiten Wettbewerb um die beste Weltmusik-Band gewinnen, und am Ende die „Creole“-Trophäe in ihren Händen halten.

Ihr Instrument ist ein Harmonium, ein indischer Verwandter des Akkordeons. Harmonie strahlt ihr Auftritt allerdings eher wenig aus: Sadovska interpretiert ukrainische Traditionsweisen über Liebe und Sehnsucht auf extrem schräge Weise: In einem Moment singt sie herzzerreißend wie eine Roma-Sängerin, im nächsten wieder düster wie eine Grufti-Chanteuse, um dann eine kleine Operneinlage zu geben. „Every woman has the potential for being a witch“, raunt sie ins Mikro.

Geschickt spielt Sadovska mit dem Image von Hexen, von Minute zu Minute schlüpft sie in eine andere Frauenrolle. Die ausgebildete Schauspielerin fleht, schreit und jodelt sich hemmungslos in Ekstase – begleitet von jazzigen Piano-Tönen, Kontrabass und Percussion. Die etwa 500 Zuhörerinnen und Zuhörer wirken zunächst erschlagen, um schließlich vor Begeisterung zu johlen.

Für den Geschmack der fast ausschließlich männlich besetzten Jury war der Hexengesang dann wohl doch eine Nummer zu gewagt. Es waren drei andere Teilnehmer, die das international besetzte Gremium am Ende der drei Wettbewerbstage mit 3.000 Euro prämierte: Ein Preis ging an Ahoar aus Nordrhein-Westfalen, eine Band mit irakisch-belgisch-deutschem Hintergrund, die irakische Klassik und westlichen Jazz zu einem meditativen Sound mischten.

Eine weitere „Creole“ erhielt die Leipziger Gruppe Ulman: Die Jury war angetan von der virtuosen Spielweise der Drehleier, sagte sie in ihrer Begründung, auf der Musiker Till Uhlmann auch scratchen kann wie ein DJ; und auch die selbst erfundene, durchsichtige „Ulman“-Trommel, die sich der Percussionist auf den Bauch gebunden hatte, gefiel den Juroren. Gleich zweifacher Sieger wurde die Band Äl Jawala aus Freiburg: Zur Creole gab es für ihren mit Elektro-Rhythmen unterlegten „Balkan-Brass“, der zunehmend die Clubs erobert, auch den Publikumspreis.

Von Donnerstag bis Samstag traten in Dortmund 21 Gruppen vors Publikum. Aus sieben Landeswettbewerben sind sie als Sieger hervorgegangen. Insgesamt bewarben sich in den Bundesländern 1.300 Bands. Ein solch gigantischer Wettkampf in einer Sparte, die in Deutschland noch ein Nischenpublikum bedient, ist bisher einmalig. Ist das vielleicht die Chance, die Musik, die niemand genau definieren oder gegen andere Stile abgrenzen kann, an die Massen zu bringen?

Organisatorin Barbara Ellinghaus ist davon überzeugt. Dennnoch hatte sie als Ausrichterin des Landeswettbewerbs in Nordrhein-Westfalen Mühe, genügend Bewerber zu finden: „Wir haben die Bands in ihren Proberäumen aufgesucht, sie aus Bunkern und Fabrikhallen herausgeholt.“ Aber wenn sich der Wettbewerb erst einmal herumgesprochen habe, so ihre Hoffnung, würden sich beim nächsten Mal mehr Gruppen bewerben.

François Bensignor, französischer Musikjournalist und Mitglied der Jury, hält das Potenzial zwar für steigerbar, aber auch für begrenzt: „Die Creole wird auch in Zukunft nicht die Massen anlocken“, sagt er. In seinem Heimatland Frankreich stagniert der Marktanteil der Weltmusik seit vielen Jahren bei etwa fünf Prozent – traumhafte Quoten im Vergleich zu Deutschland, wie Bernhard Hanneken findet, der künstlerische Leiter des größten deutschen Weltmusik-Festivals im thüringischen Rudolstadt. „In Deutschland ist der Marktanteil verschwindend gering.“ Franzosen hätten aufgrund ihrer Kolonialgeschichte die Klänge aus Übersee oder Nordafrika viel stärker in ihre Musikszene integriert; eine vergleichbare Tradition fehle in Deutschland. Für ihn bietet der Dortmunder Wettbewerb vor allem die Möglichkeit, Netzwerke zu schaffen, aber auch dem Publikum, das Ganze als eine eigenständige Musikrichtung begreifbar zu machen.

Mehr mediale Aufmerksamkeit, mehr Weltmusiker, mehr Networking: Ob das schon reicht, um die Weltmusik künftig stärker in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken? Die 125.000 Euro, die der Bundeswettbewerb gekostet hat, konnten jedenfalls durch Eintrittsgelder allein nicht abgedeckt werden. Finanzielle Unterstützung kam vom Bundesbeauftragten für Kultur und vom Land Nordrhein-Westfalen sowie vom Kultursender WDR 3 und lokalen Akteuren.

Wenn es die nicht gebe, hätten die Fans in Dortmund allerdings einige skurrile Auftritte verpasst: etwa eine Hippie-Kommune aus Niedersachsen, die zu norddeutschem Folk über vergessen geglaubte Exfreunde singt („Du Schuft“). Oder die persische Boygroup Tapesh 2012 aus Bochum, die sich mit ihrem Namen ein ehrgeiziges Ziel gesetzt hat: In fünf Jahren will sie mit ihrem persischen Crossover in Teheran auftreten.

So verschieden die Musikstile, so heterogen war auch das Publikum. In den Stuhlreihen lauschten gesetztere Gäste, wie man sie sonst bei Klassik- oder Jazz-Konzerten antrifft, regungslos und aufmerksam. Von diesen Stuhlreihen fühlte sich ein eher junges Publikum in seiner Tanzlaune ausgebremst. Ihm hätte auch Ulman-Trommler Uli Stornowski gerne mehr Raum gegeben: „Wenn jemand unauffällig die Stühle an den Rand räumt, sagen wir es keinem weiter.“

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