: Gipfel der Gezeichneten
Mit schönen Grüßen aus dem Jenseits: Die Lust am Bösen und die Mystik der Erlösung finden zusammen in den Bildgeschichten von Joe Coleman. Die Kunst-Werke stellen den Amerikaner vor
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Joe Coleman sieht ja selbst ein wenig aus wie eine Figur des vergangenen Jahrhunderts: die Schnurrbartspitzen aufgezwirbelt, spitz der dunkel Bart, hell das Gesicht über dem weißen Hemd. So hat man sich bisher den Detektiv Hercule Poirot vorgestellt und der würde auch ganz gut unter die Wachsfiguren passen, die Coleman in der großen Halle der Kunst-Werke aufstellen ließ. Am Freitag führte er die Journalisten durch sein „Odditorium“, wie er die Sammlung nennt: Hier streichelte er zärtlich die Hand einer heiligen Agnes, die dunkel aus der Kehle blutet, von einem Schwertstoß getroffen, dort erzählte er die Geschichte des Massenmörders Richard Speck, der 1966 acht Krankenschwesternschülerinnen folterte. Den hat Coleman, wie viele seine Sammlungsstücke, aus dem World in Wax Museum in Coney Island erworben. Und dass deren Bildwelt des populären Grusels für Coleman mindestens ebenso wichtig ist wie die sakrale Kunst des Mittelalter, sieht man auf Schritt und Tritt in seiner Ausstellung „Internal Digging“.
Joe Coleman kam als Autodidakt zur Kunst, malte schon als Kind gerne mit viel Rot für das viele Blut Szenen aus Horrorfilmen und den Heiligenbildern der Kirche nach. Er der Zeit setzte er auch mal das Gebäude seiner Schule in Brand. Später nutze er das Malen als Selbsttherapie; doch heute ist er mit seinen beinahe 55 Jahren vor allem ein Künstler, der das Außenseitertum professionalisiert hat.
Zu den Leihgebern seiner Werke gehören die Jim Jarmusch Collection und die Galerie Arndt & Partner, die ihn grade neu im Programm hat; Hollywood kennt ihn eher als die Kunstszene, die ihn erst zu entdecken beginnt. Die Ausstellung in den Kunst-Werken ist seine erste in Deutschland und damit ein schöner Coup der neuen Leiterin des Hauses, Susanne Pfeffer. Denn Colemans bilderreiche Sprache macht auch ein Angebot an alle, für die Kino, Comic und Rummelplatz attraktiver scheinen als Kunstdiskurse.
Er malt mit haarfeinem Pinsel, lupendicke Brillengläser vor den Augen. Damit strichelte er die Feuergarben, die aus explodierenden Kühltürmen zischen am Horizont seines apokalyptischen Bildes „Ecce Homo“ (von 1994). Im Mittelgrund bricht eine eingeschossige Ladenzeile zusammen, wie eine Wildwestfilmkulisse, und in der Mauerlücke des Hong Kong Sea Food erscheint Christus im Lichterkranz. Das kümmert die aber wenig, die vorne im Bild den größten Platz einnehmen, Schwänze lutschend, Drogen spritzend, ausgiebig bewaffnet und heftig zernarbt. Und man weiß nicht, was dem Maler mehr Spaß macht: das Verderben auszupinseln oder das Versprechen der Erlösung. Deshalb erscheint es nicht zuletzt selbstironisch, wenn er sich einmal mit seiner Frau als Weltenrichter auf dem Thron des Jüngsten Gerichts porträtiert hat.
Ein anderes Selbstporträt „I Am Joe’s Fear of Disease“ (von 2001) zeigt ihn in seiner typisch ornamental überladenen Manier als zentrale Figur, die eine Hälfte des Körpers wie in einem alten anatomischen Schaubild von der Haut entkleidet. Die akribische Furcht, mit der sich ein Hypochonder in jedes Detail vertieft, hat den Pinsel geführt. Mehrere Rahmenerzählungen umgeben die Hauptfigur: Man sieht ihn krank im Bett und bei der Obduktion einer Leiche, allerlei Käfer und Gewürm wuseln durch das Bild, mittelalterliche Krankendarstellungen sind eingestreut und Mäuse. Die gehören unbedingt dazu. Denn Teil der Legende, mit der Joe Coleman zum Freak stilisiert wird, ist die Geschichte einer Performance, bei der er lebenden Mäusen den Kopf abbiss.
So. Denn Coleman ist nicht nur aus Spaß und weil eh alle Welt gerne in Filme wie das „Schweigen der Lämmer“ rennt, ein Zeremonienmeister des Bösen geworden. Berühmte Verbrecher wie John Dillinger oder Ed Gein, der seine Mordopfer häutete und damit seine Wohnung dekorierte, ziehen ihn an: Sie sind nicht nur die Helden seiner Porträtserie, sondern werden von ihm als Boten aus einer Welt ohne Glauben und ohne Götter erklärt. Er arbeite sich beim Malen in ihre Geschichten ein, recherchiere in Archiven, erzählt Susanne Pfeffer und betont so die Ernsthaftigkeit seines Anliegen.
Sein „Odditorium“ enthält auch Briefe, die ihm die Modelle seiner Bilder aus dem Gefängnis schickten. Diese gesuchte Verbindung wirkt wie eine Beglaubigung, dass es in den Bildern um mehr geht als um das bloße Nacherzählen populärer Stories. Ein Hauch von Magie und Anverwandlung liegt darin: und tatsächlich will Coleman in den berüchtigten Killern eine Stellvertreter-Existenz sehen. Sie sind für ihn moderne Schamanen, die stellvertretend für uns die dunkle Seite von was auch immer besuchen.
So sieht man in seinem „Portrait of Ed Gein“ (1996), wie die Toten aus den Gräbern auferstehen, ganz ähnlich wie in alten Bildern vom Jüngsten Gericht, und sich auf jenen Mann zubewegen, der auch der Leichenschändung angeklagt war. Vor allem diese Figuren, die das Schauerliche und Bedrohliche mit religiösen Motiven unterlegen, haben es dem Maler und Performer angetan.
Andere Porträts sind der Sexbombe Jane Mansfield, dem Stuntman Indian Larry, der mit dem Motorrad zu Tode kam, Mary Bell, die schon als Kind zur Mörderin wurde, gewidmet. Aber auch verehrte Künstler, wie George Grosz, Edgar Allan Poe, Todd Brown, der Regisseur von „Freaks“, gehören in Colemans Galerie der Außenseiter. Und auch darin erkennt man schließlich so etwas wie den naiven Romantiker in ihm, der seine Helden wie die Ritter der Tafelrunde ständig um sich versammeln muss – zumindest im Bild.
Kunst-Werke, Auguststr. 69, Di.–So. 12–19, Do. 12–21 Uhr, bis 12. August
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