: Aidshilfe aus dem Netz
SPENDEN Statt google.com könnte es bald google.hiv heißen und es werden Spenden für Aids-Projekte per Mouseklick erzeugt – so will ein Sozialunternehmen den Kampf gegen Aids ins digitale Zeitalter führen
Sollte der Plan des Berliner Start-ups dotHIV.org aufgehen, dass große Firmen und Organisationen am Ende ihrer Web-Adresse statt .com oder .org künftig .hiv verwenden, könnte es in fünf Jahren circa 10 Millionen Euro an Fördermitteln für kleine Aids-Projekte auf der ganzen Welt generieren. Gleichzeitig hoffen die Initiatoren, so die öffentliche Aufmerksamkeit für HIV erhöhen zu können und zur Entstigmatisierung der weltweit rund 34 Millionen Menschen beizutragen, die nach Schätzungen von UN-Aids (2010) mit dem Immunschwächevirus infiziert sind.
Wie soll das gehen? Alle Firmen – von Apotheken bis Pornoseitenbetreibern – die sich mit HIV-Infizierten solidarisieren wollen, zahlen jährlich 120 Euro an den gemeinnützigen Verein und können dafür .hiv an ihre Internetadresse hängen. Jeder Klick auf eine .hiv-Website aktiviert eine Mikrospende aus dem Spendentopf, der dreimal im Jahr geleert wird. Zusätzlich können alle User dann per Online-Voting entscheiden, welche Projekte das Geld erhalten sollen.
Realisierbar wurde diese Idee dadurch, dass die kalifornische Verwaltungsbehörde für Internetadressen (Icann) letztes Jahr einen Bewerbungsprozess zur Registrierung neuer Top-Level-Domains (TLD) eröffnete. Mehr als 1.900 Anträge gingen ein – dotHIV.org beantragte als einzige Organisation eine TLD, die ausschließlich einem sozialen Zweck dient. Die endgültige Zusage erwartet Projektleiterin Carolin Silbernagl zwischen Mai und Juli 2013.
Nach ihrem Politikstudium arbeitete die 31-jährige Berlinerin im Stiftungswesen, bis sie 2011 durch den Mediengestalter Philipp Kafkoulas auf die Idee mit der „roten Schleife des digitalen Zeitalters“ kam.
Aber warum gerade HIV? „Es ist das einzige Entwicklungsthema außer Klima mit globaler Relevanz. Es betrifft jeden individuell. Und: Die drei Buchstaben sind ein wirkungsmächtiger Begriff mit einem hohen Wiedererkennungswert über alle Kulturgrenzen hinweg. Deshalb eignet sich HIV perfekt für so ein Domain-Projekt“, erklärt Silbernagl.
HIV ist nicht nur ein sehr sensibles Themenfeld, sondern auch ein milliardenschwerer Charity-Markt. Wer als glaubwürdig gelten will, muss die Emotionen der Betroffenen ernst nehmen und die entsprechenden Vermittler von Anfang an einbinden. „Weil wir zu Beginn so sehr mit uns selbst beschäftigt waren, haben wir das nicht ausreichend berücksichtigt und dafür einige Ohrfeigen kassiert“, gesteht Silbernagl. Eine kam vom Matthias Gerschwitz, Autor des Buchs „Leben mit HIV: Endlich mal was Positives“. Er lebt seit 20 Jahren mit dem Virus und sagt: „Ich halte diese Idee für einen modernen Ablass. Das Problem von HIV besteht heute zum großen Teil nicht mehr aus dem Kampf gegen die Krankheit als solche, sondern um die öffentliche Wahrnehmung der Krankheit und den Umgang mit den Infizierten. Und nun sollen Stigmata über anonyme Klicks abgebaut werden?“
Silbernagl sieht das anders: „Es sind nicht die Klicks, die gegen das Stigma wirken sollen, sondern der sichtbare Auftritt der Unternehmen, die sich neben das Kürzel „HIV“ stellen. Wenn Google google.hiv schaltet, entsteht eine durch das Stigma aufgeladene Spannung, über die die Internetuser stolpern und die zum Nachdenken anregt. Indem sich dieses Prinzip mehrere tausend Male wiederholt, entsteht eine geteilte Solidarität.“
Gerschwitz kritisiert auch, dass die HIV-Thematik auf diese Weise aus dem realen Bewusstsein in die Virtualität abgedrängt wird, was die Aufklärungsarbeit und die Prävention erschwert.
Für Holger Wicht von der Deutschen Aids-Hilfe ist dieses Argument nicht haltbar: „Wer zwischen Realität und Virtualität unterscheidet, hat nicht verstanden, wie Menschen heute ihre Meinungen bilden. Menschen erfahren dort Neuigkeiten, nehmen Bilder auf, diskutieren, lernen. Anders formuliert: Menschen sind online ansprechbar – und das ist eine Chance! Wenn dotHIV ein Erfolg wird, kann es zu unseren Zielen einiges beitragen – finanziell, aber auch durch Bewusstseinsbildung.“
PHILIPP NIEDRING
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