: Unbehaust im Eigenheim
Sommerfrische mit Riesenschnauzer und Eifersucht: In seinem Spielfilmdebüt „Pingpong“ seziert Matthias Luthardt eine bürgerliche Kleinfamilie
VON CLAUDIA LENSSEN
Das Eigenheim als ein emblematischer Schauplatz für kühle Beziehungswirren ist ein beliebtes Leitmotiv im neuen deutschen Film geworden. Ob Christian Petzold mit „Wolfsburg“, Ulrich Köhler mit „Bungalow“ und „Montag kommen die Fenster“, Christoph Hochhäusler mit „Falscher Bekenner“ oder Stefan Krohmer mit „Sommer 04“ – die Kinder der Häuslebauer-Generation erzählen Geschichten, in denen Flure, Treppenhäuser, Küchen und Zimmer, vor allem aber das geordnete Drumherum samt Garten und Garage zu Orten werden, in denen man sich buchstäblich verirrt, einander beobachtet und gezielt aus dem Weg geht. Der Topos, der lange Zeit eine französische Spezialität war, ist im deutschen Kino angekommen.
Wenn nicht unheimlich, so ist es doch ungemütlich in Deutschlands Suburbia. Drinnen und Draußen werden dank des leichteren Equipments als fließende Übergänge inszeniert, als Blickachsen aus dem Fenster, aber selten ins Offene. Stattdessen schaut man in ein weitläufiges Ambiente, das oft seltsam unbelebt erscheint und Gefühle der Isolation, des heimlichen und verheimlichten Begehrens überträgt. In solchen Häusern steigen Leute aus dem Leben aus, für das ihr Heim doch eigentlich gedacht war.
Matthias Luthardt, ein 34-jähriger Niederländer mit Kindheitserfahrungen in Baden-Württemberg, Studienhintergrund in Frankreich und einer Crossover-Ausbildung in praktischer Festivalorganisation (in Tübingen), prominent besetzten Regie-, Drehbuch- und Produktionsworkshops und schließlich einem regulären Studium an der HFF „Konrad Wolf“ in Potsdam, hat sich für sein Spielfilmdebüt an die geläufige Konstellation herangewagt und ihr eine Adoleszenzgeschichte in eigener Tonart abgetrotzt. „Pingpong“ war in diesem Jahr in der „Semaine de la Critique“ in Cannes zu sehen und gewann seither zahlreiche Preise.
Luthardt und seine Koautorin Meike Hauck erzählen vom Zerbrechen vertrauter Muster in einer wohlhabenden Kleinfamilie, als der 16-jährige Paul (Sebastian Urzendowsky) an einem Sommertag im Haus seines Onkels Stefan (Falk Rockstroh) auftaucht und unmissverständlich zu verstehen gibt, dass er gewillt ist, die Ferien mit der Familie zu verbringen. Die Spannungen sind mit dem ersten Moment gesetzt, in dem Stefan und seine Frau Anna (Marion Mitterhammer) den Gast als Störenfried behandeln und ihr eigenbrötlerischer Sohn Robert (Clemens Berg) dieselbe Arroganz an den Tag legt.
Robert, ein snobistisch wirkendes postpubertäres Muttersöhnchen mit besonderem Talent, soll in den Ferien für ein Vorspiel am Konservatorium proben, jeden Tag stundenlang Bach, Chopin und Alban Berg, und das unter den Augen der ehrgeizigen Anna, die mit Roberts Zukunft ihre gescheiterte Pianistinnenkarriere kompensieren will. Clemens Berg, der Darsteller von Robert, meistert seine erste Filmrolle mit der Nonchalance eines Amateurs, wenn er dessen schleichende Versagensangst und tröstende Liebe zum weißen Rum andeutet und im Übrigen die Arbeit an den Nuancen des musikalischen Ausdrucks (immer wieder geht es um Alban Bergs Sonate op. 1) mit seinem Klavierspiel zu einem wichtigen dramatischen Element des Films macht.
Nicht zu vergessen: Das Drehbuch bringt ein groteskes zweites Kind von Anna ins Spiel, ihren schwarzen Riesenschnauzer, mit dem sie sich Umarmungsszenen und Zärtlichkeitsausbrüche leistet, die zusätzliche Eifersuchtsenergien freisetzen.
Das Haus, ein heller, in die Jahre gekommener Bau, ist in Luthardts Film vor allem Leistungszentrum für Robert und Kontrollposten für die schöne, abweisend strenge Anna. Stefan, der klassische Businessmann, nimmt seine patriarchale Rolle zu Beginn am Tisch im Grünen ein und bleibt dann fast bis zum Ende unsichtbar in seiner aushäusigen Geschäftswelt.
Dass diese Familie „Baustellen“ aufweist, liegt buchstäblich vor den Augen von Paul. Der alte Swimmingpool ist unter einer Plane verschwunden – mit dem Angebot, den Boden zu fliesen, verschafft er sich bei der auf ihren Vorteil bedachten Anna ein Bleiberecht.
„Pingpong“ spielt auf die Paarbildung, auf das intuitive Miteinander beim Tischtennis an. Paul fordert am verwaisten Tisch im Garten zum Spielen auf, ein Versuch, seinen Spaß einzubringen und Zuneigung zu gewinnen. Man erfährt aus Dialog-Fragmenten allmählich, dass er nicht einfach eine Katalysator-Figur ist, sondern Zuflucht vor einem Trauma bei den Verwandten sucht. Pauls Vater beging Selbstmord, die Mutter belastete ihn mit ihrer unverarbeiteten Trauer zusätzlich und so sucht er ausgerechnet dort Beistand, wo die Aversionen gegen Pauls Vater unwillkürlich auf ihn selbst übertragen werden.
Matthias Luthardt spielt souverän mit den Topoi des begehrlichen Eindringlings in ein ödipales Beziehungsmuster. Robert hasst die Mutter, die Zuneigung mit Coaching verwechselt, und beginnt eine Freundschaft mit Paul. Der seinerseits sucht den Freund wie den Hund als Rivalen auszustechen und Anna zu verführen. Der trotzige Ausdruck, mit dem Sebastian Urzendowsky aus dem Pool heraus sein Liebesobjekt fixiert, gibt seiner widersprüchlichen Kinofigur Kontur. Marion Mitterhammer hat als Anna sichtlich Mühe, ihrer unsympathischen, in sich verstrickten Figur über affektierte Dominanz hinaus Schlüssigkeit zu verleihen. Anna und der Gast finden sich in einer gegenseitigen Verführung, aber der Film endet nicht damit, vielmehr buchstabiert er weiter, wie sich Hass und Eifersucht steigern, wenn zwei ödipale Nebenbuhler einander auf die Schliche kommen.
„Pingpong“. Regie: Matthias Luthardt. Mit Sebastian Urzendowsky, Marion Mitterhammer u. a. Deutschland 2005, 89 Min.