: Häuser für die nächsten 100 Jahre
KLIMASCHUTZ Mit dem neuen Senat steht in Hamburg die besondere Förderung von Passivhäusern zur Disposition. Kritiker bemängeln viel Aufwand für wenig Ertrag. Befürworter wollen für die Welt von morgen bauen
VON GERNOT KNÖDLER
Beim Regierungswechsel in Hamburg könnte die Förderung für Passivhäuser unter die Räder kommen. In der Zielkonkurrenz zwischen möglichst viel Neubau und hohen ökologischen Standards hat sich die SPD auf die Seite der Neubauten geschlagen. Die schwarz-grüne Wohnungsbaupolitik sei einseitig auf höchste energetische Standards ausgerichtet gewesen, bemängelte der SPD-Fachsprecher Andy Grote. „Das war schlecht für eine Belebung des Wohnungsbaus.“ Noch ist allerdings unklar, wie stark ein künftiger SPD-Bausenator umsteuern wird – zumal sich Hamburg in diesem Jahr mit dem Titel „Umwelthauptstadt Europas“ schmückt.
Den Angriff auf die Passivhausförderung hatte die Wohnungswirtschaft vergangenen November gestartet. Sie legte ein Gutachten der Kieler Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen vor, nach dem Passivhäuser 30 Prozent teurer sind als Häuser, die der Energieeinsparverordnung (Enev) von 2009 entsprechen. Ihr De-facto-Energieverbrauch liege um 30 bis 40 Prozent über den rechnerisch prognostizierten Werten. Der Minderverbrauch gegenüber dem zweitbesten Gebäudestandard „Effizienzhaus 70“ rechtfertige nicht den entstehenden Mehraufwand.
„Klimaziele sollten partnerschaftlich in wirtschaftlich und sozial vertretbarer Weise umgesetzt werden“, verlangte Holger Kowalski, der Vorsitzende des Arbeitsgemeinschaft Hamburger Wohnungsunternehmen mit Blick auf dieses Ergebnis. Angesichts schnell steigender bundesweiter Standards seien Hamburger Sonderauflagen unangebracht. Grote kritisierte, die von der ehemaligen Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk (Grüne) geplanten Standards machten preisgünstigen Wohnungsbau zu einem „Ding der Unmöglichkeit“.
Die gescholtene Senatorin ließ ein Gegengutachten auflegen. Zugleich wehrten sich 50 Architekten und Planer dagegen, den ökologischen Ehrgeiz zu verringern. „Wird in der Umwelthauptstadt Hamburg künftig wieder billig und schlecht gebaut?“, überschrieben sie ihren Aufruf. Auf Kosten von Umweltstandards billig zu bauen, werde sich für die Stadt auf Dauer nicht lohnen, warnen sie. Schon heute zahle die Bürgerschaft jedem neunten Hamburger einen Heizkostenzuschuss. Diese Kosten würden in den kommenden Jahren drastisch steigen.
„Häuser, die heute nach Enev gebaut werden, sind in zehn Jahren Altbau“, sagt der Passivhaus-Planer Robert Heinicke. Auch neue Passivhäuser seien zusätzliche Energieverbraucher und CO2-Emittenten, gibt der Ingenieur Bernd Schwarzfeld zu bedenken. Die Zukunft liege daher bei Häusern, die nicht nur ohne Heizung auskommen, sondern auch noch mehr Energie erzeugen als für Geräte, Licht und warmes Wasser brauchen: Plus-Energiehäuser. Nur wenn im Neubau die Technik rasch fortschreite, könnten auch die bestehenden Gebäude irgendwann nachgerüstet werden.
Ein Effizienzhaus 70 lasse sich heute fast schon wirtschaftlich bauen, sagte Lars Beckmannshagen vom Zentrum für Energie, Bauen, Architektur und Umwelt (Zebau). Deshalb sei es wichtig, die Förderung künftig zu differenzieren und damit dem Passivhaus zu helfen, am Markt Fuß zu fassen.
Die Architekten und Planer bestreiten, dass Passivhäuser sehr viel teurer sind als Standardbauten nach der geltenden Enev. Die Mehrkosten lägen bei fünf bis zehn Prozent. Die Arbeitsgemeinschaft der Wohnungsunternehmen geht von 15 bis 20 Prozent aus. Beim ersten Mehrfamilien-Passivhaus in Hamburg seien es acht Prozent gewesen, sagt dessen Architekt Joachim Reinig.
Das Gutachten der Stadtentwicklungsbehörde bestätigt, dass die tatsächlichen Energieverbräuche der Passivhäuser über den errechneten liegen. Trotzdem bräuchten die Hamburger Passivhäuser nur ein Viertel soviel Energie für das Heizen und warmes Wasser wie Bestandsgebäude. Um den Energieverbrauch weiter zu senken, sollten die Bewohner Gebrauchsanweisungen für ihre Häuser erhalten.