: „Auch zum Boxen gehört Eleganz“
Vier choreographische Kommentare zum Boxen bieten die vier Stücke, die in Hamburg und Bremen unter dem Titel „Cinderella Games“ uraufgeführt werden. Mit-Initiatorin Irmela Kästner spricht über das Blut, das beim Boxen und beim Tanzen fließt
INTERVIEW: PETRA SCHELLEN
taz: Frau Kästner, warum wollen Sie das brutale Boxen verniedlichen, indem Sie es in tänzerische Performances einbauen?
Irmela Kästner: Wir verniedlichen es nicht. Wir suchen Parallelen. Denn auch Boxer werden ja gelegentlich als Tänzer bezeichnet. Wie zum Tanz gehören auch zum Boxen Stil, Eleganz sowie ein bestimmtes Rollenspiel. Deshalb hat Boxen etwas sehr Performatives, und das interessiert uns. Außerdem reizt uns der Kampf, den das Boxen repräsentiert. Und natürlich das Instinkthafte. Abgesehen davon geht es sowohl beim Boxen als auch beim Tanz um die Versehrtheit des Körpers.
Auch beim Tanz?
Ja. Ein Tänzer geht in seinem Leben durch unendlich viele Verletzungen hindurch.
Nur, dass der Boxer das zeigen darf und der Tänzer nicht.
Ja, der Tänzer überspielt das mit einem Lächeln. Außerdem geht der Boxer natürlich weiter. Bei ihm geht es darum, jemanden k.o. zu schlagen. Darauf zielt das Tanzen ja nicht…
Da tanzt man sich selbst k.o.
… während man beim Boxen nicht sich selbst, sondern den Gegner bis zur völligen Erschöpfung zu bringen versucht. Bis zu dem Punkt, an dem man nur noch ein kleines bisschen nachsetzen muss, damit er k.o. geht.
Und welche Rolle spielt Kampf im Tanz?
Es geht immer um den Kampf gegen einen selbst. Es geht darum, gut zu sein. Und sich selbst zu überwinden. Die Choreographinnen, die unsere vier Stücke geschaffen haben, fokussieren alle diesen Aspekt.
Geht es auch darum, viel von sich selbst preiszugeben?
Das weniger. Aber es geht immer auch um Intuition. Als Boxer und als Tänzer ist man auf der Bühne in einem mental anderen Zustand, in dem man Entscheidungen treffen muss: Wann tue ich diesen Schritt, wann lanciere ich diesen Schlag?
Sie haben nur Choreographinnen engagiert. Gibt es den weiblichen Blick aufs Boxen?
Schwer zu sagen. Zentral ist aber die Frage, wie man mit dem Killerinstinkt umgeht, den man für‘s Boxen braucht. Denn egal, wie gut du boxt – du musst irgendwann bereit sein, den entscheidenden Schlag zu setzen und den anderen wirklich auszuknocken!
Was Frauen schwerer fällt als Männern?
Würde ich nicht so sagen. Man vermutet das, aber ich glaube, dass es anders ist. Dass Frauen in Wirklichkeit viel genauer um diesen Moment des Outknockens wissen – gerade, weil ihnen das nicht zugetraut wird.
Können Boxerinnen also Vorbild sein für Frauen – nach dem Motto: Werdet brutal!?
Ich weiß nicht. Boxen ist trotz allem ein Sport. Es gibt Gesetze, die alle einhalten müssen. Da findet ja keine entfesselte Brutalität statt.
Aber es ist aggressiv, und es fließt Blut. Ein starker Kontrast zum Tanz. Ästhetisieren Sie das Boxen?
Ich glaube nicht. Denn es geht bei uns ja um den Tanz und nicht ums Boxen. Und ich hoffe, dass wir die oft verschwiegene Tatsache, dass Tanzen körperliche Verletzungen mit sich bringt, ansprechen können. Wir brechen damit kein Tabu, denn die Realität ist einfach da: Sehen Sie sich mal die Füße von Tänzerinnen zu Beginn ihrer Karriere an! Da sind Schwielen, Wunden und Blasen – auf diesen Füßen würde normalerweise keiner mehr einen Schritt gehen!
Warum tun sie das?
Das ist der Preis für diese Kunst. Und natürlich sind die Füße irgendwann abgehärtet. Aber das dauert.
Ihr Motto klingt recht niedlich. Warum haben Sie die Performances „Cinderella Games“ genannt?
Wir wollten auf das Aschenbrödel-Phänomen anspielen. Auf die sozialen Aufstiegschancen, die der Boxsport bietet. Abgesehen davon wollten wir konkret in das Box-Milieu hineingucken: Ursprünglich wollten wir unsere Stücke in der „Ritze“ hier in St. Pauli aufführen. Das hat leider nicht funktioniert. Wir haben aber einen alternativen Ort im Kiez-Milieu gefunden, eine Sportbar, die auch eine Bühne hat. Solche Bars, in denen Sport-Events übertragen werden – sind in den USA und Australien bereits sehr verbreitet.
„Cinderella Games – 4 choreographische Kommentare zum Thema Boxen“: 18.–23.2., Hamburg Sportbar Scope. 1.–3.3., Bremen, Schwankhalle