Das Kurnaz-Verhör in Guantánamo

Es ist eine heikle Mission. Im September 2002, ein Jahr nach den Terroranschlägen von New York und Washington, fliegen drei deutsche Geheimdienstbeamte nach Guantánamo: Klaus R. und Martin D. vom Bundesnachrichtendienst (BND) sowie Jan K. vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Begleitet werden sie von dem CIA-Agenten Steve H., Verbindungsoffizier des amerikanischen Geheimdienstes in Berlin. Der Auftrag der drei Deutschen: Sie sollen herausfinden, wer genau dieser Murat Kurnaz ist, der dort am Ende der Welt von den US-Amerikanern als Terrorverdächtiger festgehalten wird – in einem Speziallager auf Kuba, wo weder US- noch irgendein anderes Recht herrscht.

Kurnaz, ein 19-jähriger türkischer Junge, der in Bremen geboren und aufgewachsen ist, war im November 2001 bei einer Reise durch Pakistan festgenommen und nach Afghanistan verschleppt worden. Ein paar Monate später kerkerten ihn die US-Amerikaner, die Kurnaz von den Pakistanis übernommen hatten, in Guantanámo ein. Sie verhörten ihn, sie folterten ihn.

Die deutschen Geheimdienstbeamten wussten nicht viel über Kurnaz; nur, dass er sich in Bremen zuletzt im Umfeld radikaler Islamisten bewegt hatte. Deswegen hatte die dortige Staatsanwaltschaft im Oktober 2001 auch ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet – wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Herren vom BND und Verfassungsschutz haben vor allem Fragen in ihrem Gepäck: War Kurnaz in Bremen radikalisiert worden? Hatte es dort – ähnlich wie in Hamburg, wo die späteren Attentäter des 11. September 2001 „schliefen“ – gar eine Terrorzelle gegeben? Was war der Grund von Kurnaz’ Reise nach Pakistan? Wollte er sich in Afghanistan den Terroristen von al-Qaida anschließen?

Die Befragung von Kurnaz findet am 23. und 24. September 2002 in einem Verhörcontainer im Lager in Guantánamo statt. Klaus R., Sachgebietsleiter beim BND, Spezialist für Pakistan und Afghanistan, ist Chef der deutschen Delegation; er konzentriert sich auf mögliche Kontakte von Kurnaz in der pakistanisch-afghanischen Mudschaheddin-Szene. Martin D., sein Mitarbeiter, ist bei der Befragung vor allem für den Lebensweg von Kurnaz zuständig. Jan K., Spezialist des Verfassungsschutzes auf dem Fachgebiet Islamismus, soll die islamistischen Kontakte von Kurnaz in Bremen aufklären.

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland schreiben R. und D. sowie K. jeweils eigene Berichte für die Chefs ihrer Behörden. R. unterrichtet am 30. September 2002 in einem etwa fünfzehnminütigen Gespräch den damaligen BND-Chef August Hanning über das Ergebnis der Kurnaz-Befragung. JENS KÖNIG