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Archiv-Artikel

Keine Kompromisse

AVANTGARDEJAZZROCK Ihr Debütalbum „I’m the One“ war wegweisend, jetzt wird es nach 40 Jahren wiederveröffentlichts: die „Outness Queen“ Annette Peacock

Mit ihrer elegant heiseren Stimme beteuert Annette Peacock immer wieder, dass sie „the One“ sei

VON TIM CASPAR BOEHME

Experimente muss man sich leisten können. Das ist keine rein ökonomische Frage. Als in den späten Sechzigern die Grenzlinien zwischen Jazz, Rock und elektronischer Musik brüchig wurden, mischte die amerikanische Musikerin Annette Peacock ganz vorne mit. Sie komponierte Avantgarde-Balladen und tourte mit Free-Jazz-Legende Albert Ayler durch Europa. Ihr Mann Gary Peacock war damals Bassist bei Miles Davis. Von Synthesizerpionier Robert Moog bekam sie einen seiner Prototypen zur Verfügung gestellt, den sie mit dem Jazzpianisten und späteren Lebensgefährten Paul Bley für Klangstudien nutzte. Sogar ihre Stimme schickte sie durch das unhandliche Instrument. All dies am Anfang ihrer Laufbahn.

Dass Annette Peacock heute weniger bekannt ist als die meisten ihrer musikalischen Partner, dürfte zu einem gut Teil daran liegen, dass sie eine Frau ist. Dabei war das Interesse an der unberechenbaren Komponistin keinesfalls gering. Als sie etwa 1971 ihr jetzt wiederveröffentlichtes Debütalbum „I’m the One“ aufnahm, schaute auch David Bowie im Studio vorbei.

Bowies Rausschmiss

Doch Peacock wollte sich nicht bei der Arbeit stören lassen und warf ihn kurzerhand hinaus. Bowie ließ sich nicht so schnell entmutigen und bat sie später, bei seinem Album „Alladin Sane“ mitzumachen. Sein Produzent allerdings hatte ganz bestimmte Vorstellungen davon, was sie tun sollte; das lehnte die Musikerin am Ende ab.

Natürlich sagen Produzenten auch bei Männern gern, wo es langgehen soll, dennoch gibt es genügend Beispiele erfolgreicher männlicher Musiker, die ihre Ziele jenseits der üblicheren Pop-Karrieremuster verwirklichen konnten – Frank Zappa und Captain Beefheart etwa. In einem ähnlich offenen Feld bewegt sich auch Annette Peacock, die mit „I’m the One“ damals erste Schritte in einen Rock-Kosmos mit übersichtlichen Strukturen wie Akkordfolgen und durchgehendem Rhythmus machte, wenn auch ohne großen kommerziellen Erfolg.

Peacocks Album machte vor, was Jazzrock sein kann, wenn man auf das Virtuosengegniedel verzichtet und stattdessen Songs schreibt, in denen der Gesang das Zentrum bildet. Fast bedächtig kommt ihre Musik daher, mit einem schleichenden Funk und reichlich Leerstellen in der Textur. Überraschungen, unerwartete Brüche und all das gibt es hier genauso. Es klingt auch ganz wunderbar überdreht, nur eben nicht nach Kunsthandwerk, das sich verselbständigt hat.

Das Titelstück gibt hier die Richtung vor. Nach einem Freiform-Intro mit atonalen Synthesizer- und Bläserimprovisationen folgt ein Rocksong, in dem Peacock mit ihrer elegant heiseren Stimme immer wieder beteuert, dass sie „the One“ sei. Nach einigen stilistischen Wendungen kommt dann ihr verzerrter Synthesizergesang zur Geltung. Neben den Jazzrocknummern gibt es impressionistische Balladen mit Klavierbegleitung und sogar eine Coverversion von Elvis Presleys „Love Me Tender“.

Nach der Platte hatte ihr Label RCA kein Bedürfnis mehr nach neuem Material. Erst sechs Jahre später erschien mit „X-Dreams“ ein neues Album bei einer kleinen Plattenfirma. 1982 schließlich startete Peacock, dem damaligen Independent-Aufbruch folgend, in England ihr eigenes Label Ironic. Sie ist überzeugt: „Hätte ich meine Musik als Mann gemacht, wäre meine Karriere womöglich ganz anders verlaufen.“

Eine gewisse Heroisierung

Aber Peacock ist die „Outness Queen“, wie es im Titel eines späteren Songs heißt, die große Außenseiterin des Betriebs, was einer gewissen Selbstheroisierung nicht entbehrt. „Erfolg, der nicht auf kompromissloser, guter Arbeit beruht, ist vollkommen bedeutungslos. Kommerzieller Erfolg wird nur durch Werbung und Vertrieb erzielt.“

Dem Internet und der Nachfrage der gut informierten „Online-Generation“ ist es zu verdanken, dass Peacock ihr Debütalbum jetzt, knapp vierzig Jahre nach seinem Erscheinen, auf ihrem wiederbelebten Ironic-Label zum ersten Mal auf CD veröffentlicht hat. RCA zeigt sich bis heute desinteressiert an der Platte, die unter anderem David Bowie zu Ziggy Stardust inspirierte. Peacock ist wohl das, was man einen „musician’s musician“ nennt – bedeutend im Einfluss auf das Musikgeschehen, aber eben weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Vielleicht gibt es mit der Neuauflage von „I’m the One“ ja doch noch einen neuen Aufbruch für die 1941 geborene Musikerin. Immerhin hat Ironic US seinen Firmensitz im bewegungserprobten Woodstock. Sie selbst hätte wohl nichts dagegen: „Obwohl ich dem Erfolg im Prinzip aus dem Weg gegangen bin, hoffe ich, dass er, sollte er in irgendeiner Form einmal kommen, nicht erst postum sein wird.“

Annette Peacock: „I’m the One“ (Ironic), zu bestellen über www.annettepeacock.com