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Archiv-Artikel

Braucht Antigone eine Therapie?

TANZ Bekenntnisse, Listen, extreme Körpersprache und eine Dosis Langeweile. Das Festival „Tanz im August“ ist eröffnet. Berliner Produktionen wurden ausgelagert, Kuratorin Virve Sutinen setzt auf Trennung der Szenen

Theben wird zum „House of Thebes“, abgeleitet von den familienclanartigen Voguing Communities, den sogenannten Houses

VON ASTRID KAMINSKI

Wenn der Grad der Steigerung vom ersten Tag zum zweiten beibehalten wird, dann wird das diesjährige „Tanz im August“ ein gutes Festival. Ein Eröffnungsstück gab es laut Programmatik nicht, aber die Realität sprengt wie so oft das Konzept. Pünktlich zum Feierabendauftakt am Freitag im HAU fand sich Prominenz ein. Vor Daniel Léveillés Choreografie „Solitudes Solo“ versprach Klaus Wowereit das „Bekenntnis Berlins“ zum Tanz als „wesentlichem Schwerpunkt der Kulturpolitik“ und verkündete die Kuratorin Virve Sutinen ein „Yes“-Manifest: Ja zu „Theater, Musik, Volumen, Punk, Brillanz, zu den 80ern, Voguing, Black & White, Mist und Müll (mess), Hochkultur“ etc. Die Ja-Taktik ist ein guter Kniff, eine Würgegriffdialektik mit Charme. Auf diese Gefahr hin zwei Zweifel zum Auftakt.

Virve Sutinen hat sich für das erste von ihr kuratierte Berliner Festival vorgenommen, eine möglichst große Bandbreite zeitgenössischen Tanzes zu zeigen. Ist das schon ein Konzept? Um das internationale Tanzschaffen durch 22 Companien zu repräsentieren, werden zwangsläufig Entscheidungen getroffen. So möchte man nun doch gerne wissen, warum es ausgerechnet Léveillés dekonstruktivistisches Tanzfigurenlamento, 30 Jahre nach William Forsythes „Artifact“ und zu kaufhausmäßig verwässerten Bach-Violinsonaten, in die Auswahl geschafft hat. Eine so berührende Tänzerin wie Esther Gaudette kann auch dieser Choreografie einen zarten extraterrestrischen Wind verleihen, aber das ist kein Argument.

Ein weiterer Einspruch, den Surtinen zweifellos einkalkuliert hat: „Tanz im August“ will die internationale Szene spiegeln, Berliner Produktionen gehören aber nicht dazu. Sie sind in diesem Jahr in die dreitägige, von der Tanzfabrik ausgerichtete Tanznacht an und um die Uferstudios ausgelagert, ein an sich unabhängiges Format, das nur formal an „Tanz im August“ angegliedert ist. Wirkt wie eine Gettoisierung der Berliner Szene.

Aber Szenentrennung kann produktiv sein, wie Trajal Harrells ebenfalls zur Eröffnung gezeigte Arbeit „Antigone Sr.“ zeigt. Das mit fünf physischen Männern besetzte Stück ist Teil einer mehrteiligen Serie, in der Harrell Begegnungsmöglichkeiten einer (weißen) Postmodern-Dance-Szene mit einer (schwarzen) Ballroomszene aus dem New York der 1960er imaginiert. Stilprägend für diese Arbeiten ist das Voguing, der in Harlem entstandene kompetitive Catwalk-Tanz mit seiner Lust am Identitätswechsel. In der jüngsten Produktion nun wird versucht, sich in diesem Setting dem antiken Drama und seiner Skala existenzieller Gefühle zu nähern. Das hat was, allein schon, was das Vokabular angeht. So wird Theben zum „House of Thebes“, abgeleitet von den familienclanartigen Voguing Communities, den sogenannten Houses. Und weil Antigone die Tochter von Ödipus ist, also traumatisiert von ihrem motherfucking father, schallt nun aus der Zukunft ihr Unbewusstes in Form eines penetranten Gangsta-Rap-Sounds aus den Boxen.

Abgefedert wird das von den 87 „bitches“ aus Zebra Katz’ queerem Hit „Ima Read“ von 2012, als Vorlage zur Appropriation von diskriminierendem Rap-Vokabular sozusagen. Eine Art Antigone-Therapie? Manisch ist das Mädchen zweifellos, aber braucht es darum eine Therapie? Oder ist das eher etwas für die Sophokles-Rezeption? Schließlich liegt da die Quelle alles Motherfucking-Übels der Welt.

Mit einem Teil von Harrells Ideensammlung lässt sich also gut jonglieren, anderes wird so lange durchzelebriert, dass ein Teil des Publikums geht. Einfachste Endloswortspiele gehören dazu: „We are … Yoko and John, Cunningham and Cage, the Israelians and the Palestinians“ etc. Vielleicht war das, zusammen mit Sutinens Yes-Manifest, die Einführung des postmodernen Listenprinzips in den zeitgenössischen Tanz?

Das Voguing zumindest gilt inzwischen als gesetzt, beschränkt sich in „Antigone Sr.“ allerdings auf das „Walking“ – ein Basic der verschiedenen Kategorien. Die weiteren, für die spezifisches Tanzvokabular nötig ist, kommen bislang nicht zum Zug. Eine Battle Antigone – Kreon steht noch aus.

Dafür boten am Wochenende die Soli von Eduardo Fukushima und die Versuchsanordnung von Cristina Caprioli und ihrer Compagnie interessantes Vokabular: Fukushima, zurzeit als neues Talent gefeiert, begibt sich mit seiner gelenkbetonten Tanzsprache in die Reflexionsenge von Körpergrenzen auslotenden Exerzitien, Capriolis Tänzer bewegen sich in Idiomen, die an der Cunningham-Moderne geschult scheinen, und an die Eleganz einer konsequent durchfühlten und getakteten Körper-Raum-Semantik erinnern. Man könnte das, im Bezug auf das Eröffnungsstück, als Umkehrung von Léveillés Violinsonatenberieselung seiner dafür unempfänglichen Tänzer sehen: Bach ist tanzbar, auch ohne Bach.

■ Tanz im August, bis 30. August, www.tanzimaugust.de