: Ich, meine Psychopathin und mein Mikrofon
REDEFLUSS Unzensiert, ungebremst, befeuert von Alkohol und Kokain und größtenteils tatsächlich witzig – Thomas Glavinic’ Ich-Erzähler ist sein eigenes Internetradio: „Lisa“
Thomas Glavinic ist bei Facebook. Er ist gleich doppelt da, nämlich als Privatperson, der man eine Freundschaftsanfrage schicken kann, und als „Autor“, dem man nur den Daumen geben kann, der „Gefällt mir“ sagt. Warum das interessant ist? Weil Thomas Glavinic nun Facebook in der Literatur verhandelt: „Und bevor jemand sagt, Facebook ist doof, sage ich gleich, erstens stimmt das so nicht, es ist das, was ihr daraus macht. Es ist wie Fernsehen, ihr könnt es doof machen oder nicht doof. Und zweitens ist es ein passabler Zeitvertreib, wenn ihr gerade nichts anderes zu tun habt.“
Steht da so auf Seite 27 seines neuen Romans „Lisa“. Überhaupt wird in diesem kleinen Roman allerlei Medienkultur verhandelt. Kein Wunder: Der Erzähler hat sich in ein Landhaus zurückgezogen, irgendwo in der vermutlich österreichischen Einöde, umzingelt von Bergen, keine Menschenseele weit und breit, außer seinem Sohn Alex. Und er, der Erzähler, spricht dort jeden Abend in ein Mikrofon, das via Klapprechner mit dem weltweiten Netz verbunden ist. Er ist also sein eigenes Internetradio. Und der hier vorliegende Text, ein Roman, ist so etwas wie ein Transkript seiner Sendung – genauer, von acht aufeinanderfolgenden Sendungen.
Es geht also ums Draufloserzählen. Verhandelt wird alles und nichts – von Facebook bis Esoterik. Es werden Beziehungs- und Freundschaftsgeschichten ausgepackt, Anekdoten erzählt und unverfälschte Meinungen herausgeblasen, von ein und derselben Erzählerfigur. Die ist um die vierzig, hat gerade eine Liebesbeziehung hinter sich und einen Einbruch, der ihn recht paranoid auf diese Reise ins Eremitentum geschickt hat. Er ist auf der Flucht, auf der Flucht vor Lisa, einer Einbrecherin, Psychopathin, Serienmörderin, einer unbekannten, furchterregenden Größe, die überall dort ihre Spuren (sprich ihre DNA) hinterließ, wo es absurde, ekelerregende, nicht auszudenkende Straftaten gegeben hat.
Und da sitzt dieser Mann, der sein Geld mit der Entwicklung von Computerspielen verdient, vor dem Mikrofon und redet drauflos. Unzensiert, ungebremst, befeuert von Alkohol und Kokain. Das, was verhandelt wird, ist größtenteils witzig; fast immer, nicht nur in der Passage über Facebook, sondern auch bei anderen Abwatschungen kulturpessimistischer Einstellungen, kann man ihm zustimmen. Er lässt auch fast nichts aus. Sogar die Sarrazinthese vertritt er, das ist dann der erste Punkt, an dem man nicht mehr so richtig mitmöchte als Leser.
Währenddessen entspinnt sich die Kriminalgeschichte um das weibliche Phantom Lisa und den polizeilichen Ermittler Hilgert, den der Erzähler bewundert. Die Erfolge Hilgerts lassen aber lange zu wünschen übrig. Lisa kann einfach nicht gefunden werden. Und der Erzähler glaubt tatsächlich, sie sei hinter ihm her. Bei ihm eingebrochen hatte sie ja schon. Hier könnte sich die Spannung jetzt ins Unermessliche steigern, tut sie aber nicht. Mit einer seltsamen Wendung hört das Buch schließlich einfach auf.
Erzählt wird sehr einnehmend, sehr unterhaltsam. Trotzdem bekommt man das Gefühl nicht los, dass Vielschreiber Glavinic (achter Roman, der Mann ist 38) es unbedingt mit Wolf Haas aufnehmen wollte. Und einen Krimi schreiben, der eine interessante Perspektive aufweist, der Gewalt nur aus dem Fernsehen kennt bzw. aus Filmen von Quentin Tarantino, und dieses Format dann dafür benutzt, ungefiltert ein paar Meinungen raushauen zu können. Andererseits: warum auch nicht. Unsympathisch wird der Erzähler ja nicht – und die Schwächen des Textes liegen eher anderswo.
Nämlich darin, diese vermeintlich mündliche Suada möglichst authentisch wiedergeben zu wollen. So nerven dann die dauernden Einschübe à la „Moment, wo war ich eben?“. Das sind billige Tricks, genauso wie die Pünktchen, die für Sendepausen oder schlechten Empfang stehen, und die andauernden Hinweise auf den Abusus von Alkohol und dem bekanntlich redeförderlichen Kokain.
Mitunter wird auch sehr schwach motiviert. So wird nachvollziehbar bis klar aus einem Buch zitiert, das dann gar nicht da sein soll – also heißt es, der Erzähler habe es im Kopf, da „schon oft in der Kneipe“ zitieren müssen. Auch die Pointe am Ende ist schwach bis hanebüchen – nimmt man diese Fehler und Mängel allerdings in Kauf, hat man gute Unterhaltung in der Hand. RENÉ HAMANN
■ Thomas Glavinic: „Lisa“. Hanser, München 2011, 208 Seiten, 17,90 Euro