piwik no script img

Archiv-Artikel

Einen Bären aufbinden

TAZ-SERIE STADTFLUCHT In Bärenklau gibt es so gut wie nichts zu sehen. Dafür erzählen sich die Dorfbewohner allerhand Geschichten über Militärpferde und fliegende Untertassen

taz-Serie Stadtflucht

■ Wer kennt das nicht: die Stadt viel zu laut, zu groß, zu voll. Selbst die Sommerferien haben längst nicht mehr für Entschleunigung gesorgt, die urlaubenden BerlinerInnen wurden durch Schwärme von Touristen ersetzt. Wie gut, dass wir in Berlin leben: umgeben von idealen Ausflugszielen für Kurztrips, die viel näher liegen, als man oft glaubt.

■ In loser Reihenfolge fahren unsere AutorInnen ins Berliner Umland und schreiben darüber. Einzige Voraussetzung: Das Ziel muss für maximal 10 Euro mit der Bahn erreichbar sein.

■ Die Reihe begann mit einer Tramfahrt nach Rüdersdorf. Es folgten eine Entdeckungstour durch Biesenthal, eine Kanutour ausgehend von Erkner, eine Wanderung durch die wilden Wälder rund um Neuruppin, ein Besuch des Klosters Chorin und ein Ausflug nach Halbe zu den größten Kriegsgräberstätten Ostdeutschlands. (taz)

VON DONATA KÜNSSBERG

Kennen Sie Bärenklau? Das 1.400-Seelen-Dorf mit dem Namen einer Giftpflanze, die fototoxische Reaktionen verursacht? Gewiss lässt die Dorfstraße die Haut Blasen werfen. Von Alt-Tegel aus geht es mit der S 25 nach Hennigsdorf und danach weiter mit der Regionalbahn in Richtung Kremmen. Die gut 30-minütige Fahrt kostet 3,60 Euro. „Steigen Sie hier nicht aus“, rät noch in der Regionalbahn ein junger Mann, dessen Augen etwas blutunterlaufen sind. „In Bärenklau gibt es nichts. Das ist einfach ein ganz normales Dorf.“

Wir, Mischlingshund Bombon ist mit von der Partie, suchen das Ortsschild, um entlang der einen Dorfstraße, die sich durch ganz Bärenklau zieht, zu wandern. Die Häuser links des Weges werden von den Einwohnern „Hitlersiedlung“ genannt und wurden für Angestellte des kriegswichtigen Munitionswerks in Oranienburg gebaut, erzählt ein Mann. Das sei falsch, sagt eine Frau. Vielmehr nannte man die Straße den Ku’damm Bärenklaus: Hier wohnten Beamte, die zur Arbeit in die Stadt fuhren. „Der Zug ist so gefahren, wie die Leute gearbeitet haben! Frühschicht, normale Schicht und retour.“ Noch mal anders sei es gewesen, höre ich etwas später: Es habe in den 1930ern eine Siedlungswelle gegeben, weil eine jüdische Siedlungsgemeinschaft das Dorf gekauft hatte. Die Familien erhielten eine Wohnung und einen Garten.

Von einem Alteingesessenen erfahre ich, dass die Bewohner in den Gärten früher Obst, Gemüse und Rüben angebaut haben. In Bärenklau, sagt er noch, gebe es jedenfalls nichts Besonderes und auch keine bemerkenswerte Landschaft.

Ein paar Schritte weiter weisen zwei junge tätowierte Männer Ende zwanzig auf die Buggy-Bahn der Ortsvorsteherin hin, die auch Dackelrennen veranstaltet. Während wir miteinander sprechen, betrachte ich ein abgemeldetes Auto in einem Vorgarten – es ist schon das zweite. Ein Irrlicht gibt es, irgendwo im Wald.

Die Herren telefonieren kurz, dann ist klar: Das Licht ist eine gute Stunde weit weg. Zu weit, doch liege die ehemalige Flugschule Rommel ganz in der Nähe, deren Besuch sie empfehlen. Auch stehe im nahe gelegenden Ort Leegebruch ein hakenkreuzförmiges Gebäude, von dem inzwischen aber etwas weggerissen worden sei. Man kann in Deutschland keinen Schritt machen, ohne über die ekligen Relikte der NS-Zeit zu stürzen: Militarismus statt lokalen Sagen. Hoffentlich stimmt wenigstens die Geschichte der Siedlungsgemeinschaft.

An der Dorfstraße ist landwirtschaftliches Gerät ausgestellt: Grubber, Kartoffelroder, Heuwender. Auf jedem Schild dazu steht „Um 1935 bis 1950“. Irgendetwas muss hier doch passiert sein.

Der nächste Ortsansässige, den ich unterwegs treffe, erzählt die Vergangenheit wieder anders: Die Siedlungswelle in den dreißiger Jahren hatte folgenden Grund: Hier wurden Remonten aufgezogen, Militärpferde. Zu ihrer Ausbildung gehörte die Gewöhnung an Trubel und an Schüsse.

Die SPD-Zeitschrift „Vorwärts“ schrieb 1929 über das soziale Experiment

Ermattet trotten wir die endlose Dorfstraße entlang, betrachten die alten Häuser und Stallungen und gehen schnell an dem vorbei, was Neubaucharme versprühen soll: Bärenklau erlebt seit der Wende eine zweite Siedlungswelle, die Einwohnerzahl hat sich fast verdreifacht.

In der Blockhütte am Tennisplatz bekomme ich vom dicken Wirt Kartoffelsalat und die „Orts-Chronik Bärenklau, 1350–2010“ gereicht. Ich frage nach dem Hakenkreuzgebäude. Nein, das ist nicht bekannt. Aber im nahen Wald sei eines aus Bäumen entdeckt worden, es sei beim Überfliegen sichtbar gewesen. Ein rastender Spaziergänger weiß dagegen, dass auf dem Gelände der Flugschule Rommel die fliegende Untertasse der Nazis konstruiert worden sei. Aber dann wurde alles zerbombt, und heute steht dort ein Rewe-Markt.

Die Vergangenheit von Bärenklau – sie will sich nicht greifen lassen. Also schlage ich die Ortschronik auf und traue meinen Augen kaum: Franz Oppenheimer, Inhaber des ersten ordentlichen Lehrstuhls für Soziologie in Deutschland sowie Vordenker der Genossenschaftsbewegung, und die Vegetarier einer Obstbaukommune kauften den Remontehof, der aufgrund des Versailler Vertrags keine Abnehmer für die Militärpferde mehr hatte und geschlossen wurde.

Die SPD-Zeitschrift Vorwärts schrieb 1929 über das soziale Experiment Oppenheimers: Um die armutsbedingte Landflucht aufzuhalten und das Gemeinwohl zu heben, somit auch der wachsenden Armut in den Städten entgegenzuwirken, gebe es nur ein erfolgversprechendes Mittel: die Siedlung. „Arbeitssystem, Wohnung, Bezahlung werden in der Anteilswirtschaft neu geregelt.“ Die Siedlungsgenossenschaft existierte von 1920 bis 1934. Dann verlangte das Militär wieder nach Remonten.