piwik no script img

Archiv-Artikel

Erst mal eine durchziehen

STEIGT RAUCH AUF?

Heute stimmt die Ministerpräsidentenkonferenz über ein Rauchverbot ab. Erst Ende Februar hatten sich in Hannover die Gesundheitsminister von Bund und Ländern auf ein umfassendes Rauchverbot in Gaststätten und öffentlichen Gebäuden geeinigt, nur noch in abgetrennten Nebenzimmern sollte gequalmt werden dürfen.

Nun aber steht dieses Verhandlungsergebnis wieder auf der Kippe. Die CDU-Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen drohen, die Beschlüsse von Hannover auszuhebeln. Sie wollen Ausnahmen gewähren. So sollen Wirte selbst entscheiden dürfen, ob sie sich mit einem großen „R“ an der Tür zum Raucherlokal erklären oder nicht.

Pro Jahr erkranken in Deutschland 32.500 Menschen neu an Lungenkrebs, so eine Statistik des Deutschen Krebsforschungszentrums. Lungenkrebs ist die dritthäufigste Krebserkrankung. Über 90 Prozent der Männer und rund 60 Prozent der erkrankten Frauen haben längere Zeit geraucht. Das Erkrankungsrisiko hängt wesentlich von den „Packungsjahren“ ab, also von der Zahl der Jahre, in denen geraucht wurde und vom Alter, in dem der erste Griff zur Kippe erfolgte. SIS

AUS HEIDELBERG SIMONE SCHMOLLACK UND MATHIAS ERNERT (FOTOS)

Das Schild hängt unübersehbar neben der Glastür: „Liebe Patienten, bitte verlassen Sie die Klinik nicht mit Infusionen, Drainagen, Mundschutz.“ Trotzdem gibt es welche, die sich nicht an die Aufforderung halten. Sie schlurfen ins Freie, runter vom Gelände, schieben ihre Infusionsbeutel an hohen Gestellen neben sich her. Geradewegs zu dem Glashäuschen mit den schwarzen Vögeln an den Scheiben.

Es ist morgens acht Uhr in der Thoraxklinik Heidelberg, im Raucherhaus herrscht reger Betrieb. Die Patienten ziehen erst mal eine durch. Männer und Frauen in Trainingsanzügen, Bademänteln, Joggingschuhen und Pantoffeln. Sie sind mager und haben hervortretende Wangenknochen, sie tragen Pudelmützen und Basecaps gegen die morgendliche Kälte. Sie haben keine Haare mehr, wegen der Chemotherapie.

Jedes Jahr werden in der Uniklinik 10.000 Frauen und Männer behandelt. Sie haben Mukoviszidose, Asthma, Tuberkulose. Vor allem aber haben sie Krebs. Meist verursacht durch Tabakrauch.

Auch Hoffnung, ja

Kurz zuvor, um halb acht, hat der Chefarzt seine erste Runde gedreht. Michael Thomas ist ein hochgewachsener Mann mit einem professionellen Lächeln und charmanter Zuvorkommenheit. Seit zwei Jahren leitet er die Abteilung Onkologie/Innere Medizin. Thomas behandelt jene Patienten, die an Krebs im Brustbereich erkrankt sind. Pro Tag untersucht er bis zu fünfzig von ihnen, manchmal auch sechzig. Die Onkologie in Deutschlands größtem Klinikum zur Behandlung und Erforschung von Lungenkrebs hat hundert Betten. Professor Thomas hat einen festen Schritt und einen streng kalkulierten Zeitplan. Er kennt seine Aufgabe: Alles, wirklich alles tun, was man medizinisch noch tun kann, den Patienten geben, was möglich ist. Auch Hoffnung, ja.

Peter W., 60, hat ein kleinzelliges Karzinom im Brustraum und Metastasen im Hirn. Er sitzt in seinem Bett und wartet schon auf die Visite. Es ist jeden Tag das gleiche, das Klinikleben folgt einem eingespielten Rhythmus. „Wie geht‘s Ihnen?“, fragt Michael Thomas. Sabine Wege, eine der 40 Ärztinnen und Ärzte im Klinikum, steht neben dem Professor und blättert in Peter W.s Krankenakte. Michael Thomas wirft einen Blick auf das Patientenblatt und sagt: „Die Metastasen sind bestrahlt. Wegen der Karzinome im Brustkorb hatten Sie eine Chemo. Ist die Ihnen gut bekommen?“ - „Die Übelkeit ist jetzt weg“, antwortet der Mann, „ich habe sogar ein wenig zugenommen.“ Der Arzt nickt: „Wenn bis morgen nichts Unvorhergesehenes geschieht, können Sie erst mal nach Hause gehen.“

Jetzt nickt Peter W. Es ist alles gesagt. Und alles getan. Zwei Minuten. Mehr braucht Michael Thomas nicht. Nicht heute, nicht hier. Die Strapazen vorher, die Schmerzen, Ängste, Untersuchungen, Tröpfe, Chemos, Infusionen, all das spielt im Moment keine Rolle für Peter W. Er hat nur gehört: „Nach Hause gehen.“ Für den Kranken ein Zeichen dafür, dass es aufwärts geht. Das „erst mal“ in Thomas‘ Satz hat er überhört. Ist der Krebs besiegt?

Das ist eher unwahrscheinlich. Die Hälfte der Patienten von Professor Thomas überleben das Jahr Eins nach Entdecken der Krankheit nicht. Nach fünf Jahren sind etwa 90 Prozent von ihnen tot. Vermutlich wird Peter W. in wenigen Tagen oder Wochen wieder hier sein, weil es ihm schlechter geht. Patienten mit Lungenkrebs pendeln zwischen Krankenhaus und Privatwohnung. Für nicht wenige wird die Klinik so etwas wie ein zweites Zuhause. Im Laufe der Zeit werden auch ihre Partner Teil des Klinikalltags, die Kinder, manchmal auch die Enkelkinder.

Rainer R., 62, der andere Patient im Zimmer, muss bleiben. Lungentumor. Er hustet und röchelt, ein Beatmungsgerät versorgt seine Lunge mit Sauerstoff.

„Da ist die Politik gefragt“

Im Erdgeschoss gibt es einen Kiosk. Es werden Süßigkeiten, Zeitungen, Cola verkauft. Keine Zigaretten. Es gibt Postkarten mit Beileidsgrüßen.

Professor Thomas sieht, wenn seine frisch behandelten Patienten vor die Kliniktür zum Rauchen gehen. Er zieht die Schultern hoch: „Soll ich ihnen das Rauchen verbieten?“ Sein Büro und Sprechzimmer ist sonnendurchflutet. Auf dem Tisch stapeln sich Patientenakten und Unterlagen, daneben steht ein Foto mit seiner Frau mit den drei Kindern darauf. Michael Adams, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Hamburg, hat errechnet, dass die Krankenkassen jährlich 52 Milliarden Euro für die Behandlung von rauchbedingtem Krebs ausgeben, weitere 23,1 Milliarden für Frühinvaliditäten.

Macht es ihn nicht wütend, wenn die, die er behandelt, anschließend weiterrauchen? Professor Thomas sagt: „Ich bin Arzt und keine Moralinstanz.“ Soll er Patienten im Angesicht des eigenen Todes das Letzte nehmen, was ihnen geblieben ist? Als Jugendlicher hat er auch schon mal gepafft, insgesamt nicht mal eine Schachtel. Dabei ist es geblieben. Es kommt vor, dass ihm einzelne Patientenschicksale besonders an die Nieren gehen, natürlich. Vor allem dann, wenn sie jung sterben, mit dreißig, vierzig Jahren. Neben Brust- und Dickdarmkrebs sind Lungentumore die aggressivsten.

Dennoch: „Ich bin da, um zu helfen, nicht um zu erziehen, sagt Thomas. „Da ist die Politik gefragt. Die muss dafür sorgen, dass Rauchen in allen öffentlichen Einrichtungen endlich verboten wird“. Rauchen ist vor allem eine Sucht, der mit rationalen Argumenten kaum beizukommen ist. Raucher können sehr unangenehm werden, wenn man ihnen ihre Sucht verbietet. Das macht der Entzug, den nur eine Zigarette beenden kann. Wenn sie dann endlich inhalieren können, kommt binnen weniger Sekunden das Nikotin im Gehirn an und setzt Glückshormone frei.

Direkt in die Lunge

Therapie und Forschung sind die eine Art von Michael Thomas und seinem Team, dem Lungenkrebs zu begegnen. Die andere ist Prävention. Die Thoraxklinik ist eine wichtige Instanz, Kindern und Jugendlichen klarzumachen: Die beste Therapie gegen Lungenkrebs ist, erst gar nicht mit dem Rauchen anzufangen. Ein Fulltimejob. Den versieht seit sieben Jahren Michael Ehmann, Krankenpfleger und Lehrer.

Jede Woche zwei Mal kommen sechs Schulklassen in den Klinikhörsaal, pro Jahr 10.000 Mädchen und Jungen. Sie sind zwischen elf und 15 Jahre alt, bis zu den Sommerferien ist die Präventionssprechstunde ausgebucht. Und weil sie so erfolgreich ist, soll sie jetzt auch in anderen Städten angeboten werden.

Ehmann fängt harmlos an, er referiert zunächst Zahlen und Fakten: In Deutschland sterben jährlich 140.000 Menschen an Lungenkrebs, so viele, wie in ihrer Heimatstadt leben. Weltweit sind es jährlich 5 Millionen Menschen, 2020 werden es doppelt so viele sein. Ein Viertel aller rauchenden Schüler in Deutschland nehmen ihren ersten Zug, wenn sie zehn Jahre alt sind. Ein Zehntel von ihnen raucht sechs und mehr Zigaretten am Tag. 28 Prozent der Jungen glauben, dass Raucher mehr Freunde haben. Abstrakte Zahlenakrobatik, die Schüler hören ungerührt zu.

Dann wird Ehmann konkret. „Rauchen eure Eltern?“ schmettert der 46-Jährige in den Saal. „Fragt sie, ob sie ihr Testament schon gemacht haben.“ Und: „Wer von euch seit zwei Jahren raucht, landet mit großer Wahrscheinlichkeit in zwanzig Jahren hier, wenn er nicht beizeiten aufhört.“ Statistisch gesehen sind ein Fünftel der Schüler, die hier vor ihm sitzen, Raucher. „Die Hälfte aller Rauchertoten sind zwischen 35 und 69 Jahre alt.“

Benjamin, 15, lässt Ehmanns Performance kalt. „Ich rauche nicht“, sagt er. Und riecht nach Qualm. Noch weiß er nicht, dass ihn nun etwas erwartet, das er nie vergessen wird: eine Bronchoskopie, die Einsicht in Lunge und Luftröhre. Live. Dafür werden der Hörsaal und ein OP über eine Kamera miteinander verbunden. Auf zwei Leinwänden verfolgen die Schüler, wie einem Patienten ein Endoskop, versehen mit Kamera und Licht, durch den Mund direkt in die Lunge eingeführt wird. Sie sehen unzählige weiße Knötchen in Lunge und Luftröhre. Metastasen. Sie erkennen, dass ein Lungenflügel mit Wasser gefüllt und so komplett unbrauchbar ist. Vor ihren Augen wird das Wasser abgesaugt.

Das ist noch nicht alles. Bernhard W. betritt den Hörsaal. Der 50-Jährige ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Seit er 17 ist, erzählt er, hat er geraucht. Er flüstert ins Mikrofon, seine Stimme ist kaum zu hören. Der Krebs ist von der Lunge über die Luftröhre zu den Stimmbändern gewandert. Der Mann leidet so stark unter Atemnot, dass ihm bei der geringsten Anstrengung die Luft wegbleibt.

Der Auftritt schockiert. Einige der Mädchen schreiben ins Gästebuch: “Ich werde nie in meinem Leben rauchen. Das weiß ich jetzt.“

Neu: die Palliativstation

“Wenn wir das erreichen, ist das schon viel“, sagt Michael Thomas. Es ist Nachmittag, er dreht seine zweite Stationsrunde. Auch Bernhard W. wird von ihm untersucht. Er hat Schmerzen, das sind die Nebenwirkungen der Infusionen, die er zusätzlich zur Chemo bekommt. Er kann auch nur noch schlecht sehen, seine Beine zittern.

Hin und wieder fragen Patienten den Chefarzt, wie lange sie noch zu leben haben. Darauf gibt er keine Antwort. In anderen Häusern wird schon mal verkündet: „Nicht länger als ein halbes Jahr“. In Heidelberg gibt es seit kurzem einen neuen Bereich, die Palliativstation. Hier können Angehörige ungestört mit den Kranken zusammensein, auch über Nacht. Hier können sie die letzten gemeinsamen Wochen, Tage, Stunden verbringen. Bis zum Schluss. Bis zum Tod.