: „Karikatur eines Grundeinkommens“
Katja Kipping (Linkspartei) verteidigt die Idee des Grundeinkommens. Sie wehrt sich aber gegen „schlechte neoliberale Kopien“. Diese hätten mit dem „linken Original“ nichts zu tun, wonach jeder 1.000 Euro statt 600 bekommen soll
Für ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ setzen sich neben linken Initiativen auch einzelne Politiker aus Linkspartei, Grünen und CDU ein. Allerdings vertreten sie sehr unterschiedliche Konzepte. Am Montag hat Thomas Straubhaar vom Hamburger Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) ein Finanzierungsmodell vorgelegt (taz von gestern). Dabei soll jeder Mensch in Deutschland – vom Baby bis zum Greis – 600 Euro pro Monat erhalten, von denen 200 Euro für die Krankenkasse vorgesehen sind. Im Gegenzug werden alle anderen Sozialleistungen wie Rente, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kindergeld oder Wohngeld gestrichen. Finanziert werden soll dieses Grundeinkommen über einen einheitlichen Einkommensteuersatz von 50 Prozent auf alle Einkommen – vom ersten Euro an; dafür würden die Sozialabgaben entfallen. Die 400 Euro, die nach dem Modell zum Leben bleiben, sind geringer als der derzeitige Hartz-IV-Satz: Er beträgt 345 Euro plus Mietkosten. (taz)
taz: Frau Kipping, laut Hamburger Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) ist das Grundeinkommen niedriger als Hartz IV. Damit ist die Idee gescheitert, oder?
Katja Kipping: Nein, damit ist nur bewiesen, dass sich neoliberale Wortführer jede noch so gute Idee zu Eigen machen können. Was das HWWI haben will, ist die Karikatur eines Grundeinkommens. Das Modell vertritt die Idee eines Bürgergeldes, das ist etwas vollkommen anderes.
Sozialleistungen werden gestrichen, alle kriegen das Gleiche. Wo ist der Unterschied?
Zunächst einmal ganz existenziell die Höhe. Die Befürworter des Grundeinkommens rechnen mit circa 1.000 Euro, nicht mit 600. Wir wollen im Gegensatz zu den Befürwortern des HWWI-Bürgergeldes auch nicht alle Sozialleistungen streichen, Kranken- und Rentenversicherung müssen etwa erhalten bleiben. Die Grundidee ist eine völlig andere: Wir wollen den Zwang zur Erwerbsarbeit abschaffen. Das Bürgergeld zementiert diesen Zwang – weil es so niedrig ist.
Im Unterschied zu Ihren wolkigen Vorstellungen ist es aber finanzierbar.
Vielleicht sollten Sie sich mal andere Modelle ansehen, dann wüssten Sie, dass diese finanzierbar sind. Es gibt mindestens zwei durchgerechnete: eines von der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen der Linkspartei und eines von den Erwerbsloseninitiativen. Richtig ist: Das Grundeinkommen ist nicht zum Nulltarif zu haben.
Das ist milde ausgedrückt. Selbst für das Hartz-IV-Einkommen des HWWI müsste die Einkommensteuer auf 50 Prozent für alle angehoben werden. Wie wollen Sie denn eine noch größere Erhöhung verkaufen?
Gar nicht, weil unser Modell anders funktioniert. Es ruht auf sechs Säulen: 1. Alle mit einem Bruttoeinkommen über 7.000 Euro zahlen mehr, als sie mit Grundeinkommen plus machen. 2. Ein Mindestlohn wird eingeführt. 3. Nur steuerfinanzierte Sozialleistungen wie Bafög und Arbeitslosengeld II werden gestrichen. 4. Durch das Zusammenlegen dieser Leistungen gibt es Einsparungen bei der Bürokratie. 5. Von einem Euro an einkommensarme Familien fließen 33 Cent wieder zurück in die Steuer, denn die geben das Geld sofort aus. 6. Einführung oder Erhöhung von Steuern für jene, die es verkraften, Beispiel wären Unternehmen- oder Vermögensteuer.
Sie glauben nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu Hartz IV noch an Einsparungen bei der Bürokratie?
Hartz IV bedeutet Aufblähung, nicht Einsparung an Kontrollbürokratie.
KATJA KIPPING, 29, ist Sprecherin des bundesweiten Netzwerks für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Aus der einst linken Idee einer Existenzsicherung für alle wurde Hartz IV. Fürchten Sie angesichts dieses Beispiels nicht, dass Sie mit Ihrer Unterstützung für ein Grundeinkommen zum Steigbügelhalter all jener werden, die den Sozialstaat abschaffen wollen?
Wenn ich nicht für ein Grundeinkommen wäre, würde ich mich zum Steigbügelhalter all jener machen, die das Arbeitslosengeld II auch heute noch für eine gute Idee halten. Und ich würde all jene unterstützen, die für einen Arbeitszwang sind, obwohl es Vollbeschäftigung alter Couleur nie wieder geben wird. Wir brauchen diese gesellschaftliche Veränderung. Aber wir müssen klarmachen, worin der Unterschied zwischen der schlechten neoliberalen Kopie und dem linken Original besteht.
INTERVIEW: DANIEL SCHULZ