: Es bleibt ein ernster Fall
Während aus Teheran und London im Fall der britischen Soldaten im Iran behutsamere Töne zu vernehmen sind, zündelt US-Präsident George Bush nun erst einmal richtig
VON BAHMAN NIRUMAND
Die Krise um die Gefangennahme von 15 britischen Soldaten durch iranische Revolutionsgarden scheint sich allmählich auf eine Lösung zuzubewegen. Am Wochenende waren aus Teheran und London behutsamere Töne zu vernehmen – dafür legte US-Präsident George W. Bush nun richtig los: Er warf Iran „unentschuldbares Verhalten“ vor und sprach, anders als die Regierung in London, erstmals von „Geiseln“: „Der Iran muss die Geiseln freilassen“, sagte er. Es handle sich hier um einen „ernsten Fall“.
Eine Eskalation gab es auch in Teheran – und zwar auf der Straße: Islamstudenten bewarfen die dortige britische Botschaft mit Brandsätzen und Steinen. Verletzt aber wurde niemand.
Dabei bleibt in der „Soldatenkrise“ weiterhin vieles unklar. Sicher ist, dass es sich dabei nicht um eine einfache, missverständliche oder tatsächliche Grenzüberschreitung britischer Soldaten gehandelt hat. Sonst hätte man, wie bei einem ähnlichen Fall im Juni 2004, den Konflikt innerhalb weniger Tage beilegen können. Hatten die Briten, wie manche iranische Politiker behaupten, tatsächlich die Absicht, Iran zu provozieren, um den allgemeinen Druck auf das Land zu verstärken? Oder haben die Radikalislamisten im Iran um Präsident Mahmud Ahmadinedschad aus einer Mücke einen Elefanten gemacht, um die eigene Popularität zu steigern?
Für Ersteres spricht, dass die britische Regierung den Vorfall zunächst zu einer brisanten politischen Angelegenheit hochschaukelte – bis hin zu einer militärischen Drohung. Wenn es nicht bald zu einer diplomatischen Lösung komme, werde man andere Maßnahmen ergreifen, drohte Blair. Der dritte US-Flugzeugträger „Nimiz“ steuerte auf den Persischen Golf zu, und sowohl die USA als auch die Briten führten in der Region großangelegte Manöver durch. Eine russische Nachrichtenagentur meldete unter Berufung auf den russischen Militärgeheimdienst, die US-Streitkräfte hätten Vorbereitungen für einen möglichen Militärschlag gegen den Iran abgeschlossen. Man habe eine Liste über mögliche Ziele im Iran erstellt und den Einsatzplan getestet. Die militärische Präsenz der USA in der Region sei auf dem gleichen Niveau wie im März 2003, als die Invasion in den Irak begann.
In den USA wurden die Stimmen der Politiker und der Medien immer lauter. Der demokratische Senator und Bewerber um das Präsidentenamt, Barack Obama, meinte: „Es ist wichtig, dass alle Optionen, auch die militärische, auf dem Tisch sind.“ Die Briten dürften nicht ein Schicksal erleiden wie die 63 Amerikaner, die vor 25 Jahren 444 Tage Geiseln in der US-Botschaft in Teheran waren. Die Daily News sprach von dem „gefährlichen Schurkencharakter“ des Teheraner Regimes, Exadmiral James Lyons forderte eine sofortige Militäraktion. Er schlug vor, zunächst die Insel Khark im Persischen Golf zu besetzen.
Die Töne aus London begannen erst leiser zu werden, als es nicht gelang, den UN-Sicherheitsrat in die Eskalationsstrategie einzuspannen. In der stark verwässerten Erklärung wurde nicht einmal die sofortige Freilassung der Gefangenen gefordert.
Auch von Teheran hätte man eher höchste Vorsicht erwarten können. Besteht doch die Gefahr, dass jeder Anlass den Neokonservativen in den USA einen willkommenen Vorwand bieten könnte, um endlich ihren Gewehr bei Fuß stehenden Streitkräften den Befehl zum Angriff zu erteilen. Warum also dieses Säbelrasseln der Radikalislamisten?
Die Kritik an Ahmadinedschad und dessen katastrophaler Wirtschaftspolitik im Inland hat inzwischen offenbar so sehr zugenommen, dass der Regierungschef sein Amt ernsthaft bedroht sieht – nicht zuletzt, weil diese Kritik auch immer größere Kreise aus dem Lager der Konservativen teilen. Ahmadinedschad glaubt wohl, auch dieses Mal, wie schon oft erprobt, durch das Anheizen außenpolitischer Konflikte von der innenpolitischen Krise ablenken und die Kritiker zum Schweigen bringen zu können. Radikalislamisten können nur in der Krise die Massen mobilisieren, ihre Ideologie vom Märtyrertum, der Opferbereitschaft für den Islam und für das Vaterland durchsetzen. Friedliche Zeiten sind für Radikale tödlich. Immerhin: Die leiseren Töne deuten darauf, dass es moderateren Kräften gelungen ist, dem Präsidenten erst einmal Zügel anzulegen.