: Weniger Straftäter, vollere Knäste
Frühere RAF-Mitglieder sitzen nicht länger im Gefängnis als andere wegen Mordes Verurteilte, sagen Kriminologen. Nach der Entlassung haben „Lebenslängliche“ schlechte Chancen. Insgesamt verhängt die Justiz schärfere Strafen. Die Kriminalität sinkt
VON TIEMO RINK
Wegen Mordes verurteilte Strafgefangene sitzen in Deutschland im Durchschnitt 18 bis 20 Jahre im Gefängnis. Das berichtete die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden auf taz-Anfrage. 2004 hatten 54 Menschen ihre lebenslange Haftstrafe verbüßt und wurden entlassen. Davon hatten 15 Entlassene mehr als 20 Jahre lang gesessen. 6 waren sogar mehr als 25 Jahre inhaftiert – und damit auch länger als die kürzlich nach 24 Jahren entlassene ehemalige RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt.
Nach Mohnhaupts Entlassung war eine Debatte um die Haftdauer von RAF-Mitgliedern aufgekommen. Während die einen erklärten, die ehemaligen Terroristen müssten unverhältnismäßig lang im Gefängnis sitzen, gingen anderen die Haftzeiten nicht lang genug.
Als weder zu kurz noch zu lang beurteilt hingegen Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes Hannover, die Haftdauer. „Es gibt keine Benachteiligung für RAF-Täter.“ Für Pfeiffer, der von 2000 bis 2003 niedersächsischer Justizminister war, steht fest, dass „die Justiz bei der RAF nicht mit Schaum vor dem Mund agiert hat, sondern ganz souverän den Rechtstaat verteidigte“.
Die extrem lange Haftzeit von 24 Jahren bei Brigitte Mohnhaupt ist für den Sozialdemokraten kein „Politikaufschlag“, sondern entspricht der vom Gericht zugesprochenen Tatbeteiligung an neun Morden. Sollte es beispielsweise zur Festnahme des bisher unbekannten Täters kommen, der seit September 2000 acht Türken und einen Griechen in deutschen Städten erschossen hat, würde er wohl ähnlich lange inhaftiert werden wie Mohnhaupt, sagte Pfeiffer der taz.
Die Kriminologische Zentralstelle hat keine Daten darüber, wie lange die 1.800 zu lebenslanger Haft Verurteilten schon inhaftiert sind. Bekannt ist allerdings, dass die Aussichten nach langjähriger Haftstrafe miserabel sind. „Die meisten Leute werden aus dem Knast in die Arbeitslosigkeit entlassen“, sagte Frieder Dünkel, Kriminologieprofessor an der Universität Greifswald.
Seit Jahren beobachten Wissenschaftler eine Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas. Der Kriminologe Dünkel sieht „Anzeichen dafür, dass die Strafen härter werden und sich die Verweildauer im Gefängnis erhöht“. Insgesamt ist die Kriminalität in allen Bereichen, die mit Haftstrafen geahndet werden, seit Jahren rückläufig – trotzdem füllen sich die Gefängnisse.
Vor allem Gewaltdelikte werden mittlerweile häufig mit Haftstrafen geahndet. Grund dafür ist unter anderem eine rot-grüne Justizreform, mit der die als zu lasch empfundenen Strafen insbesondere für rechtsextremistische Schläger erhöht werden sollten.
Zusätzlich beobachtet Pfeiffer einen Trend in der Politik hin zu einer populistisch geführten Debatte um Haftzeiten und Strafmaß. So habe der frühere Kanzler Gerhard Schröder „die Ressentiments der Menschen befeuert“ – mit seinem Vorschlag im Jahr 2001 für den Umgang mit Sexualstraftätern: „Wegschließen – und zwar für immer.“
Dabei weist der Kriminologe Dünkel darauf hin, dass die Rückfallquote von Sexualstraftätern mit rund 10 Prozent wesentlich geringer sei als bei fast allen anderen Straftätern. Zudem seien Sexualverbrechen „seit 20 Jahren permanent rückläufig“, auch wenn die Öffentlichkeit dies anders wahrnehme. Dünkel kritisiert die um sich greifende „Sicherheitsmanie, bei der Bürgerrechte verloren gehen“.
Unterstützung erhält er dabei durch aktuelle Untersuchungen des Hannoveraner Forschungsinstituts. Demnach hat sich die Berichterstattung über Sexualdelikte seit der Einführung des Privatfernsehens versechsfacht. Durch eine „Dämonisierung des Bösen in den Massenmedien, vor allem in Fernsehen und Boulevardpresse“, werde der Eindruck erweckt, die Kriminalität steige. Tatsächlich sei die Bundesrepublik heute sicher wie nie, allerdings komme das „in den Köpfen der Menschen nicht an“, sagte Pfeiffer.
Auch der zweite Sicherheitsbericht der Bundesregierung von 2006 könnte zur Beruhigung dienen – wenn er denn gelesen würde. Er bestätigt, dass immer weniger schwere Straftaten verübt werden. Auch weit verbreitet ist die Angst, Opfer eines Einbruches zu werden. Tatsächlich aber hat sich die Zahl der Einbrüche in den letzten 10 Jahren fast halbiert.
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