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Archiv-Artikel

Drei Pazifisten halten die Stellung

„Die Behauptung, Deutschland werde heute am Hindukusch verteidigt, ist doch völliger Unsinn“

AUS DUISBURG HENK RAIJER

Die Eltern starben in den Sechzigern. Das war, bevor sie sich aufregte. Über den Krieg und über das Schweigen. Anneliese Ritter hat als Kind den Bombenkrieg in der BASF-Stadt Ludwigshafen erlebt, sie kann von der Angst erzählen. Und sie will davon erzählen, „weil ich mich als Mensch verantwortlich fühle“. Die Wangen der schlanken Rentnerin röten sich zunehmend, als sie eine Passage aus „Die Klage des Friedens“ von Erasmus von Rotterdam aus dem Jahre 1517 zitiert. „Kriege wurden zum Vorteil der Fürsten vom Zaun gebrochen und stets zum Nachteil des Volkes geführt“, trägt die Duisburger Friedensaktivistin mit bewegter Stimme vor, rückt ihre Brille zurecht und fügt hinzu: „Lassen Sie mich noch was sagen: Kriege sind ja nur deshalb möglich, weil Waffen produziert werden. Und da ist unser Land auch heute wieder ganz vorne mit dabei.“

Ostern steht vor der Tür, das Duisburger Friedensforum munitioniert sich und sein Sympathisantenumfeld für den traditionellen Ostermarsch. Das Duisburger Friedensforum, das sind – neben vier, fünf weiteren Aktiven – Anneliese Ritter (77), Christian Uliczka (76) und Eberhard Przyrembel (71). Sie haben an diesem sonnigen Frühlingstag ins Café Museum im städtischen Kant-Park geladen, um über Motto, Treffpunkte und Routen der österlichen Protestaktionen an Rhein und Ruhr zu informieren. Außer dem rüstigen Rentnergespann seien im Friedensforum „auch Jüngere aktiv, zwei, um genau zu sein“, sagt Eberhard Przyrembel. Eine von ihnen ist seine 15-jährige Tochter, die sich jüngst der Gruppe angeschlossen hat.

Christian Uliczka hat beobachtet, wie sich die Thematik der Friedensbewegung über die Jahre erweitert hat, vor allem seit dem Ende der Blockkonfrontation. Der pensionierte Richter wurde 1931 in Weißenfels an der Saale geboren und hat das Kriegsende nur zu gut in Erinnerung. Uliczka moniert vor allem die seit 1990 veränderte Interventionslogik des westlichen Verteidigungsbündnisses – Stichwort Kosovo und Afghanistan. „Die Nato hat doch gar kein Mandat, Kriege nach eigenem Gusto zu führen“, sagt der hagere Mann mit dem Ringbärtchen und dem gelben Genscher-Pulli, der seinem jeweiligen Gesprächspartner stets sein rechtes Ohr hinhält, weil „nur das noch gut funktioniert“.

Christian Uliczka, der schon 1961 zusammen mit seiner Frau im VW-Käfer nach Bonn fuhr, um auf der Hofgartenwiese gegen die Nachrüstung zu demonstrieren, und in den 1980er Jahren bei den Anti-Atomdemos in Wackersdorf und Mutlangen dabei war, latscht an Ostern für atomare Abrüstung und gegen Militarisierung durch seine Heimatstadt. Über den Hauptadressaten seines Protestes muss er nicht lange nachdenken. „Wer hat denn heute noch Angst vor Russland“, fragt Uliczka rhetorisch. „Angst macht uns der Alleinherrschaftsanspruch der Weltmacht USA. Und die führen doch neuerdings durch ihre latente Drohung mit einem Krieg gegen den Iran vor, wie salonfähig inzwischen das Kriegführen geworden ist“, empört sich der heutige PDS-Wähler, dem politischer Wankelmut in den oberen Etagen der etablierten Parteien immer wieder ein Grund zum Austritt war.

Und er hat derer einige ausprobiert. Vorgegebenen Fraktionszwängen hat Christian Uliczka in Gewissensfragen, wie er betont, immer eine Absage erteilt. Nachdem er in den 50er und 60er Jahren „ein paar Mal das Kreuzchen bei der CDU“ gemacht hatte, trat er in die FDP ein und war von 1977 bis 1982 Kreisvorsitzender der Liberalen in Duisburg – „als es in dieser Partei noch einen linken Flügel von Bedeutung gab“. Als die Genscher-Partei dann im Herbst 1982 nach dem Misstrauensvotum gegen SPD-Kanzler Schmidt die Seiten wechselte und mit Helmut Kohls CDU paktierte, trat Uliczka aus und widmete sich ganz der Friedensbewegung, der er sich im Zuge der Proteste gegen den Nato-Doppelbeschluss Anfang der Achtzigerjahre angeschlossen hatte. Von 1994 an engagierte sich der Katholik dann bei den Grünen, zog aber fünf Jahre später die ihm eigene Konsequenz, als „die Fischer-Gang den Grünen-Parteitag in Bremen zum ersten Out-of Area-Einsatz der Bundeswehr prügelte“.

Wie viele oder eher wenige Ostermarschierer an diesem Wochenende das Motto „Kriege beenden“ in der Region Rhein/Ruhr auf die Straße locken wird, ist für Uliczkas Mitstreiter Eberhard Przyrembel zweitrangig. „Klar, das ist über die Jahre immer weniger geworden. Das Ärgerliche dabei ist aber, dass man immer nur die Teilnehmer zählt, nicht die Argumente“, sagt der langjährige Jesuit und Pax-Christi-Aktivist. Er wird am Samstag in Duisburg die Rede zum Auftakt des Ostermarsch-Wochenendes halten. „Es scheint eine Ewigkeit her zu sein, dass wir den Begriff ‘out of area‘ lernen mussten“, erinnert sich der ehemalige Berufsschullehrer, der 1935 in Breslau geboren und nach Noviziat und Theologiestudium 1965 zum Priester geweiht wurde. „Damals war die Frage: Dürfen deutsche Soldaten in Kambodscha ein Lazarett einrichten? Dann: Darf die Bundeswehr in Somalia eingreifen? Anschließend: Dürfen deutsche Soldaten in Jugoslawien mit dabei sein?“ Die schrittweise Transformation der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee bilde die wahre Bedrohung für den Weltfrieden, doziert Eberhard Przyrembel und schaut dabei die beiden Kämpen zu seiner Rechten, Einvernehmen unterstellend, an.

Przyrembel hat als Religionslehrer und studentischer Seelsorger über viele Jahre Blockadefrühstücke organisiert und auch als Jesuit „theologisch nie ein Problem mit den Zielen der Friedensbewegung“ gehabt. Der Mann, der 1990 seinen Orden verließ, ein Jahr später heiratete und heute vier Kinder hat, hält das veränderte Leitbild der Bundesregierung für blanken Zynismus. „Die Behauptung, Deutschland werde heute am Hindukusch verteidigt, ist doch völliger Unsinn. Es ist die permanente Kriegserklärung durch die USA, die die Bündnispartner zum Schulterschluss im so genannten Krieg gegen den Terror zwingt“, sagt der große, weißhaarige Mann in Wollsocken und Birkenstocks. Anfang der 60er Jahre habe er über die Friedensmahner noch gelacht, erzählt Przyrembel, der als Zehnjähriger Krieg und Vertreibung erfuhr. „1968 stand ich dann aber schon voll auf der anderen Seite.“

Seit dieser Zeit etwa mischt auch Anneliese Ritter in der Friedensbewegung mit. Entscheidendes Erlebnis war für die heute 77-Jährige eine Waffensegnung in ihrer damaligen Heimatstadt Ludwigshafen. „Da bin ich anschließend entgeistert aus der Kirche ausgetreten“, erinnert sich die aus katholischem Elternhaus stammende Frau. Als 13-Jährige wollte sie ins Kloster, doch lernte sie noch während des Krieges Kinderkrankenschwester, heiratete 1954 und arbeitete zuletzt als Logopädin.

Seit 1991 ist die Mutter zweier erwachsener Kinder im Duisburger Friedensforum aktiv, koordiniert Treffen mit befreundeten Initiativen, bereitet Demonstrationen vor und ist darüber hinaus aktives Mitglied der DKP, in die sie 1974 eingetreten ist. „Die DKP wendet sich als einzige Partei in Deutschland ohne Wenn und Aber gegen Krieg und Militarisierung“, erklärt Anneliese Ritter ihr Engagement bei den Nachkriegskommunisten. „Ich möchte keinen Krieg mehr erleben und tue alles, damit meinen Kindern und Enkeln diese Erfahrung erspart bleibt“, sagt die hagere Frau mit fester Stimme. Doch sie hat auf einmal feuchte Augen, und so breitet sie, um sich zu fassen, mehrere Hände voller blauer, gelber und grüner Buttons auf dem Tisch aus: Ostermarsch-Reliquien aus mehr als drei Jahrzehnten. „Kennen Sie das hier schon“, fragt sie dann plötzlich und schiebt einem Bertha von Suttners 1889 erschienenen Roman „Die Waffen nieder!“ unter die Nase. „Meine Eltern haben ja nie mit mir über den Krieg reden wollen“, sagt sie. „Da hab‘ ich eben gelesen und gelesen und über die Jahre denken gelernt.“