: Entmietung auf die rabiate Tour
HÄUSERKAMPF Mit rustikalen Methoden sorgt ein Eigentümer in Friedrichshain für Leerstand in drei Altbauten. Das Ziel: Sanierung und Bau von „Townhouses“. Jetzt will der Bezirksbürgermeister vermitteln
Michael Keufner war verdutzt, als er von der Arbeit kam und einen Zettel seines Vermieters an der Wohnungstür fand: „Wir bitten Sie, sich zwingend mit unserem Hause in Verbindung zu setzen.“ Es gehe „um das Statikgutachten“, hieß es weiter, und: „Es besteht Gefahr für Leib & Leben.“ Das Haus war zur Baustelle geworden: Handwerker nahmen die Dachziegel ab, schlugen dicke Brocken aus der Außenwand und entfernten einen tragenden Dachbalken. Seitdem können Keufner und sein Bruder Sven ihr Zuhause in der Boxhagener Straße 70 nicht mehr betreten.
Die beiden sind die letzten Mieter in dem unsanierten Altbau. Der sieht mittlerweile wüst aus: Die Fenster im Treppenhaus sind herausgerissen, im Erdgeschoss klafft ein großes Loch im Estrich. Ein Verbleib in der Wohnung sollte den Keufners offenbar so ungemütlich wie möglich gemacht werden.
Der Projektentwickler PSG kaufte vor anderthalb Jahren von einer Erbengemeinschaft die Häuser Boxhagener Straße 70, 71 und 72. Bevor die Bauarbeiten im vorigen Sommer begannen, erhielten die Mieter ein Schreiben. Darin kündigte der neue Eigentümer Instandsetzungsarbeiten an. Nachdem die ersten Schutteimer und Dielen aus dem Fenster flogen, verlangte die Hausgemeinschaft ein Gespräch mit den PSG-Geschäftsführern, um zu erfahren, was geplant sei. Zum Treffen kam es aber nie.
Im Internet erfuhren die Bewohner schließlich, was sie längst vermuteten: Die PSG will die drei Häuser komplett sanieren und auf dem Hof Neubauten im „Townhouse-Stil“ errichten. Investitionssumme: sechs Millionen Euro. „Warum sucht die PSG nicht mit uns nach einer einvernehmlichen Lösung?“, fragt sich Karin N., Bewohnerin aus der Nummer 71. Eine Antwort hat sie nicht. Neun Mietparteien sind noch in den denkmalgeschützten Häusern verblieben. Darunter auch der Rentner Klaus Vatter, er lebt dort seit 1952.
Schikanen als Alltag
Die Schikanen des Vermieters gehören mittlerweile zum Alltag für die Hausgemeinschaft. Auf dem Hof wurde eine Holzwand errichtet, die den Gang zu den Mülltonnen verhindert. Verboten wurde den Mietern, im Keller Kohlen zu lagern – wegen angeblicher Brandgefahr. Damit konnte sich die PSG allerdings nicht durchsetzen. Und schließlich rissen Arbeiter pünktlich zum Wintereinbruch auch in der Nummer 71 ein Treppenhausfenster heraus. Vor dem Amtsgericht konnte Karin N. eine einstweilige Verfügung erwirken, wonach die PSG das Fenster erneuern sollte.
Doch die Richterin in der Berufungsverhandlung kippte die Entscheidung. „Es hieß, eine vorgenagelte Plane sei ein gleichwertiger Ersatz als Schutz vor Kälte“, erzählt Karin N. Prompt fror nur wenige Tage später eine Wasserleitung ein. Zwei Tonnen mehr Kohle hätten sie im Winter verbraucht und doch seien sie nur auf eine Raumtemperatur von acht bis zehn Grad gekommen, beklagt sich Nachbarin Svenja K. Sie zeigt Fotos von den Bauarbeiten: Darauf ist der Hof mit einer dicken weißen Staubschicht eingedeckt, weil die Schuttrutsche zu hoch über dem Boden endet. Die Fahrlässigkeit, mit der die Projektentwickler und ihre beauftragten Arbeiter den Bewohnern begegnen, ist offensichtlich. In einem Telefonat mit der taz wollte sich Christian Henke, Geschäftsführer der PSG, dazu nicht äußern.
Die Zahnärztin Beate Liebig war eine der Ersten, die sich dem Treiben der PSG beugte und neue Praxisräume suchte. Als Arbeiter die Wohnung über ihr entkernten, konnte sie keine Patienten mehr behandeln, weil der Putz von der Decke kam. Mittlerweile steht die Nummer 72 komplett leer. Einige der Mieter haben Abfindungen erhalten. Wer geblieben ist, wie Svenja K. und Karin N. in der 71, hat Anfang April eine Kündigung bekommen. Mit einer Vollsanierung sei das Gelände besser zu vermarkten, erläutert Simone Kordas, Rechtsanwältin der PSG, den Kündigungsgrund. Diese Argumentation ist bislang einmalig im Kiez.
Nun hat sich die Hausgemeinschaft an Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) gewendet. Auch der hält das Vorgehen des Investors für „eine rabiate Strategie, um ein Haus zu entmieten“. Den Bewohnern bot er eine Vermittlung an. Er will den Investor zu einem Gespräch mit den Mietern einladen, um gemeinsam einen Weg zu finden – damit sie geregelt ausziehen können und bis dahin von unnötiger Belastung verschont werden.
Sorge bereitet der Hausgemeinschaft Klaus Vatter. Der alleinstehende Rentner ist sichtlich mitgenommen von dem Bauterror und braucht sofort ein Ausweichquartier. Dabei hegt er eigentlich nur einen Wunsch: Nach der Sanierung möchte er in das Haus zurückkehren, in dem er fast sein ganzes Leben verbracht hat – zu einem Preis, den er sich leisten kann. STEFAN OTTO