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Archiv-Artikel

Möge die Macht mit dir sein

SCHLAGLOCH VON GEORG SEESSLEN Die Atomkraft ist das finstere Herz unserer postdemokratischen Gesellschaft

Georg Seeßlen

■ ist Publizist und Filmkritiker. Er lebt in Kaufbeuren und hat über 20 Bücher über das Kino geschrieben. Demnächst erscheint von ihm und Markus Metz: „Blöd-Maschinen: Die Fabrikation der Stupidität“ (bei Suhrkamp).

Der Kapitalismus, wie wir ihn kannten, verwandelt sich in den globalen „Finanzcapitalismo“. So lautet der Titel einer Untersuchung des Soziologen Luciano Gallino. Er geht davon aus, dass die unbedingte Herrschaft dieses Finanzcapitalismo nicht nur andere Verhältnisse erzeugt, sondern am Ende auch einen anderen Menschen: einen Menschen, der keinen Wert mehr in der Entfaltung einer Persönlichkeit sieht, sondern nur „reich und berühmt“ werden will – koste es, was es wolle. Und die Demokratie, wie wir sie kannten, verwandelt sich in der selben Geschwindigkeit in etwas, das wir, etwas hilflos, Postdemokratie nennen und dem wir Gesichter wie Berlusconi, Sarkozy oder Guttenberg geben.

Und mittendrin wieder ein AKW-GAU, wenngleich im fernen Japan. Bemerkenswert scheint nicht nur die Eile, mit der Regierungen sich von der Atomkraft erst einmal distanzieren. Bemerkenswert ist vielmehr auch die Offenheit, mit der Politiker wie der deutsche Brüderle oder Italiens Berlusconi (jüngst beim Treffen mit seinem Freund Sarkozy) zu erkennen geben, dass es sich dabei nur um einen Wahlkampftrick handelt. Denn in Wahrheit denken die postdemokratischen Regierungen nicht im Traum daran, mit dem atomaren Unsinn Schluss zu machen.

Aber warum? Meine unvernünftige, widersinnige, ja gemeingefährliche Antwort: Gerade weil sie so gefährlich ist, ist die Atomkraft das ideale Verbindungsmittel zwischen postdemokratischer Regierung und oligopol organisierter Wirtschaft.

Vergesellschaftete Sorge

Dass Atomkraftwerke für ihre Betreiber einen Profit abwerfen, der nicht mehr mit den Regeln des freien Marktes zu erklären ist, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Doch die „Gefährlichkeit“ der Atomkraftwerke zwingt den Staat förmlich zu einer zweiten Spielebene: Zwar ist der Profit „privat“. Doch die Sorge, in doppeltem Sinne, ist gesellschaftlich. Der Staat erhält Sinn durch diese Sorge um die gefährliche (aber angeblich dringend notwendige) „Kraftquelle“ mitten in dieser Gesellschaft. Die Atomkraft ist das finstere Herz der postdemokratischen Gesellschaft geworden.

Ein „Atomstaat“ hat sich selber zu anderen (weniger „demokratischen“) Umgangsformen mit seinen Kritikern verpflichtet. Ein Atomstaat ist ein Vorgriff auf eine kommende Gesellschaft, in der der Staat nur noch ein Machtinstrument der Konzerne gegen Konkurrenten und gegen Dissidenten ist. Ein Atomstaat schließlich bedarf zwingend dessen, was wir die strukturelle Korruption nennen – einer Abhängigkeit der Subsysteme des Staates und der Gesellschaft, die sie anstelle von wechselseitigen Kontrolleuren wahlweise zu „verschworenen“ Komplizen oder erpressten Mittätern macht.

Die Bombe unter dem Thron

Ein Atomstaat funktioniert wie das Reich eines Königs, der eine Bombe unter seinem Thron platziert und droht, dass jeder Versuch, ihn von demselben zu stürzen, unweigerlich die Explosion zur Folge hat. Die atomare Ökonomie (ebenso wie, sagen wir, die Gentechnik-Ökonomie, die Waffenhandel-Ökonomie, die chemische Ökonomie) benötigt die postdemokratische Regierung. Die postdemokratische Regierung aber benötigt auch die gefährlichen Ökonomien als raison d’être. Der Deal ist: Diese Regierung schützt die „gefährliche“ Ökonomie, dann nutzt die Gefährlichkeit dieser Ökonomie der Regierung.

Jede Katastrophe im Bereich der Kernkraftnutzung zeigt erneut als Erstes dieses: a) Keiner der Beteiligten in Staat, Wirtschaft und Technologie ist in der Lage und vor allem willens, dem Rest der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen, und b) das System allfälliger Komplizenschaft, das nichts anderes mehr vorsieht als eine vage „Selbstkontrolle“, ist im Dienste des Profits beständig bereit, auch noch die niedrigsten Sicherheitsstandards zu übergehen oder auszutricksen. Kurzum: Postdemokratische Regierung und oligopolistische Ökonomie schweißt nichts als das Wissen um das Gefährliche, ja das Katastrophische der Metaökonomie zusammen.

Was also macht die postdemokratische Regierung? Natürlich versucht sie zuerst, den scheinbaren, verzögerten Ausstieg zu einer neuerlichen Verteilung von Lasten und Profit zu verwenden. Zu wessen Gunsten, zu wessen Ungunsten? Wenn Sie das Gequake davon, dass „wir“ den Ausstieg nicht zum „Nulltarif“ bekommen, gehört haben, wissen Sie’s ohnehin. Sie versucht dann allerdings schnurstracks und mit der ihr nun mal eigenen Zähigkeit, eine neue zentralisierte, exkludierende, profitträchtige und, da erneut „gefährlich“ und metaökonomisch, nur von Staat und Wirtschaft gemeinsam zu kontrollierende Einheit zu organisieren, diesmal sind es die „Netze“. (Wenn ihr „ungefährliche“ Windkraftwerke baut, dann verpassen wir euch mordsgefährliche Netze, durch die euer Strom muss, ätsch!)

Wer das Netz hat, hat die Macht

Diese Regierung schützt die „gefährliche“ Ökonomie. Dann nutzt deren Gefährlichkeit auch diese Regierung. Das ist der Deal

Wer die „Netze“ hat, hat die Macht (nicht nur über den Strompreis); das wissen Banken so gut wie Terroristen in spe. Das durch die Atomkraft verlorene oder eingeschränkte Oligopol der Zusammenarbeit von Regierung und Ökonomie wird durch diese neue, metaökonomische Zentralisierung also wieder errichtet und wiederum in der Form von „sichtbarer Gefährlichkeit“.

Übrigens sollte man unter diesem Aspekt einmal die architektonische Ästhetik von Atomkraftwerken (und „Stromnetzen“) ansehen. Es sind die Monumente der angestrebten Verschmelzung von Regierung und Ökonomie. Der strahlende Traum einer Zukunft, in der Regierung, Herrschaft und Ordnung wieder das Gleiche sind. Es sind die Kathedralen der neuen Supermacht. Die Trinität von Postdemokratie, Finanzcapitalismo und Megatechnologie. Die neue Religion der ökonomischen Herrschaft. In dieser sind die Katastrophen keine Störungen mehr: Sie sind die Regel. Sie sind, womit der abgedankte Souverän, der König ohne Würde, das Volk, zugleich verängstigt und unterhalten wird.

Aber was rede ich denn da? Das ist unsachlich, das ist wüste Spinnerei. Das ist Panikmache, das untergräbt die Hoffnungen auf den vernünftigen Wandel. Jetzt kommen wir wieder zur Vernunft. Oder?