Leichtmatrosen, ahoi!

Kaum eine disqualifizierende Metapher ist unter Politikern so beliebt wie die des „Leichtmatrosen“. Nun traf sie Michael Glos, den Wirtschaftsminister. Aber was ist das eigentlich, ein Leichtmatrose?

VON CHRISTIAN SEMLER

Dass die christliche Seefahrt für Politiker wie für Medienleute ein unverzichtbares Metaphernreservoir bildet, kann leicht erklärt werden. Sind wir, also unser Staatsschiff, nicht ständig in Gefahr, in schwere See zu geraten, sodass nur die überlegenen Fähigkeiten des Kapitäns, seine Übersicht und Ruhe, unser Überleben sichern? Und ist es nicht einsichtig, dass, wer das Steuer des Staatsschiffs führt, auch mit der notwendigen Autorität ausgestattet werden muss? Der Kapitän ordnet an, wir, die Besatzung, gehorchen. Ay, ay, Captain.

Jeder Politiker, der sich mit Führungsqualitäten ausgestattet glaubt, sieht sich als Kapitän zur See, als Steuermann oder wenigstens als Offizier mit Kapitänspatent in der Tasche. Wie aber mit den Mitteln der Seefahrtsmetaphorik den politischen Gegner charakterisieren, dessen Ansprüche so eklatant seine Fähigkeiten überschreiten, der zur Führung gänzlich ungeeignet ist, der eine Gemeingefahr darstellt, sollte ihm die Gelegenheit gegeben werden, die politische Kommandobrücke zu besetzen? Ganz einfach: der Leichtmatrose.

Seemännisch gesprochen nahm früher der Leichtmatrose eine Zwischenstellung ein. Erst kam die einjährige Ausbildung als Schiffsjunge, gefolgt von einem weiteren Jahr als Leichtmatrose. Von dort aus war es möglich, in einem weiteren Jahr das Ziel des Vollmatrosen anzusteuern. Dem Leichtmatrosen, der Name verrät es, konnte verantwortungsvolle Arbeit an Deck noch nicht übertragen werden.

Leichtmatrose gleich politisches Leichtgewicht. Alles Tand und Täuschung, keine Substanz. Dies wollte Edmund Stoiber ausdrücken, als er nicht nur Guido Westerwelle, sondern seine eigene Parteioberste Angela Merkel, in der Semanns(frau)hierarchie abqualifizierte.

Aber auch seitens der SPD findet sich zuhauf die Leichtmatrosenmetapher. Angefangen bei Kurt Schumacher, der die schwindende Schar der westdeutschen Nachkriegskommunisten als „Leichtmatrosen auf dem Panzerkreuzer Impotemkin“ titulierte. Wesentlich weniger subtil verfuhr sein späterer Nachfahre Gerhard Schröder, der nach der letzten Schleswig-Holstein-Wahl von den Konkurrenten Carstensen und Kubicki als von „Leichtmatrosen“ sprach, die ein paar Stunden Politik spielen durften. Eine Fehleinschätzung, wie sich bei der anschließenden Abstimmung zur Wahl der MinisterpräsidentIn im schleswig-holsteinischen Landtag herausstellte.

Manche der zu Leichtmatrosen Abqualifizierten wehrten sich geschickt. Denken wir nur an Joschka Fischer, der, von FDP-Solms vor den Wahlen von 1998 im Bundestag zum Leichtmatrosen erklärt, dazwischenrief: „Besser Leichtmatrose als Küchenjunge!“ Um sofort, als er das Zweideutige seines Zwischenrufs bemerkte, erneut dazwischenzurufen: „Besser Leichtmatrose als Schiffsbrüchiger“. Eine Prognose, die leider für die FDP nie eingetroffen ist. Aber diskriminieren die Politiker, die zwecks Diffamierung den Gegner einen Leichtmatrosen nennen, nicht einen ehrbaren Berufsstand, und käme das nicht auf das Gleiche hinaus, als wenn wir sagten, der Politiker X wolle den Chef spielen, obwohl er nur ein angelernter Arbeiter sei? Keineswegs. Denn Leichtmatrosen gibt es im Gegensatz zu Angelernten seit 1983 nicht mehr. Seither wird der Matrose zum Schiffsmechaniker, also zum Facharbeiter, ausgebildet und ein nicht mehr existierender Berufsstand kann auch nicht mehr beleidigt werden. Wer heute als Nichtfachmann auf Deck Dienst tut, ist OS (Ordinary Seaman), sofern er nicht unter Deck im Maschinenbetrieb als Mitglied der „Black Gang“ tätig ist.

Neuerdings unterliegt die Leichtmatrosen-Metapher einem interessanten Bedeutungswandel. Statt das Thema Kapitän gleich Kompetenz – Leichtmatrose gleich Inkompetenz anzuschlagen, wird jetzt der Unterschied von Maschinenraum und Sonnendeck auf dem Staatsschiff avisiert. Hier hat der SPD-Generalsekretär Hubertus Heil Pionierarbeit geleistet. Schon letztes Jahr griff er Kanzlerin Merkel anlässlich der Debatte über die Erhöhung des Rentenalters mit der Bemerkung an, die Bundeskanzlerin winke auf dem Sonnendeck, während die SPD im Maschinenraum schwitze. Womit die gesamte Regierungsarbeit zur Maschinistenplackerei unter Deck erklärt wird. Wo aber blieb der Kapitän auf der Kommandobrücke?

Jetzt hat Hubertus Heil erneut zum Bild des Leichtmatrosen gegriffen. Gegenüber den Steuersenkungsplänen des Wirtschaftsministers Glos ließ er verlauten: „Glos benimmt sich wie ein Leichtmatrose, der sich aufs Sonnendeck verirrt hat. Er liegt auf dem Liegestuhl, träumt und vergisst die Arbeit.“ Da muss der Kapitän ein Machtwort sprechen. Doch der ist leider eine Frau und winkt vom Sonnendeck. Typisch Leichtmatrosin!