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Archiv-Artikel

autos, lackfarben etc. Die Straßen bleiben silbern

Der Künstler und Alltagsarchivar Peter Piller hat vor drei Jahren einen Bildband zusammengestellt, der nichts anderes zeigt als Luftaufnahmen norddeutscher Neubaugebiete aus den späten Siebzigern. Markisen sind darauf zu sehen, breit gestreift in der Mode ihrer Zeit. Swimmingpools, die aussehen wie in die Erde eingegrabene Badewannen. Und natürlich Autos, unzählige Autos. Rote, grüne, gelbe, blaue, Farben wie Filzstifte. Silberne sind kaum darunter. Und wenn, dann sind sie richtig silbern, ein Farbton wie eine Wellblechgarage.

Gerade hat das Kraftfahrtbundesamt die Neuzulassungen des vergangenen Jahres ausgewertet. Filzstiftfarben sind keine mehr darunter. Stattdessen changiert der automobile Zuwachs zu drei Vierteln zwischen Schwarz, Silbergrau und Silber. Silber-Silber, wie die Farbentwickler sagen. Gemeint ist eine Farbe, die sich durch das permanente Reflektieren ihrer Umwelt auszeichnet. Ein silberner Wagen ist auch ein Spiegel. Ein schwarzer Wagen meistens ein abschreibungsfähiger Firmenwagen.

Als vor neun Jahren der Siegeszug der Farbe Silber begann – im euphorischen 1998, dem Jahr von Gerhard Schröder und dem Audi TT –, hatte das viel mit gefühlter Technologie und technologisierten Gefühlen zu tun. Silber stand für den Aufbruch in eine digitale Epoche, für den Laptop im Straßencafé (vor dem in den Werbeanzeigen die Neuwagen parkten) und für Chipfabriken in Frankfurt/Oder. Silber war modern, weil plötzlich alle modern sein mussten. Selbst die Polizei stieg, Bundesland für Bundesland, von weißen auf silberne Streifenwagen um. Ihr Wiederverkaufswert ist höher und die Leasingraten damit günstiger.

Und doch regt sich etwas in der silbergrauen Brandung der urbanen Rushhour. Wenn auch noch zähfließend, so kehrt doch eine weiße Schaumkrone zurück. Auf dem Genfer Automobilsalon präsentierte die Audi-Tochter Lamborghini ihre Sportwagen ausschließlich in perlmuttenem Weiß. Auch die aktuellen Werbekampagnen für die Mercedes C-Klasse oder den Golf GTI sind zu der Farbe zurückgekehrt, die bis gerade eben nur noch Handwerkern, Handelsvertretern und Halbweltgrößen zugestanden wurde. Weiß, so weiß man es nun in den Marketingabteilungen, stände für eine neue Einfachheit. Die Sehnsucht nach Entschleunigung auch und gerade in der Beschleunigung. Schon kursiert das Modewort Simplifying, der iPod habe es ja vorgemacht. Die Automobilwerbung macht es ihm nach. So schnell das Auto aber sein mag, das Tempo der Mode erreicht es doch nie. Bis auf weiteres bleiben die Straßen also silbergrau. Gerade einmal 1,6 Prozent aller Neuwagen hatten im vergangenen Jahr einen weißen Lack.

CLEMENS NIEDENTHAL