: Zwiesprache mit einem Waldkauz
NATUR Josef Göppel war in der CDU/CSU immer gegen Atomkraft. Jetzt nimmt man ihn dort ernst
AUS HERRIEDEN GEORG LÖWISCH
Eines Abends in der Dämmerung hat sich ein Waldkauz vor ihn gesetzt. Die Käuze sind gar nicht so scheu, aber so nah kommen sie dem Menschen selten. Womöglich hat das Tier gespürt, dass dieser Mann den Trubel auch nicht so liebt. Sondern den Wald.
An jenem Abend in der Dämmerung, erzählt Josef Göppel, hat er schon über eine Stunde auf dem Hochsitz gesessen. Er hat sich von der Natur einnehmen lassen. Er sagt: umhüllen lassen. Er hat geschwiegen, so wie er auch jetzt die ganze Zeit still war auf dem Hochsitz an diesem warmen Donnerstagmittag. Der Reporter neben ihm ist schon unruhig geworden, weil es ja nicht so ist, dass man in Berlin laufend das Schweigen trainiert, und ungewöhnlich ist es auch, dass ein Politiker in der Gegenwart eines Journalisten so gar kein Wort verliert. Aber dann hat er mit Göppel auf den Wind und die Vögel gehört und in die Kronen der Fichten geschaut, und das hat gutgetan.
Es sind bestimmt fünf wortlose Minuten vergangen, bis Göppel von dem Kauz angefangen hat. Er hat das starke Kinn etwas vorgeschoben und erklärt, wie der Kauz sich vor ihm niederließ. Göppel sagt: „Das würde manchem guttun, so eine Zwiesprache mit einem Kauz.“
„Manchem“, das sind die aus der anderen Welt. Das ist Berlin, wo Josef Göppel aus Franken seit 2002 im Bundestag sitzt. Das sind die Kollegen von CDU und CSU, die eine Atomkraftanhängerin zur umweltpolitischen Sprecherin der Fraktion gemacht haben. Nun hat die Katastrophe in Japan die Parteifreunde in eine neue Energiepolitik gescheucht. Sie räumen jetzt ein, wägen ab und streben an. Moratorium, Zäsur, Konsens. Göppel redet selbst in Berlin nicht übermäßig viel, was auch nicht nötig ist, weil seine Position immer eindeutig war: gegen Atomkraft. Seit März liegen die Dinge etwas anders in der Union, und Göppel kann Geschichten erzählen von Kollegen, die ihn ansprechen und sagen: Du grüner Vogel hattest ja doch recht.
Ein ausgeruhtes Herrchen
Vor dem Waldspaziergang steht er am Bahnhof in Ansbach, grünes Hemd, reißfeste Hose, Wanderstiefel. Auf dem Weg zum Wagen hält er bei einer Autofahrerin, die ihren BMW-Panzer auf die Wendeplatte gesteuert hat. „Die Verkehrsregeln gelten auch für die Halter teurerer Fahrzeuge.“ Die Frau schaut verdutzt aus. Ist das ein Witz? Göppel sieht ihr aus seinen grauen kleinen Augen direkt ins Gesicht.
Er hat Linus dabei, seinen Stichelhaarrüden. Der Hund ist schon siebzehn, aber trotzdem wirkt er ziemlich wuselig neben seinem ausgeruhten Herrchen. Göppel nimmt sich seine Zeit. Man wundert sich, warum er eine Frage nicht beantwortet. Und wenn man dann die nächste Frage stellt, beantwortet er die erste.
Göppel wurde 1950 geboren. Aufgewachsen auf einem Bauernhof in Rauenzell, nicht weit von Ansbach. Die Familie hatte vier Hektar Acker und drei Hektar Wiesen. Die vier Kühe nannte er beim Namen: die Olga, die Lena, die Kati und die dreifarbige Scheck. Der Josef streifte gern durch den Wald, und mit zwölf übernachtete er zum ersten Mal unter den Bäumen, allein auf übereinandergeschichteten Zweigen. Die Mutter sorgte sich, wo ihr Bub bloß steckt, aber in der Früh war er zum Füttern der Tiere da.
Nachts im Wald sah er sich die Sternbilder an, hörte auf das Rascheln des Rehs, der Ringeltaube oder der Rötelmaus. Der Tau im Gesicht weckte ihn auf. So einer wird Förster.
Der Wald wurde sein Revier. Während er jetzt den schmalen Pirschpfad vorausgeht, erklärt er, wie man schauen muss. Kein zielsturer Tunnelblick wie in der Stadt, sondern ein Randblick, der wahrnimmt, was an der Peripherie vor sich geht. „Sie müssen das Wild sehen, bevor es Sie sieht.“
Ein Förster muss auch den Blick fürs Kleine haben, und in den siebziger Jahren fielen dem jungen Göppel die vergilbten Tannennadeln auf. Der Wald war krank. Göppel gehörte schon damals nicht nur dem Bund Naturschutz an, sondern auch der CSU. Er trug bei einem Kongress der Jungen Union eine kranke Fichte in den Saal und rief: „Schaut euch diese Fichte an!“ Das hat in der Partei schon damals nicht so viele gefreut, genauso wenig wie später, als Göppel gegen die Atomanlage in Wackersdorf gesprochen hat und später für das Tempolimit. Immer wieder hat er erklärt, dass die CSU doch für die Bewahrung der Schöpfung kämpfen muss. In der Partei und später im Landtag zischelten und murrten sie. „Gemocht werden ist angenehmer. Aber innerparteilich kenn ich das Gefühl ja auch gar nicht.“
Der Konflikt ist immer derselbe. Göppel will, dass die Gesellschaft mit der Natur in Übereinstimmung lebt. Die anderen wollen sie unterwerfen. „Viele denken, wir könnten uns mit technischen Mitteln abkoppeln von der Natur. Das ist so beim Senken von Grundwasserständen, bei der Kohlenstoffspeicherung, bei der Atomkraft.“
Was ist jetzt mit der Atomkraft? Ändert sich die Union wirklich? Göppel kennt die Kurzlebigkeit der Politik. Er hat beim Klimaschutz erlebt, wie mit einem Mal alle seiner Meinung waren, als wäre der ganze Fraktionssaal voll gepackt mit Rehen, Ringeltauben und Rötelmäusen, all seinen Freunden aus dem Wald. Dann hat sich ein bisschen was getan, danach ist das Thema aus den Schlagzeilen verschwunden.
Macht nichts. Ein Förster weiß, dass die Jahreszeiten das Leben beeinflussen. Gerade ist für seine Politik Frühling. Der Umweltminister Norbert Röttgen muss ein Atomaussteiger werden, um nach oben zu kommen. Er bespricht sich jetzt regelmäßig mit Göppel. Röttgen braucht einen, der die neue Position nicht erst seit Neuestem einnimmt. Er braucht das Original.
Göppel will, dass alle nach Fukushima stillgelegten Reaktoren dauerhaft vom Netz gehen. Das letzte Kraftwerk müsse 2020 abgeschaltet werden. Die Parteioberen nennen bisher lieber keine Zahlen. Setzt er sich durch? „Wir werden ziemlich genau dort landen, wo der rot-grüne Atomkompromiss war, so 2020 bis 2022. Wir können es nicht viel schneller machen.“
Und dann? Was die Verbraucher auf dem Land an Strom brauchen, sollen regionale Stromerzeuger abdecken. Windräder, Fotovoltaikanlagen und Biogasanlagen. Örtliche Vermarktungsringe versorgen die Verbraucher auf dem Land, wo man nur Niedrigspannungsnetze benötigt. Die teuren Hochspannungsleitungen bräuchte man vorrangig für den weiten Weg in die Industrieregionen.
Macht Seehofer mit?
Für Bayern verlangt er 2.000 Windkraftanlagen. Macht das Horst Seehofer mit, einer der größten Themensurfer der Republik? „Er hat das Gefühl, dass der Atomkurs nicht mehr hingenommen wird. Ich kenn den Horst, der will, dass die CSU mehr Akzeptanz findet. Der spürt, dass ihm sonst die Basis wegschwimmt.“
Und Merkel?
Schweigen.
Den Pfad entlang. Er zeigt auf Bienen, biegt einen Brombeerzweig beiseite, ordnet ein Geräusch dem Schwarzspecht zu. Man kommt sich vor wie ein Indianersohn.
In einer Pfütze steht das Wasser, an einer Stelle ist Moos aufgebrochen. Die Sauen. „Hier waren sie vor zwei bis drei Nächten. Hier kann man spüren, wie sie sich nach der Suhle an den Bäumen abreiben.“ Er greift in die Erde, reibt sie zwischen den Fingern, riecht daran. Er liebt den Wald.
Warum bleibt er nicht die ganze Zeit hier?
Nehmen wir die Wildschweine. Von allen Sauen, die geschossen werden, ist die Hälfte mit Cäsium verstrahlt. Wegen Tschernobyl.
Der Wald ist nicht abgeschirmt. Und es ging Göppel eigentlich immer darum, seinen Wald zu beschützen. Natürlich zugleich alle Wälder, die Natur, das Klima. Aber vor allem dieses eine Stück hier bei Herrieden, den Wald, in dem er als Bub übernachtet hat und in den er jetzt seine vier Töchter mitnimmt.
Für den Wald fährt er ins laute Berlin. Für ihn erträgt er die Wendehälsigkeit in der Partei. Für seinen Wald wird er vorsichtig, wenn man ihn nach Angela Merkel fragt. Für seinen Wald vermeidet er gegenüber Parteifreunden das Wort grün. Für seinen Wald sitzt er im Wald und denkt nach. Für seinen Wald herrscht er sogar den Stichelhaar Linus an, wenn sein Gebell die Mittagsstille stört.
Wir schweigen noch eine Weile auf dem Hochsitz. Dann sagt er: „Ich weiß net, wie’s Ihnen geht. Ich hätt jetzt Lust auf ’nen Eiskaffee.“