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Archiv-Artikel

Übergewichtiger Glas-Koloss

Der Kaispeicher A im Hamburger Hafen wird ganz schön ächzen unter der Elbphilharmonie. Denn die ist eigentlich viel zu schwer für den 1966 erbauten Kakaobohnen-Speicher. Schlaue Statik und zusätzliche Pfähle machen’s möglich, sagen die Ingenieure

„Das Restrisiko liegt darin, dass wir die Geschichte dieses Bauplatzes nicht genau kennen“

Hätte Werner Kallmorgen es gewusst, hätte er vielleicht ein paar Pfähle mehr in den Boden rammen lassen. Doch der von ihm entworfene Kaispeicher A am Rande der Hamburger Speicherstadt, der derzeit zum Sockel der Elbphilharmonie umfunktioniert wird, war lediglich für die Lagerung vom Kakaobohnen gedacht. Und nicht als Unterbau eines 95.000 Tonnen schweren Konzerthauses.

Vor einigen Tagen ist mit der Entkernung des 1966 fertig gestellten Kaispeichers begonnen worden. Eine Arbeit, die im Wortsinn grundlegend ist, wird das Ensemble doch 2010 mehr als doppelt so hoch sein wie jetzt. Bis zu 25 Stockwerke wird die Elbphilharmonie haben – deutlich mehr als die zehn Geschosse, die der Speicher ohne Weiteres hätte tragen können.

Neuralgischer Punkt wird der zweifach betonverschalte Konzertsaal sein. Doch das sei kein Problem, sagt der Ingenieur Hartmut Lohr. Er berät die Elbphilharmonie-Realisierungsgesellschaft Rege in Fragen der Statik. „Wir werden das Gewicht des Konzertsaals, der als Schale angelegt ist, mit Hilfe von Betonstützen ableiten, von denen einige sichtbar durch die Plaza hindurchführen.“ Hier – auf der Aussichts-Flaniermeile zwischen Kaispeicher (unten) und Elbphilharmonie (oben) – treffen die Stützen auf den Speicher – und zwar genau an den Punkten, an denen dessen tragende Pfeiler nach unten führen und die Last in die Erde ableiten können.

Der Kaispeicher ist auf einem Raster von Pfahlbündeln angelegt. Die stammen zwar aus den sechziger Jahren, „aber die meisten können diese Last tragen“, sagt Lohr. „Und wo das nicht der Fall ist, werden wir Pfähle hinzufügen.“ Insgesamt soll die Zahl der Pfähle um rund 60 Prozent steigen.

Doch zunächst muss man bis zum Fundament vordringen – und das ist Ziel des vor zwei Wochen begonnenen ersten Bauabschnitts. „Zunächst werden wir die denkmalgeschützten Außenmauern sichern. Dann wird der Stahlbeton im Inneren des Kaispeichers mit einem Hydraulik-Kneifer abgeknabbert“, sagt Lohr. „Wenn wir bis zum Fundament vorgedrungen sind, werden wir es an einigen Stellen durchbohren und die zusätzlichen Ortbeton-Verdrängungspfähle hineintreiben.“ Rund zwölf Meter tief werden die Pfähle versenkt. „Das genügt, um die Last zu tragen“, sagt Lohr.

Eine Last, die sich auch dadurch verstärkt, dass der Kaispeicher künftig nicht mehr sechs, sondern sieben Stockwerke haben wird. „Wir müssen den Sockel des Gebäudes aus Hochwasserschutzgründen erhöhen“, sagt Lohr. „Hierfür müssen wir von den jetzigen 5,50 auf 7,50 Meter kommen.“ Die seien für die Hamburger Hafencity vorgeschrieben. Das Geschoss, das unten verloren gehe, setze man deshalb oben drauf. Die Plaza werde also drei Meter höher sein als das jetzige Speicherdach.

Warum aber hat man sich nicht mit den problemlos tragbaren zehn Geschossen begnügt? „Das Gebäude musste sich rechnen“, sagt Lohr. Soll heißen: Es mussten genügend hochpreisig vermarktbare Flächen geschaffen werden, damit sich der Bau des Kolosses auch lohnt. Außerdem stellte sich diese Frage für die Rege so nie: Der architektonische Entwurf sah von Anfang an die aktuelle Höhe vor.

In der Tat war das Projekt Elbphilharmonie nie ausgeschrieben worden. Das Baseler Architekturbüro Herzog & de Meuron hatte vielmehr initiativ einen Entwurf eingebracht, der später von der Hamburger Bürgerschaft abgesegnet wurde. Ein Entwurf, der Wirtschaftlichkeit, Umnutzung des denkmalgeschützten Kaispeichers und die Schaffung eines Wahrzeichens in einem vorsah. Und dessen Realisierung – fast – keine statischen Probleme birgt. „Das einzige Restrisiko liegt darin, dass wir die Geschichte dieses Bauplatzes nicht genau kennen“, sagt Lohr. „Vor dem Krieg gab es hier einen fast genauso großen Vorgängerbau – ebenfalls ein Ziegelbau. Er fußte auf einem Raster aus Holzpfählen.“ Dasselbe Raster habe man für den Kaispeicher A genutzt – leicht versetzt, um die Pfähle des Vorgängerbaus nicht zu treffen. „Es kann also passieren, dass wir beim Einbringen der Stahlbeton-Pfähle diese alten Holzpfähle treffen.“

Das etwa durch Probebohrungen im Vorfeld auszuschließen, sei möglich, aber sehr teuer und komme daher nicht in Betracht. „Außerdem werden wir keine Ramm-, sondern Bohrpfähle verwenden. Die durchschneiden in der Regel alles, worauf sie treffen. Und wenn wir doch einen der Holzpfähle treffen sollten und der neue Pfahl dadurch abgedrängt wird, müssen wir das nachjustieren.“ Statische Probleme ergebe das allerdings nicht. „Es bedeutet allenfalls weitere Kosten, die wir aber bereits als Puffer einkalkuliert haben.“ Dieser Fall komme aber nur sehr selten vor. Und alles könne man ja nicht ausschließen. Auch keine Hochflut-Katastrophe im kommenden Winter zum Beispiel, die den Bau behindern könnte. „Das sind Unwägbarkeiten“, sagt Lohr. „Aus dem Zeitplan wirft uns das nicht.“ Im Sommer 2010 soll die Elbphilharmonie fertig sein. PETRA SCHELLEN