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Archiv-Artikel

Sprungbrett für eine neue Karriere

In der Heimat Managerin, in Deutschland Sekretärin: Für viele Frauen bedeutet die Ankunft in Nordrhein-Westfalen einen beruflichen Abstieg. Die Gesellschaft für Berufliche Bildung (GBB) schult in Köln hoch qualifizierte Migrantinnen für den Wiedereinstieg in den deutschen Arbeitsmarkt

VON LUTZ DEBUS

Veronika Bormann-Kessler freut sich. Gerade hat die 51-jährige Kölnerin erfahren, dass sie alle Prüfungen mit Auszeichnung bestanden hat. Mit 15 anderen Frauen hat sie für sechs Monate noch einmal die Schulbank gedrückt. Denn als sie vor gut zwei Jahren von Sao Paulo nach Deutschland kam, sah ihre berufliche Zukunft nicht gerade rosig aus. „Visuelle Kommunikation“ hatte sie als junge Frau in Brasilien studiert. Viele Jahre arbeitete sie als Sekretärin. Doch weder Kunststudium noch Berufserfahrung wurden anerkannt. So war sie bislang in dem ihr fremden Land arbeitslos.

Das geht nicht nur Veronika Bormann-Kessler so. Die Arbeitslosenquote bei akademisch gebildeten Frauen mit Migrationshintergrund ist sehr viel höher als bei ihren inländischen Kolleginnen. Die Gesellschaft für berufliche Bildung (GBB) schätzt, dass etwa 2.500 hoch qualifizierte Frauen im Raum Köln ohne Arbeit sind. Deshalb führt das Bildungsinstitut nun zum dritten Mal mit Unterstützung des Landes NRW und der EU das Projekt „Weiterbildung von Migrantinnen zur (Re)Integration in Arbeit“, Mi(R)a, durch.

In dem gerade zu Ende gegangenen Kurs lernten Frauen aus Kenia, Indien, Polen, Marokko, Kasachstan, Mexiko, Peru, Brasilien, der Ukraine und dem Irak alles, was für einen Erfolg auf dem deutschen Arbeitsmarkt wichtig ist. Neben speziellen Sprachschulungen, die besonders den Anforderungen am Arbeitsplatz dienen sollen, stehen kaufmännische Grundlagen und das Erlernen bekannter EDV-Anwendungen im Vordergrund.

Für die eher „weichen Fächer“ ist die Projektleiterin Mitra Vakil zuständig. Zu Beginn des Kurses stellte sie zunächst die Stärken der Teilnehmerinnen fest. „Hinsichtlich der sprachlichen und beruflichen Fähigkeiten ist die Gruppe äußerst heterogen“, erklärt die Mitarbeiterin der gbb. Auch altersmäßig ist die „Klasse“ bunt gemischt. Die Jüngste ist gerade 25 Jahre alt, die Älteste 58.

Die Atmosphäre im Seminarraum bezeichnet Mitra Vakil trotz der kulturellen Unterschiede als „sehr entspannt“. An der Wand des Konferenzzimmers hängt ein Plakat. Mit dickem Filzstift wurden darauf die Regeln der Gruppe geschrieben: „Sich ausreden lassen. Sich gegenseitig helfen. Freundlich sprechen. Handy auf lautlos stellen.“ Mitra Vakil deutet auf die Pappe. „Diese Sätze werden durchweg akzeptiert.“ Vielleicht, so vermutet die 32-jährige, werde in ihrer Gruppe so kooperativ miteinander umgegangen, weil die Maßnahme ausschließlich für Frauen konzipiert ist. Bei der Selbsteinschätzung der Teilnehmerinnen, so erklärt die Diplompädagogin, falle auf, dass viele der Frauen sich unterschätzen. „Das Selbstbewusstsein ist nicht immer so ausgeprägt.“ Manche Teilnehmerinnen haben eine längere Familienphase hinter sich. Viele sind wegen der Liebe nach Deutschland gekommen. „Heiratsmigrantinnen“, scherzt Mitra Vakil. Doch nach dem Umzug zum Liebsten wurden die Frauen von vielen erfolglosen Bewerbungen frustriert. So sieht es Vakil als ihre wichtigste Aufgabe an, die zu ihr kommenden Frauen mit Selbstwertgefühl auszustatten.

Im Rollenspiel werden Bewerbungssituationen nachgestellt. Der berufliche Wiedereinstieg beginnt in der Regel schon am Telefon. Dieses Medium zu nutzen, fällt Frauen mit nur geringen deutschen Sprachkenntnissen besonders schwer. So übt Mitra Vakil mit ihren Teilnehmerinnen sehr intensiv das selbstbewusste Auftreten am Telefon. Zu diesem Zweck drückt sie einer Frau schon einmal ein ausrangiertes Telefon in die Hand und verschwindet hinter einer dünnen Stellwand. „Die Zuhilfenahme mimischer und gestischer Ausdrucksmöglichkeiten fällt weg. Die Bewerberin wird auf die Stimme reduziert.“ Das sei, so die Lehrerin, eine immense Anforderung. Auch das Bewerbungsgespräch wird geübt. Mit einem Camcorder zeichnet eine Mitarbeiterin die gespielte Situation auf. Im Anschluss kann die vermeintliche Bewerberin selbst beurteilen, welchen Eindruck ihr Auftreten auf sie macht. Auch die anderen Kursteilnehmerinnen teilen dann ihre Einschätzung mit. Manchmal ist die Teilnehmerin aus Mexiko auch Personalchefin und Mitra Vakil spielt die Bewerberin. „So lernen die Frauen, sich in ihr Gegenüber hineinzuversetzen.“

Bürokratische Vorgaben erscheinen den Frauen aus fernen Ländern gelegentlich fremd. Eine chilenische Teilnehmerin fragte einmal, was denn ein Anschreiben sei. In dem Andenstaat sei es üblich, sich nur mit einem Lebenslauf zu bewerben. An solch banalen Unterschieden zwischen kann ein beruflicher Wiedereinstieg scheitern. Aber auch die Schwierigkeit, ausländische Studienabschlüsse in Deutschland anerkannt zu bekommen, beeinträchtigt das berufliche Fortkommen. Ein Studium über sechs Semester, so musste die Chilenin erfahren, werde hier nur als Berufsausbildung anerkannt.

Auch kulturelle Differenzen können es schwer machen, im Berufsleben zu bestehen. Das beginnt schon bei der Begrüßung. In arabischen Ländern sei es, so wurde es Mitra Vakil von den Teilnehmerinnen berichtet, üblich, sich Küsschen zu geben. Auch die Südamerikanerinnen kannten diese Geste. Dazu sei es in Lateinamerika durchaus gängig, sich zu umarmen. „Ein deutscher Vorgesetzter hätte mit diesen Umgangsformen bestimmt seine Schwierigkeiten“, erklärt Motra Vakil mit einem Lächeln. In ihren Seminaren über „interkulturelle Kompetenz“ erkläre sie den Teilnehmerinnen nicht die „Do‘s and Dont‘s“ der mitteleuropäischen Umgangsformen. Diese könne man in entsprechenden Büchern nachlesen. Ihr sei es viel wichtiger, den Frauen ein Verständnis der unterschiedlichen Kulturen zu vermitteln.

Inzwischen hat es Veronika Bormann-Kessler geschafft. Sie machte ein Praktikum in einer offenen Ganztagsschule, bot für die Grundschulkinder Kunstkurse an. Dabei stellte sie fest, dass ihr diese Aufgabe zwar Spaß macht, dass sie aber ohne eine pädagogische Ausbildung lieber etwas Anderes machen möchte. An der Ganztagsschule arbeitet sie nun einen Tag in der Woche als Sekretärin. „Ein schöner Anfang“, lächelt die Brasilianerin.

Infos: 0221-1399697-16