: Die Sonne, die Drecksau
Die Wahrheit stellt klar: Die glühende Himmelskugel ist durch und durch böse
Die Sonne: Sie gilt gemeinhin als der Superstar am Himmel. Seit Menschengedenken ist sie „in“ bei der Masse und „hip“ bei der Jugend. Für Groß und Klein ist sie der Abräumer; ein echter Feger nicht nur im Sommer, sondern auch der absolute Brüller im Winter, wenn sie gelb auf blau herausgeputzt am großspurig klaren Himmel ihre marktschreierisch scharfe Schau bombastisch abzieht.
Jubelnd reißen Mann und Frau an Tagen, an denen das überkandidelte Zentralgestirn von früh am Morgen bis spät am Abend die geile Rampensau macht, sich die Hosen und Röcke jauchzend von den darunterliegenden Teilen; ganze Bevölkerungskreise wälzen sich tobend vor Begeisterung ekstatisch grölend auf dem Rasen. Jung und Alt schreien, wenn das gelbe Vieh am Himmel ramentert, vor Freude johlend sich die nackte Zunge wund; schrill wie tausend Mäuse, auf die tausend Hämmer niedersausen, kreischen Millionen Teenies.
Für die milliardengroße Mehrheit ist die Sonne der Hit, ist die unbestrittene Number one unter den Himmelskörpern, ist definitiv das Premiumgestirn. Ihr Erscheinen am Himmel ist jedes Mal ein ultimativer Top Act der Spitzenklasse, ist purer Sex. Sobald aber schlimme Wolken sie verdecken, liegen die Nerven blank. Den grauen Himmel sehen und dicke Tränen weinen, nass wie schwere Säcke: Da kennt die Weltbevölkerung nix. Ein Tag ohne Sonne ist der Weltuntergang des kleinen Mannes.
In Wahrheit ist die Sonne aufdringlich wie sonst nur ein US-amerikanischer Präsident. Die Sonne: Realiter ist sie nichts als laut, lärmend und grell; sie ist durch und durch proll, ist böse. Ihre Scheußlichkeit wird nur durch ihre Unerträglichkeit übertroffen, die ein Klacks ist gegen ihre am Himmel stinkende Verbrechernatur.
Den Mars hat sie bereits fertiggemacht, die Venus hält sie im Schwitzkasten; beide haben ihr nichts getan. Auch die Erde schnauft schon in den dunkelsten Tönen, Mensch und Natur schwitzen täglich mehr und immer furchtbarer, entsetzlicher und grauenvollster unter ihrem barbarischen Diktat. Der Sonne ist das schnuppe. Von Takt und Herzensbildung hat sie nie gehört, die moderne Kunst und Kultur sind ihr sowieso wesensfremd. Sie macht scheißegal ihren Job, kümmert sich um nichts und niemanden und scheint seit mindestens fünf Milliarden Jahren brutal ihren Stiefel runter. Aber was sind schon fünf Milliarden Jahre für ein Menschenleben!
Hitze und Helligkeit sind ihr einziges Kapital; sonst hat dieses Taggespenst nichts gelernt. Mehr scheinen als sein, ist seine Parole. Gleichwohl zieht die gleisnerische Schönheit dieser aufgebrezelten Himmelstorte nicht nur Hans Dumm und Elfriede Dämlich in ihren teuflischen Bann. Auch die Blüte der Zweibeiner fällt immer wieder auf diesen tückischen Unstern herein. Als „edel, hilfreich und gut“ schwärmte der Frankfurter Reimkönig Goethe wie nicht ganz trocken gewickelt die Sonne an, der italienische Meister-Papagallo Franz von Assisi erhob sie in den betrügerischen Versen seines kriminellen „Sonnengesangs“ steil zur „Mutter aller Sterne“, und der ägyptische Knallkopf und Pharao Echnaton, der oben rum nicht ganz dicht war, betete tagaus, tagein das bösartige Sklaventreibergestirn an, das morgens um sechs die Untertanen aus ihrem dünnen Schlaf scheucht: „Die Menschen sind erwacht / und stehen auf den Füßen, wenn du sie aufgerichtet hast. / Das ganze Land tut seine Arbeit!“
Nicht verwunderlich bei so viel devoter Schmeichelei, kriecherischer Lobhudelei und speichelleckerischer Liebedienerei, dass die Sonne sich für was Besseres hält. Dabei ist sie in Wahrheit im Kosmos nur Mittelmaß, billiger Durchschnitt, Abfall. Im Unterschied zur Erde! Die aber seit Jahr und Tag von dieser Bratpfanne am Himmel gepeinigt wird!
„Hitze ist cool!“, wiehert die Menschheit, sobald das Thermometer Blasen treibt, und das ist nicht etwa peinlich, sondern oberpeinlich. Denn die Sonne, das steht nach dieser Beweisführung fest, ist eine tödliche Gefahr am Himmel. Sie knechtet die Menschen und lullt sie zugleich ein.
Einer, der sich von ihrem Spektakel nicht, wie der Rest der Erdbevölkerung, blenden ließ, brachte es auf den spitzen Punkt: „Die Sonne ist das Opium des Volkes“, schrieb Karl Marx, nachdem er schnurgerade herausgefunden hatte, dass die Sonne ein asozialer Schädling ist und ein Propagandawerkzeug der Ausbeuterklasse, um das bis auf die Haut abgemagerte Proletariat in seiner Freizeit statt auf die blutigen Barrikaden ins Sonnenstudio zu treiben. Mit Hass, vielleicht auch Wut, mindestens aber Verachtung erfüllt deshalb jeden redlich Denkenden und Fühlenden die Existenz dieser Eiterbeule am Himmel!
Wie schön aber, wenn die Wolken einmal den Vorhang zuziehen und gnädig die heiße Kartoffel am Weltenzelt verdecken. Wie gnädig der Dunst, wenn er die böse glühende Himmelskugel verschleiert, welche Labsal der Nebel, wenn er sie gänzlich verhüllt! PETER KÖHLER
Und demnächst: Die Wahrheit über die Sterne, die Insekten des Nachthimmels