: „Das hat was von Provinz-Posse“
LIVE ART FESTIVAL Tabu-Bruch, Porno-Skandal und abgelehnte Werbeplakate – die Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard über einen herbeigeschriebenen Skandal
■ 51, war künstlerische Leiterin an den Berliner Sophiensaelen und ist seit 2007 Kampnagel-IntendantinFoto: dpa
INTERVIEW ILKA KREUTZTRÄGER
taz: Frau Deuflhard, der Boulevard titelt: „Riesen-Zoff um Porno-Kunst“ und „Tabu-Bruch auf Kampnagel“. Was ist denn da los bei Ihnen?
Amelie Deuflhard: Hier wird mit großer Ignoranz ein nicht vorhandener Skandal produziert. Ich habe das Gefühl, als seien die letzten 50 Jahre Kunst- und Kulturgeschichte an Hamburg völlig spurlos vorübergegangen. Es wird so getan, als ob die Auseinandersetzung mit Körperlichkeit und Nacktheit etwas völlig Neues und Skandalöses und nicht schon seit den 60er Jahren in der Kunst absolut etabliert sei.
Auch der Deutschen Bahn ging es auf einem Plakat zum Kunst-Porno-Film „Community Action Center“ offenbar etwas zu körperlich zu.
Wir durften zwei Plakate mit einem nackten, gefesselten und beschmierten Mann darauf nicht an der Reeperbahn und am Hauptbahnhof aufhängen.
Weil das imageschädigend sei und man an den Jugendschutz denken müsse, so die Begründung der Bahn.
Es ist ihr gutes Recht, die Plakate abzulehnen, und so lange niemand die Aufführung des Films verbietet, habe ich auch überhaupt kein Problem damit. Aber ein bisschen verwundert bin ich schon, denn in einer sexualisierten Welt wie der unsrigen setzen sich viele Menschen doch recht intensiv mit dem Thema auseinander und gerade die Bild-Zeitung hat jeden Tag nackte Frauen auf der Titelseite.
Aber auf der Bühne scheint es dann zum Problem zu werden.
Und das, obwohl der Film „Community Action Center“, der übrigens im Anschluss an unser Festival in der Modern Tate in London gezeigt werden wird, von zwei Künstlerinnen produziert wurde. Die Amerikanerinnen A.L. Steiner und A.K. Burns setzen sich mit Körperlichkeit und Erotik also aus einer ganz anderen Perspektive auseinander, transportieren andere Frauenbilder und zeigen eben mal nicht die Frauen als Opfer. Daraus einen Porno-Skandal zu machen hat schon deutlich was von Provinz-Posse.
Aber der größere Skandal sei ja auch das Theaterstück „Libido Sciendi“: 40 Minuten Live-Sex!
Das Stück ist keine Pornografie, sondern die Choreografie einer Paarung oder eine Studie der Sinnlichkeit. Und es gibt jede Menge Stücke, in denen alle Menschen nackt auf der Bühne sind. Ich bin schon lange in diesem Business und wundere mich, dass man sich darüber tatsächlich noch aufregen kann. Übrigens hat keine der Zeitungen, die da einen Skandal vom Zaun brechen wollen, nachgefragt, ob sie das Stück vorab mal auf DVD sehen können.
Haben Sie so eine Aufregung um nichts schon mal erlebt?
In Berlin habe ich immer gedacht, man kann im Theater keine Skandale mehr provozieren. In Hamburg scheint das doch recht leicht zu gehen. Aber das Festival hat ein künstlerisch aufregendes Programm jenseits von Spektakel und dafür hatte ich große Aufmerksamkeit erhofft. Auf die Idee eines Skandals wäre ich im Leben nicht gekommen.
Die Aufmerksamkeit haben Sie jetzt.
Richtig. Die 80 Karten für „Libido Sciendi“ sind ausverkauft. Aber Achtung: Jeder, der kommt, um Porno zu gucken, wird enttäuscht sein.
Live Art Festival: 1. bis 6. Juni, Kampnagel, Jarrestraße 20