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Archiv-Artikel

Neue Freiheit für den Mississippi

US-Bundesstaat Lousiana fordert 50-Milliarden-Dollar-Projekt zur Renaturierung von Flussabschnitten. Ziel ist, Flussablagerungen zur Landgewinnung zurückzuhalten

WASHINGTON taz ■ Es sei höchste Zeit, ihn aus seiner Zwangsjacke herauszulassen, meinen die Fachleute vom Amt für natürliche Ressourcen des südlichen US-Bundesstaates Lousiana. Die Rede ist vom Mississippi, dem drittlängsten Fluss der Erde. Seit über 200 Jahren wird der Mississippi mit Hunderten von Deichkilometern unter Kontrolle gehalten und am Mäandern gehindert – jetzt beginnt in dem von den Hurrikanes „Katrina“ und „Rita“ verwüsteten Bundesstaat ein Umdenken: Der Fluss soll befreit werden. Konkret heißt das: An über einem Dutzend Stellen soll der Strom ausbrechen dürfen, weite Landstriche würden so überflutet und wertvolle Sedimente angeschwemmt. Lousiana wäre so gegen künftige Wirbelstürme besser geschützt.

Ziel dieses Plans sei es nämlich, den dramatischen Landverlust Louisianas zu stoppen, erklärt Sidney Coffee, Vorsitzender der eigens zu diesem Zweck geschaffenen Behörde. Louisiana verliert jährlich rund 62 Quadratkilometer Land an den Golf von Mexiko. Nahezu der gesamte Südwesten des Bundesstaates besteht aus Mississippi-Ablagerungen. Seit der Eindeichung des Flusses fließen die wertvollen Schwemmsande nutzlos in den Golf von Mexiko, anstatt das absinkende Festland wieder aufzufüllen. Seit den 1930er-Jahren, so wird geschätzt, sind in Louisiana bereits knapp 5.000 Quadratkilometer Land vom Meer weggewaschen worden.

Die Planer veranschlagen für das Mammutprojekt 50 Milliarden US-Dollar. Geplant sind die Umbettung des Flusses, die Rückgewinnung von Flusssedimenten, die Aufschüttung neuer Barriereinseln und Deiche, die Schließung einiger Kanäle sowie weitere noch nicht näher bezeichnete Landrestaurierungs-Projekte. Der Mississippi soll dabei gezielt an über einem Dutzend Stellen aus seinem deichbewehrten Bett ausbrechen dürfen, um so Sedimente in die erodierten Küstenregionen tragen zu können. „Wenn der Plan genehmigt wird, wäre das eine der größten ingenieurtechnischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“, meint dazu Denise Reed, Flussforscherin von der Universität von New Orleans.

Die beiden verheerenden Hurrikans im Jahr 2005, bei denen insgesamt 1.400 Menschen starben und rund eine Million Menschen obdachlos wurden, machten das hinlänglich bekannte Problem nur allzu deutlich: Der stete Landverlust macht Louisiana anfällig für Sturmfluten und Überschwemmungen. „Vor den Hurrikanes haben wir nichts unternommen. Jetzt können wir es uns nicht mehr leisten, nichts zu unternehmen“, sagte Scott Angelle vom Amt für natürliche Ressourcen bei der Vorstellung des Plans.

Zunächst muss das Vorhaben vom Landesparlament abgesegnet werden. Obwohl die Umbettung die Schifffahrt und den Fischfang massiv beeinträchtigen würde, habe sich noch keine Opposition geregt, sagte der Abgeordnete Regie P. Dupre, der die Gesetzesinitiative gestartet hatte. „Die Leute wissen, was auf dem Spiel steht.“ Viel schwieriger wird es werden, den Bund zu gewinnen. Der hatte es in der Vergangenheit stets abgelehnt, große Restaurierungsprojekte in Louisiana zu finanzieren. Doch das war vor „Katrina“, heißt es in New Orleans. Coffee: „Wenn die beiden Hurikanes nicht klar gemacht haben, worum es geht, dann kann nichts mehr Washington überzeugen.“ ADRIENNE WOLTERSDORF