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Archiv-Artikel

Der Ehec-Heckmeck

KRISENMANAGEMENT In Deutschland wächst die Kritik daran, wie die Bundesregierung mit den Ehec-Infektionen umgeht. EU will Europas Gemüsebauern entschädigen

„Das Krisenmanagement ist chaotisch, miserabel, schlecht. Oder es findet nicht statt“

RENATE KÜNAST, GRÜNE

AUS BERLIN JOST MAURIN UND HANNA GERSMANN

Die EU-Staaten haben sich auf Entschädigungen für die europäischen Gemüsebauern wegen der Einnahmeverluste während der Ehec-Krise geeinigt. Der Betrag sei noch offen, berichtete ein EU-Diplomat nach einem Treffen der Agrarminister am Dienstag in Luxemburg. Die Hilfe solle aber größer sein als die von der Kommission vorgeschlagenen 150 Millionen Euro. Das Geld werde aus dem EU-Haushalt kommen.

Wegen der Anfang Mai begonnenen Welle von teils tödlich verlaufenden Infektionen mit dem Darmkeim Ehec in Deutschland war der Absatz von frischem Gemüse wie Tomaten, Gurken und Blattsalat in den vergangenen Wochen europaweit eingebrochen. Schließlich hatten zwei Bundesbehörden am 25. Mai davor gewarnt, diese Produkte roh zu verzehren. Denn Ehec-Erkrankte hatten dieses Gemüse bedeutend häufiger gegessen als Gesunde. In den Fokus der Öffentlichkeit gerieten dann vor allem Gurken aus Spanien, weil Hamburg auf ihnen Ehec-Erreger gefunden hatte – allerdings nicht den für die derzeitige Welle verantwortlichen Typ, wie sich später herausstellte. Spanien forderte daraufhin Schadenersatz.

Binnen eines Monats sind der Bundesbehörde Robert-Koch-Institut zufolge 21 Menschen nachweislich an Ehec oder dem auch von diesem Keim verursachten hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) gestorben. Im gesamten Jahr 2008 hatten dagegen Salmonellen 33 Todesfälle verursacht. Anders als bei früheren Ausbrüchen von Seuchen sind dieses Mal nicht vor allem Kinder oder Ältere betroffen.

Zunehmend erlangt die Infektionswelle auch politische Relevanz. Das Krisenmanagement der Bundesregierung sei „chaotisch, miserabel, schlecht oder es findet gar nicht statt“, sagte die grüne Bundestagsfraktionschefin Renate Künast. Der wirtschaftliche Schaden für Bauern und Händler sei groß.

Mit dem Kampf gegen den Erreger sind Hunderte Ämter und Einrichtungen in Deutschland beschäftigt (siehe rechts). Jede Behörde habe ihre Berechtigung, meint Künast. Sie forderte aber: „Der Bund muss die Organisation in die Hand nehmen.“

Die verbraucherpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Karin Binder, klagte im Gespräch mit der taz: „Von überall her kommen Informationen: aus Hamburg, aus Niedersachsen, vom Robert-Koch-Institut, vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Sie haben keine einheitliche Linie.“ Niedersachsen hatte vor Sprossen als möglichem Keimüberträger gewarnt, das Bundesinstitut nicht. Auch beim Dioxinskandal Anfang des Jahres und bei dem mit Bakterien belastetem Discounter-Käse 2010 habe es ein „Bund-Länder-Chaos“ gegeben. „Gelernt wurde daraus offenbar nicht.“ Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) habe sich nie darum bemüht, dass der Bund bei solchen überregionalen Problemen die Ursachensuche und die Öffentlichkeitsarbeit koordinieren darf. Der Vorsitzende des Bundestags-Verbraucherausschuss, Hans-Michael Goldmann (FDP), sprach sich im SWR dafür aus, für den Seuchenschutz zuständige Bundesbehörden zusammenzulegen.

Aigners Sprecher Holger Eichele wies die Kritik von Grünen und Linken als „Oppositionsgeplänkel“ zurück. „Das ist jetzt nicht die Zeit für Föderalismusdebatten.“ Bund und Länder arbeiteten Hand in Hand und rund um die Uhr. Am Mittwoch wollen die deutschen Verbraucher- und Gesundheitsministerien über die Krise beraten.

Bei der Suche nach der Ursache tappten die Behörden weiter im Dunkeln. Der Verdacht, Sprossen aus einem Gartenbetrieb in Niedersachsen könnten für die Epidemie verantwortlich sein, ließ sich weiterhin nicht erhärten. Auch an Sprossen, die von der Firma kurz vor Beginn der Ehec-Welle produziert und die jetzt von einem Erkrankten den Behörden übergeben wurden, seien keine Spuren des Darmkeims gefunden worden, sagte die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks.

Wie dringend die Ehec-Bekämpfung ist, zeigt der erneute Anstieg der Ehec- und HUS-Fälle. Ihre Zahl bezifferte das Robert-Koch-Institut bis Montagnachmittag mit 2.325. Am Sonntag waren es noch 94 weniger. Immerhin wachse die Fallzahl nicht mehr so stark wie bisher.